Besser bauen in der Gruppe
Neues Interesse an Baugruppen in Berlin
Anders als in vielen anderen deutschen Städten waren Baugruppen in der Berliner Baupolitik bisher kaum ein Thema. Das soll jetzt anders werden: Mit einer Veranstaltung im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) in Berlin wurde der Startschuss für eine „Kultur des Verständnisses“ gegenüber den unorthodoxen Bauherren gegeben.
Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, sagte schon Victor Hugo. Dass die Zeit für Baugruppen nun offenbar auch in der Hauptstadt reif ist, zeigte der Andrang zur Eröffnung der Ausstellung auf.einander.bauen über Berliner Baugruppenprojekte am 30. März – nach Angaben des DAZ kamen über 800 Besucher. Die Berliner Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer hob in ihrer Eröffnungsrede zur Ausstellung die Vorzüge von Baugruppen hervor: „Ich behaupte: Es ist ein Stückchen mehr als das, was wir üblicherweise unter Townhouses verstehen ... dahinter steht der Wille, gemeinsam etwas zu gestalten.“
Und Kristien Ring, DAZ-Direktorin und Kuratorin der Ausstellung, lobte Baugruppen als „Katalysatoren für urbane Lebensqualität“, die nicht nur „die städtische Baukultur durch anspruchsvolle, nachhaltige und individuelle architektonische Lösungen“ bereicherten, sondern auch „eine Bewohnerschaft mit Verantwortungsgefühl und Engagement für das Wohnumfeld“ schafften.
Baugruppen bauen nicht nur besser, sondern auch billiger
Dass allein mit den Townhouses und anderen schönen Wohnbauten noch keine Stadt zu machen ist, wenn sich diese nur einige wenige leisten können, darauf hatte ich in meinem Artikel Schöne neue Wohnwelten bereits hingewiesen. Wichtig ist vielmehr, dass die soziale Durchmischung von Stadtvierteln gelingt bzw. erhalten bleibt. Als viel versprechenden Ansatz hatte ich das Baugruppenmodell vorgestellt: Wie Erfahrungen in vielen deutschen Städten zeigen, erhalten auf diese Weise auch Normalverdiener und sogar Schwellenhaushalte eine Chance, Wohneigentum zu bilden.
„Ausreichend große, bezahlbare, gut ausgestattete und individuell gestaltete Wohnungen sind in den Innenstädten gefragt“, heißt es in der Presseinfo zur DAZ-Ausstellung. Kristien Ring kam es darauf an zu zeigen, dass sich alle diese Wünsche mit dem Baugruppenmodell erfüllen lassen:
Der durchschnittliche Preis für eine neu gebaute Eigentumswohnung vom Bauträger lag in Berlin beispielsweise im Jahr 2004 bei 2400 Euro pro Quadratmeter. Alle in der Ausstellung vorgestellten Baugruppenprojekte liegen unter den sonst üblichen Marktpreisen, sind also selbst in einem so niedrigpreisigen Immobilienmarkt wie Berlin noch erheblich kostengünstiger.
Tatsächlich bewegen sich die Kosten bei den gezeigten Projekten zwischen 1.500 und 2.100 €/qm in innerstädtischen Lagen, am Stadtrand teilweise sogar noch deutlich darunter. Fazit der DAZ-Direktorin:
Baugruppen in der Innenstadt stellen besonders für Familien mit Kindern eine Alternative zum Fertighaus auf der Grünen Wiese dar.
Pionierstädte Freiburg und Tübingen
Freiburger und Tübinger Stadtplaner und Architekten können dieser Tage mit einem wohlwollenden Lächeln nach Berlin schauen, denn sie haben das alles schon vor über zehn Jahren gewusst – oder zumindest gehofft, denn damals war das alles noch ein Experiment mit ungewissem Ausgang.
Der Freiburger Architekt Hubert Burdenski gehörte 1994 zu den ersten, die eine Baugruppe initiierten; dabei machte er sich seine Erfahrungen aus einem gemeinschaftlichen Bau- und Wohnprojekt in der Berliner Hausbesetzerszene Anfang der 1980er-Jahre zunutze. Freiburgs Stadtplaner zeigten sich aufgeschlossen, und so kam es, dass bis heute allein in den ab 1995 neu gebauten Stadtteilen Rieselfeld und Vauban rund 1400 Wohneinheiten von 180 Baugruppen errichtet wurden.
