Schöne neue Wohnwelten
Lösen Stadthäuser das Eigenheim im Grünen als Wohnleitbild ab?
Im Kontext der Reurbanisierung der Innenstädte sind eine Vielzahl neuer Wohnungs- und Haustypen entstanden, darunter das "Townhouse" als Neuauflage des historischen Bürgerhauses.
In "Die Unwirtlichkeit der Vorstädte" habe ich die Defizite der Produkte des industriellen Wohnungsbaus - Siedlungen und Einfamilienhäuser am Stadtrand - dargestellt. Während die Großsiedlung des sozialen Wohnungsbaus schon lange als Irrweg erkannt ist, scheint nun auch der Stern des über Jahrzehnte unangefochtenen Wohnleitbilds der Deutschen, des Eigenheims im Grünen, zu sinken. Viele Städte bemühen sich, junge Familien mit neuen Wohnangeboten zu halten oder für das Wohnen in der Stadt zurückzugewinnen.
Aktuelle Neubauten bieten immer häufiger Qualitäten, wie man sie nur vom (renovierten) Altbau kennt: große Zimmer, die nicht "funktional zugerichtet" (Hartmut Häußermann) - das heißt, auf bestimmte Nutzungen festgelegt - sind, hohe Räume, große Fenster, ansprechende Architektur und gehobene Ausstattung. Zunehmende Verbreitung findet auch der Typus der „gestapelten Einfamilienhäuser“ - vier- oder mehrstöckige Häuser mit übereinander angeordneten Maisonette-Wohnungen, die wahlweise einen Gartenanteil oder eine geräumige Dachterrasse als private Freifläche bieten. Diese Wohnform bietet trotz hoher Verdichtung viele der Vorteile des privaten Eigenheims.
Wer etwas mehr ausgeben kann, der baut "allein auf einer Parzelle". Was bis vor kurzem nur am Stadtrand möglich war, ist in einer Reihe von Städten auch wieder im Zentrum erlaubt. So entstanden und entstehen seit einigen Jahren vielerorts städtische Reihenhäuser, im Marketingjargon meist "Townhouse" genannt. Seit dem Mittelalter wohnten Kaufleute und Handwerker in solchen Bürgerhäusern, die man aus Städten wie Amsterdam, London, Hamburg oder Lübeck kennt. Kaum bekannt war dieser Haustyp hingegen in der traditionellen Arbeiterstadt Berlin, wo es inzwischen mehrere Projekte dieser Art gibt - beispielsweise die zur Zeit im Bau befindliche Siedlung "Prenzlauer Gärten" nach britischem Vorbild. Noch zentraler - direkt neben dem Außenministerium - gelegen sind die exklusiven Reihenhäuser am Friedrichswerder, die bis 2007 fertiggestellt sein werden. Das Interesse an den inklusive Grundstück bis zu einer Million Euro teuren Häusern überraschte sogar die Berliner Stadtplaner: Nach der Vorstellung des Projekts im Oktober 2003 waren alle 47 Grundstücke binnen einer Woche reserviert. Aber es gibt auch günstigere Angebote, die durchaus eine Alternative zum Eigenheim am Stadtrand darstellen: In "billigen" Städten wie Berlin oder Leipzig kann man schon für rund 200.000 Euro zum Stadtbürger auf eigener Parzelle werden.
Die Ausweisung geeigneter Grundstücke ist eine bewusste städtebauliche Entscheidung, die nicht zuletzt darauf zielt, gute Steuerzahler in der Stadt zu halten oder in dieselbe zu locken. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint die Rechnung aufzugehen: In Berlin können sich die Stadtplaner nach dem unverhofften Erfolg des Projekts am Friedrichswerder langfristig 1000 innerstädtische Townhouses vorstellen; in Leipzig wurden sogar 5000 reihenhausgeeignete Parzellen identifiziert, über die sich interessierte Bauherren teilweise via Internet informieren können.
Individualität statt Massenwohnen
"Townhouses prägen die traditionellen Viertel Londons oder Amsterdams. Zur Straße hin strahlen sie den repräsentativen Stolz derer aus, die darin wohnen. Die Gartenfront spiegelt die private Wohnwelt wider."
Aus der Werbung für ein Berliner Stadthaus-Projekt
Auch Bauträger und Bausparkassen haben längst erkannt, dass gleichförmige Fassaden und identische Grundrisse bei ihren Kunden immer weniger gefragt sind: "Einheitsdächer und -fassaden sowie stets gleiche Grundrisse - das entspricht heute nicht mehr den Bedürfnissen der Bewohner", bestätigt Matthias Schnabel von der BHW Bausparkasse. Und seine Kollegen von der LBS haben sogar einen Wettbewerb "LBS Stadthaus - im Zentrum zu Hause" ausgelobt, um sechs stadtkompatible Haustypen zu entwickeln. So ändern sich die Zeiten ...
Tatsache ist, dass individuelle Gestaltung von den Bewohnern subjektiv als größere Unabhängigkeit empfunden wird, während die monotone Reihungen gleichförmiger Baukörper einen Siedlungscharakter, einen "Eindruck vom Massenwohnen" (Weeber) erzeugt. Dieser Erkenntnis folgend ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal des "Townhouse" zum klassischen ("spießigen") Reihenhaus die höhere Individualität von Grundriss und Architektur, die sich meist an der klassischen Moderne, am Öko-Holzbaulook oder auch an englischen Vorbildern orientiert. Das sieht oft ansprechend und manchmal auch etwas nach Villa Kunterbunt aus, wie man beispielsweise an den genannten Berliner Projekten, im Freiburger Öko-Stadtteil Vauban oder am Trierer Petrisberg sehen kann.
