Big Brother is ignoring you
Call-In Sendungen im Zeitverzug?
Natürlich ist es peinlich, aber ich muss es gestehen: Ich bin eines Nachts (Donnerstag 4.März, ca. 22.30) im Fernsehen auf Tele5 bei "Nachtfalke" mit Jochen Bendel hängen geblieben. Zur Erklärung der medial weniger bemittelten Leserschaft: Es handelt sich hierbei neuerdings um eine begleitende Berichterstattung zu Big Brother 5. Auf der Webseite des Senders findet sich folgende Beschreibung der Sendung: "In "Big Brother bei Nachtfalke' gibt es Live-Schaltungen, Bilder des Tages, Ausschnitte aus der RTLII-Sendung sowie ausgiebigen Talk und Comedy."
Wie bei kleineren Sendern üblich, ist die Sendung von Call-In Aktionen durchsetzt, darunter auch Spiele: So forderte der Moderator Jochen Bendel diesmal die Zuseher auf, die Länge des Studiotisches in Millimetern zu erraten. Die Regeln waren einfach:
Einfach eine kostenpflichtige Nummer (für 49 Cent/Min) anrufen und danach die vierstellige Zahl über die Tastatur des Telefons eingeben. Ein Computer erklärt anschließend, ob der Tipp zu niedrig, zu hoch oder genau richtig ist. Daneben behält sich der Moderator auch vor, einzelne Anrufer aus der Leitung in die Sendung zu schalten, die dann dort Ihren Tipp live abgeben können. Zur leichteren Eingrenzung schreibt der Co-Moderator die "live" getippten Zahlen auf verschiedene Zettel. Wer als erster die genaue Zahl errät, erhält 500 Euro.
Natürlich ist es noch peinlicher, dass dieses Spiel meinen Jagdinstinkt geweckt hat. Folgende kurze Überlegung ließ in mir die Siegeshoffnung keimen: Ich teile die Suchmenge durch 2 und gebe meinen ersten Tipp ab. In diesem Fall also 5000. Ist die gesuchte Zahl größer, dann tippe ich als nächstes die Hälfte der Teilmenge zwischen 5000 und 9999, also ca. 7500. Ist die gesuchte Zahl kleiner als 5000 so tippe ich als nächstes 2500. In der Folge tippe ich immer auf das mittlere Element des sich weiter eingrenzenden Suchraums und müsste somit nach spätestens 12 Iterationen die richtige Zahl erraten haben.
Natürlich schwingt dabei in meinem Kopf die Überlegung mit, dass ich in diesem Moment der schlaueste Tele5-Zuschauer um diese Uhrzeit bin. 12 Iterationen a là 49 Cent macht knappe 6 Euro. Wenn man schnell genug wählt, am besten automatisiert mit einem Computer, müsste man den Code doch in spätestens 3 Minuten geknackt haben und die 500 Euro einsacken können. Aber so gerne ich mich selbst überschätze, dieser Gedanke kann nicht mir allein gekommen sein. Zumal jeder Informatikstudent im ersten Semester bedeutend bessere Suchalgorithmen kennen lernt.
Oh Gott wie peinlich, jetzt hat er mich
Doch scheinbar hängt gerade keiner dieser Studenten vor dem Schirm. Denn mittlerweile sind schon mindestens 10 Minuten vergangen und das Live-Publikum hat die Länge des Tisches gerade einmal zwischen 4000 und 4200 Millimetern eingegrenzt. Auch wenn das schon recht konkret klingt, im "Worst Case" sind immer noch ungefähr 8 Iterationen offen, wie ich vermeintlich clever im Kopf überschlage. Und Jochen Bendel betont weiterhin, dass noch niemand die genaue Zahl erraten hat.
Oh Gott wie peinlich, jetzt hat er mich. Aber 500 Euro Gewinn für maximal 4 Euro, das ist wahrlich schnelles Geld. Ich greife zum Telefon und fange an, die eingeblendete Nummer zu wählen. Und in diesem Moment passiert das scheinbar Unfassbare: Jochen Bendel dreht sich zu seinem Co-Moderator, den Zettel mit der Geheimnummer locker in der Hand. Für den Bruchteil einer Sekunde kann ich die geheime Zahl am Bildschirm erhaschen. Ich weiß nicht genau, ob es 4126 oder 4128 ist, aber egal.
Ich habe nur noch 2 Ziffern der Hauptnummer zu wählen und ich gerate in leichte Panik. Ich habe nur einen Versuch. Alle mathematischen Überlegungen sind vergessen. Doch ich bin schon im System. Und ich habe eine 50%-Chance. Ich tippe die Nummer ein und...
Das System teilt mir mit, dass ich genau richtig liege. Nur leider zu spät. Ein anderer Teilnehmer hat bereits den Jackpot geknackt. Kein Wunder. Schließlich haben andere Zuseher auch Augen im Kopf und waren eben schneller.
Also locker zurücklehnen, Sportgeist zeigen und mal sehen, wer mich da so knapp geschlagen hat. Jochen Bendel gibt sich ebenfalls locker. Hier ein flotter Spruch und da eine Bemerkung. Ich werde etwas ungeduldig. Jetzt sollte er doch mal den Sieger in die Leitung nehmen und ihn beglückwünschen. Doch einen Sieger gibt es noch nicht. Und Jochen Bendel tönt, dass der Jackpot immer noch nicht geknackt sei. Das sei doch eine einmalige Chance, man sei doch blöd, wenn man jetzt nicht mitmache. 49 Cent für 500 Euro, man wäre doch schon so nahe dran. Aber jetzt kommt erst mal wieder eine Schaltung ins Big Brother Haus. Minuten vergehen.
Doch dann ist es soweit. Jochen Bendel hat wieder jemanden in der Leitung. Das muss jetzt der endgültige Sieger sein. 4160 ist sein Tipp, und Jochen Bendel leidet mit dem Anrufer: Leider falsch. Nicht aufgeben ist das Motto, jetzt ist man ja schon wirklich nahe dran. Nur immer weiterprobieren.
Seit meinem Anruf sind sicherlich weitere 10 Minuten vergangen und ich muss mir anhören, dass der Jackpot offiziell immer noch nicht geknackt worden ist. Ich beschloss in diesem Moment lieber etwas Sinnvolleres zu tun, kaufte mir eine Packung Zigaretten am Automaten und fing wieder das Rauchen an.
Epilog:
Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob es sich bei diesem Fall um gezielten Betrug mit telefonischen Mehrwertdiensten handelt. Wer öfter derartige "Spiele" im Fernsehen verfolgt, weiß, dass es dabei nur um Zeitschinderei geht und die Fragen bewusst so einfach gestellt sind, dass wirklich jedermann sie ohne Probleme lösen kann. Sucht man nach AGBs zum Spielverlauf, so finden sich darin oft Klauseln wie "Der Sender behält sich vor, den Zeitpunkt für die Bekanntgabe des Gewinners selbst zu bestimmen".
Nur bei Nachtfalke lag der Sachverhalt doch etwas anders: Während andere Programmformate es bewusst vermeiden, zu sagen, wann man gewinnt, wurde in der genannten Senndung immer wieder offen kommuniziert, dass der Jackpot noch nicht geknackt sei, obwohl dies schon lange der Fall war. Fragt sich nur, ob sich irgendwo in Deutschland ein Anwalt finden würde, der bei diesen "Kleckerbeträgen" an einem Engagement interessiert wäre.