Erfolgsentscheidend war damals, dass die Baugruppeninitiativen in Freiburg und Tübingen auch von städtischer Seite erstmals nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich gewünscht und gefördert wurden. Mittlerweile ist das Baugruppenmodell längst dem linksalternativen Milieu entwachsen und stößt in breiten Bevölkerungskreisen auf Zustimmung und Interesse. Auch in anderen deutschen Großstädten wie Stuttgart, München, Leipzig und Hamburg ist die Baugruppe längst Bestandteil des städtischen „Wohnungsbaumixes“.
In Berlin hingegen mussten Baugruppen bisher ohne städtischen Segen zurechtkommen, sieht man einmal von der „Wasserstadt“-Entwicklungsmaßnahme ab, mit der seit Ende der 1990er Jahre zwei neue Stadtviertel entstehen sollten. In der Rummelsburger Bucht, einer der beiden Berliner „Wasserstädte“, baute Matthias Beyer von 2001 bis heute rund 100 Wohneinheiten mit 13 Baugruppen – überwiegend Reihenhäuser im Townhouse-Stil, aber auch einige Geschosswohnungen – und verfügt damit wohl über die umfangreichste Baugruppenerfahrung unter den Berliner Architekten. Aber er ist längst nicht mehr der einzige:
Vor sechs Jahren haben unsere Kollegen auf uns geschaut und uns belächelt: Was wollt ihr machen, eine Baugruppe, mit zehn einzelnen Bauherren? Drei, vier Jahre später fingen sie dann auch damit an und fanden es das Selbstverständlichste von der Welt.
Baugruppen müssen politisch gewollt sein
Für die Ausstellung im DAZ wurden zwölf Berliner Projekte ausgewählt, die bereits realisiert sind oder sich kurz vor der Fertigstellung befinden. Dabei sollte eine große Bandbreite gezeigt werden – vom Geschosswohnungsbau bis zum Reihenhaus, von der innerstädtischen Hofbebauung bis zur durchgrünten Stadtrandlage ist alles dabei. Die Projekte entstanden ausnahmslos in Eigeninitiative von Bauherren und/oder Architekten (z.T. gehörten die Architekten selbst zur Baugruppe), ohne Unterstützung oder gar Anstoß von Seiten des Senats. Dies soll jetzt anders werden: Die Bausenatorin und ihr zuständiger Stadtplaner Reiner Nagel wollen Baugruppen künftig aktiv fördern.
Grundvoraussetzung einer baugruppenfreundlichen Stadtentwicklung ist der Zugang zu Grundstücken. In Berlin gibt es über 1000 brach liegende Flächen in innerstädtischen Bereichen, die überwiegend der öffentlichen Hand gehören. Diese sollen, anders als bisher, nicht mehr gegen Höchstgebot, sondern zum Festpreis (dem Verkehrswert) an Baugruppen gegeben werden, um in dem mit vielen Unsicherheiten behafteten Baugruppenprozess „ein Ende fest zu machen“, wie sich Reiner Nagel ausdrückt. Kein Sonderpreis also für Baugruppen, aber ein verlässlicher Preis, der zudem nicht von finanzkräftigen Investoren überboten werden kann.
Auch der längeren Konstituierungszeit einer Baugruppe soll Rechnung getragen werden, indem der Optionszeitraum – der Zeitraum, in dem der Anspruch auf ein bestimmtes Grundstück bestehen bleibt – auf ein Jahr verlängert wird. Bewerben sich mehrere Baugruppen um dasselbe Grundstück, soll eine Auswahlkommission nach der Qualität des vorgelegten Konzepts entscheiden. Last but not least will Nagel bei den für die Baugenehmigungen zuständigen Ämtern, die den oft ungewöhnlichen Bauvorhaben der Gruppen bisher eher Steine in den Weg legten, für eine „Kultur des Verständnisses“ werben. Dass eine aktive Unterstützung von Seiten der Stadt unverzichtbar ist, bestätigt Architekt Burdenski aus seiner eigenen Erfahrung in Freiburg und anderen Städten: „Das Baugruppenmodell funktioniert nur dann, wenn die Kommune es politisch will.“
Soweit wie beim (inzwischen in Auflösung begriffenen) Wasserstadt-Entwicklungsprojekt wollen die Berliner Stadtplaner allerdings nicht gehen. Dort gab es eine zentrale Anlaufstelle für Baugruppen-Interessenten, die den Gruppen unfangreiche Beratung und Unterstützung bot. „Halbherzig“ findet das Christoph Scheffen, dessen Agentur Immothek im städtischen Auftrag Baugruppen und Architekten in Leipzig berät. Er hält eine solche Anlaufstelle für wichtig, da nach seiner Erfahrung nicht nur bei den Bauherren, sondern auch bei Architekten reichlich Beratungsbedarf in puncto Baugruppen bestünde. Der in Leipzig tätige Berliner sähe es bestimmt gern, wenn die Kollegen in seiner Heimatstadt sich ein Beispiel an seinem Modell nähmen.