Das typische Stadthaus ist schmal (um die 6 m) und hoch (3- bis 5-stöckig) und steht auf entsprechend schmalen Grundstücken. Aufgrund der geringen Grundflächen bleiben sie auch an zentralen Standorten trotz höherer Bodenpreise bezahlbar. Bei ausreichender Tiefe kann das hintere Grundstücksende ebenfalls bebaut werden, um zusätzlichen Platz für eine Remise, Büroräume, ein Atelier oder eine Einliegerwohnung zu schaffen. Diese - aus den Blocks der Gründerzeit bekannte - Konfiguration ist auch am Friedrichswerder vertreten. Die meist kleinen Gartenflächen - bei einem anderen Berliner Projekt misst der kleinste "Garten" nur 9 qm - werden durch Loggien oder Dachterrassen kompensiert. Hierdurch entsteht ausreichend privater Raum im Freien, obwohl im Vergleich zu einem freistehenden Einfamilienhaus nur die Hälfte oder noch weniger Grundfläche beansprucht wird. Wo etwas mehr Platz zur Verfügung steht, findet man auch andere Konfigurationen, beispielsweise Doppelhäuser oder L-förmige Gartenhofhäuser, wie sie zum Beispiel im Freiburger Stadtteil Rieselfeld entstehen.
Das Stadthaus bietet seinen Bewohnern nicht nur kurze Wege zur Arbeit, sondern wird oft auch selbst zum Arbeitsplatz. So wie der Händler oder Handwerker vor 200 Jahren in seinem Haus wohnte und auch arbeitete, so hält es auch wieder der moderne Dienstleister, sei er Architekt, Journalist, Webdesigner oder Kunstmaler. Man kann also vermuten, dass das städtische Reihenhaus keine vorübergehende Modeerscheinung ist; vielmehr kehrt dieser Wohntypus wieder, weil die Lebenssituation wiederkehrt, für die er geeignet ist.
So wie die am Fließband produzierten Großsiedlungen und die Einfamilienhausteppiche im Grünen Ergebnisse des ebenso fürsorglichen wie technokratischen Sozialstaats der Industriegesellschaft waren, der die deutschen Einheitsfamilien West und Ost mit dem ihr angemessenen, identischem Wohnraum versorgte, ist das Stadthaus Ausdruck der deregulierten, postindustriellen Gesellschaft, in der das Individuum (wieder) im Mittelpunkt steht, dessen Selbstbewusstsein sich, wie in früheren Jahrhunderten, in der individuellen Straßenfassade des eigenen Stadthauses manifestiert.
Baugruppen - die neuen Stadtbürger?
"Baugemeinschaften ermöglichen ein frühes Kennenlernen der zukünftigen Nachbarn, günstige Baukosten, individuelle Gestaltungsmöglichkeiten und meist hochwertige Architektur."
Aus einer Informationsbroschüre für Stuttgarter Baugruppen
Dass diese neubürgerlichen Wohnwelten in ihren städtebaulichen Resultaten erfreulicher sind als die monotonen Blocks des sozialen Wohnungsbaus aus den 60er- und 70er-Jahren, wird kaum jemand bestreiten wollen - die bunten Häuserreihen sind trotz mancher stilistischen Unsicherheit und selbstverliebten Übertreibung ein begrüßenswerter ästhetischer Fortschritt. Mit hübschen Fassaden allein ist allerdings noch keine Stadt zu machen; die Befürchtung, dass auf diese Weise eine soziale Desintegration der Stadt in neuer Form gefördert wird - Besserverdienende in die Innenstadt, Arme und Ausländer an die Peripherie -, ist nicht von der Hand zu weisen. Sicher ist es nicht verkehrt, auch wohlhabendere Bevölkerungskreise in die Zentren zu locken - generell muss das Ziel aber sein, auch sozial Schwächere an den schönen neuen Wohnwelten zu beteiligen.
Wie das funktionieren kann, zeigt das in der Tübinger Südstadt ab 1995 und ein Jahr später auch in den Freiburger Neubauvierteln Vauban und Rieselfeld erstmals in großem Stil praktizierte Modell der "Baugemeinschaften" oder "Baugruppen". Das Prinzip der Baugruppe ist einfach: Eine Gruppe von Bauwilligen tut sich zusammen, sucht sich ein passendes Grundstück und einen Architekten und errichtet ihr Bauvorhaben in Eigenregie. Nicht zuletzt durch Einsparung des Bauträgergewinns und der Vermarktungskosten verbilligt sich das Bauen um 10 bis 20 Prozent, wodurch Wohneigentum auch für Geringverdiener erschwinglich wird.
Trotz der überwiegend positiven Erfahrungen sind viele Städte allerdings immer noch zurückhaltend, wenn es um die aktive Förderung von Baugruppen geht. Die "Townhouse-Hochburg" Berlin macht da keine Ausnahme, obwohl es auch hier einige Projekte gibt (z.B. in der "Wasserstadt" Rummelsburg). Gründe liegen in den komplizierteren Prozessen im Umgang mit mehreren Bauherren, die man in manchen Stadtplanungs- und Hochbauämtern erst noch einüben muss. Dabei tragen Baugruppen nachweislich mehr zum städtischen Zusammenhang bei als Bewohner von fertig geplanten Vierteln: Die Phase des gemeinsamen Planens und Bauens mit den künftigen Nachbarn führt zu stabileren Nachbarschaften, und die Identifikation mit dem eigenen Quartier wird gestärkt.
Sind Baugruppen also die Vorhut eines neuen Stadtbürgertums, wie es sich viele Städte wünschen? Es ist sicher noch zu früh, diese Frage zu beantworten. Auf jeden Fall stellen sie ein viel versprechendes Modell dar, wie lebendige, sozial und funktional gemischte Viertel entstehen können - also genau das, was man sich unter "Stadt" vorstellt.