"Besitzt Bush kein Schamgefühl?"
Bilder vom 11.9. als Wahlkampfwaffe
Instrumentalisierung der Tragödie oder perfekte Erinnerungshilfe? Die seit Donnerstag in 18 Bundesstaaten, New York übrigens ausgenommen, ausgestrahlten Werbespots rücken auf unschöne Weise zwei Daten zusammen: den 11.9.2001 und den 2.11.2004.
Denn der noch amtierende Präsident der Vereinigten Staaten kämpft mit Bildmaterial von den Anschlägen vom 11.9. um seine Wiederwahl. Gezeigt werden unter anderem die Ruinen des World Trade Centers als Hintergrund für eine US-Flagge oder Feuerwehrleute, welche eine in eine Flagge gehüllte Leiche bergen. Noch vor einem Jahr hatte George W. Bush bekundet, dass er keinerlei Ambitionen habe, die Ereignisse - in welcher Form auch immer - auf die politische Bühne zu bringen. Nun tun seine Wahlhelfer das genaue Gegenteil, und sie tun es, indem sie die "Katastrophe zum extrabilligen Spezialeffekt herabwürdigen" (FAS). Von der Meinungsseite der New York Times über traditionell liberale Magazine wie Salon.com ("Has Bush no shame?"") oder Alternet ("Bush Exploiting 9/11"): Entsetzen. Entsetzen auch bei den Familien von Angehörigen; die September Eleventh Families For Peaceful Tomorrows riefen dazu auf, die Werbespots unverzüglich zurückzuziehen. Für eine ähnliche Resolution entschied sich die Gewerkschaft der Feuerwehrleute.
Für mich als Feuerwehrmann, der Monate am Ground Zero verbracht hat, ist es zutiefst kränkend, wenn ich sehe, dass die Bush-Kampagne diese Bilder benutzt, um aus der größten amerikanischen Tragödie aller Zeiten Gewinn zu schlagen
Tom Ryan
Der Mann, der sich so gerne neben einem Feuerwehrmann ablichten lässt, hat gerade diese Berufsgruppe stark verärgert - mit Etatkürzungen und der Lüge, dass am "Ground Zero" die Luft rein sei, was zu zahlreichen Gesundheitsproblemen führte. Die Witwe eines Opfers sprach von einem "gewissenlosen Schlag ins Gesicht" der 3000 Toten.
Dass zwischen primitiver Propaganda und Totschweigen ein Unterschied besteht, will der Präsident, der natürlich die Kampagne nicht zurückziehen wird, seinen Aussagen zufolge nicht wahrhaben. Dazu am Samstag befragt, sagte Bush, er werde weiterhin über den 9.11. sprechen, auch im Zusammenhang mit seiner Präsidentschaft. Wie die Regierung mit diesem Tag fertig geworden sei, alles, was mit dem Krieg gegen den Terror in Zusammenhang stünde: das sei stets diskussionswürdig. "Und ich freue mich, darüber auch in Zukunft mit amerikanischen Bürgern zu diskutieren."
Ganz klar, dass mittlerweile auch des "Teufels Advokaten" das Set betreten haben. Ganz vorne wie immer Rush Limbaugh, welcher einen Feuerwehrmann gefunden hat, der die Kampagne als "inspirierend" empfindet. Und seine eigene Meinung sieht nicht anders aus: "Diese Spots sind stark. Denn hier haben wir es mit einer Dichotomie zu tun. Die Menschen wollen vergessen und die Menschen wollen sich erinnern."
Am Samstag ist außerdem ein offener Brief von Hinterbliebenen erschienen, welcher die Kampagne als "perfektes Zeugnis für Bushs Führerqualitäten" bezeichnet.