Baugruppen fördern die Renaissance der Innenstadt
Warum braucht Berlin bei einem Leerstand von rund 100.000 Wohnungen und entsprechend niedrigen Mieten überhaupt neue Wohnungen? Tatsache ist, dass das vorhandene Angebot die Wohnwünsche insbesondere von Familien mit Kindern immer weniger erfüllen kann, weil die verfügbaren Wohnungen entweder von der Lage oder vom Grundriss nicht akzeptabel sind. Deshalb – und auch, weil die Pro-Kopf-Wohnfläche weiter zunimmt – rechnet Reiner Nagel trotz stagnierender Bevölkerung für die nächsten Jahre mit einen Wohnungsbedarf von 200.000 Wohnungen. Für ihn stellt das Baugruppenmodell deshalb vor allem eine „Qualitätsinitiative“ dar, um Familien und Ältere in der Stadt halten bzw. ihre Rückwanderung zu ermöglichen.
„Die Renaissance der Innenstadt läuft nicht von allein, sondern nur, wenn man Anreize bietet“, betont Nagel, der zuvor schon in Hamburg Baugruppenprojekte betreute. Sein Ziel ist es, dass zwei Drittel der neuen Wohnungen in der Stadt und nicht im Brandenburger Speckgürtel entstehen.
In einer eigens erstellten Broschüre zeigt sich Berlin daher von seiner baugruppenfreundlichsten Seite. Beim genaueren Hinsehen fällt allerdings auf, dass viele der Fotos – z.B. von Projekten wie den Townhouses am Friedrichswerder und der Wohnanlage Prenzlauer Gärten im Bötzow-Viertel – überhaupt nichts mit Baugruppen zu tun haben, sondern wohl nur „Lust auf Stadt“ machen sollen. Sie stehen für den Paradigmenwechsel zum Wohnen in der Innenstadt, ein Ziel, für dessen Verwirklichung man sich von Baugruppen einiges verspricht. Während Reiner Nagel für klassische Townhouse-Projekte allenfalls eine (zahlungskräftige) Klientel von weiteren 500 bis 1000 Bauherren erwartet, sieht er in Baugruppen eine viel größere Breitenwirkung.
Schlechte Zeiten für Investoren, gute Zeiten für Baugruppen
Architekt Christian Schöningh, der 1997 eines der ersten Berliner Baugruppenprojekte initiierte, hätte sich allerdings gewünscht, dass die Berliner Baupolitik schon früher in dieser Richtung tätig geworden wäre. In der Tat zeigt die Erfahrung – nicht nur in Berlin –, dass Baugruppen oft erst dann Beachtung finden, wenn es mit der Vermarktung der Grundstücke an den bequemen, solventen Bauträger nicht mehr klappt.
Nach dem Ende des sozialen Wohnungsbaus, dem Zurückfahren der Wohnungsbauförderung und der Ausdehnung der Spekulationsfrist für Immobilien auf zehn Jahre war der frei finanzierte Wohnungsbau in der Hauptstadt völlig zum Erliegen gekommen. Baugruppen stießen in diese Lücke. DAZ-Direktorin Ring sieht die „Baupause“ deshalb als Glücksfall, da sie dem Innovationspotenzial in der „trägen Berliner Stadtlandschaft“ Raum gegeben habe: „In wirtschaftlich schwierigen Situationen werden oft Ideen entwickelt, die dann in den folgenden guten Zeiten umgesetzt werden.“
Die Ausstellung auf.einander.bauen ist noch bis zum 25. Mai im DAZ in Berlin, Köpenicker Str. 48/49, zu sehen.