Bilderberg-Konferenz: Prekariat soll Thema sein
Der Vorsitzende des Lenkungsausschusses verteidigt den Ausschluss der Öffentlichkeit
Die Bilderberg-Gruppe hat gestern auf ihrer Internetseite die Themen- und Mitgliederliste für ihr Treffen vom 9. bis 12. Juni in Dresden veröffentlicht (Ungestört in Dresden: Hochsicherheitszone für die Bilderberger). Insgesamt 11 Spitzenleute aus der deutschen Politik, Wirtschaft und dem Verlagsgeschäft werden an dem Treffen teilnehmen.
Neben Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Innenminister Thomas de Maizière, Finanzminister Wolfgang Schäuble und dem Ministerpräsidenten von Sachsen, Stanislaw Tillich, wird zum ersten Mal auch Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn dem erlauchten Gremium beiwohnen. Hinzu gesellen sich Julia Jäckel (Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr), Mathias Döpfner (Vorstandsvorsitzender von Axel Springer SE), Thomas Ebeling (Vorstandsvorsitzender ProSiebenSat1 Media), Timotheus Höttges (Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom AG), Carsten Kengeter (Vorstandsvorsitzender Deutsche Börse AG), Thomas Enders (Vorstandsvorsitzender Airbus Group), Ulrich Grillo (Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie) und Joe Kaeser (Präsident und Vorstandsvorsitzender der Siemens AG).
Zu den 125 Teilnehmern zählen auch der ehemalige Oberkommandierende der NATO, Philip M. Breedlove, der Premierminister von Belgien, Chefredakteure und Kolumnisten großer Medien und weitere Eliten aus den zentralen gesellschaftlichen Teilbereichen. Überhaupt ist man transatlantisch gestimmt.
Zu den auf der Agenda stehenden Themen hält sich Bilderberg wie gewohnt bedeckt. So steht auf der Themenliste etwa "gegenwärtige Ereignisse", "Geopolitik in Sachen Energie- und Rohstoffpreise" oder einfach nur: "technologische Innovationen". Aus welchen Gründen die Weltenlenker die Themen "Prekariat" und "Mittelklasse" für sich entdeckt haben, bleibt völlig unklar. Auch wer zu welchen Themen spricht, ist nicht ersichtlich.
Immerhin hat sich der Vorsitzende des Lenkungsausschusses des Elitezirkels, Axa-Chef Henrie de Castries, gegenüber der Deutschen Presse Agentur (dpa) in einem Interview erklärt und viele Fragen offen gelassen.
Der Chef des milliardenschweren Versicherungskonzerns könne nicht nachvollziehen, warum der geheime Charakter der Konferenz kritisiert werde, da es doch "jeden Tag zehntausende Treffen gibt, deren Inhalt nicht öffentlich ist". Außerdem führte Castries aus: "Es ist eine informelle Gruppe, die über verschiedene Themen spricht und die Diskussion hinter verschlossenen Türen führt, um die Gespräche zu erleichtern."
Wäre alles doch nur so einfach. Aus den Aussagen wird deutlich, dass die Kernkritik an den diskreten Treffen von dem aus einer adeligen Familie stammenden Castries nicht einmal ansatzweise aufgenommen wird. Der Mangel an demokratischer Transparenz, der vor und zurück durch die gesamte Gruppe und Zusammenkunft wirkt, lässt sich nicht dadurch entkräften, dass es sich hinter verschlossenen Türen leichter reden lasse.
Um einen Vergleich zu gebrauchen: Wenn von staatlicher Seite Wege zur Überwachung von Bürgern im öffentlichen Raum eingeleitet werden, dann wird gerne mal die Phrase bemüht: Wer nichts zu verbergen hat, braucht auch keine Angst vor Überwachung zu haben. Auf Bilderberg übertragen: Warum ist es ein Problem, wenn demokratisch gewählte Vertreter sich mit führenden Persönlichkeiten dieser Welt zu einer drei- bis viertägigen Konferenz treffen und dabei über die großen gesellschaftlichen und politischen Fragen unserer Zeit diskutieren, dem Bürger und Wähler einen Einblick in diese Form der politischen Auseinandersetzung zu gewähren, indem beispielsweise die Presse zugelassen wird?
Nach Castries lasse es sich eben ohne Öffentlichkeit einfacher reden. Man muss nicht tief bohren, um zu erkennen, dass sich in dieser Antwort genau jenes Problem verdichtet, mit dem viele Gesellschaften es zu tun haben: dem Misstrauen gegenüber den Eliten, gegen "die da oben". Grenzt es nicht an einer Beleidigung der Intelligenz, wenn Bürger den undurchsichtigen Charakter der Bilderberg-Konferenz hinterfragen und ihnen dann eine Antwort gegeben wird, die versucht, die ganze Dimension von Macht und Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft durch eine geradezu banale Aussage wegzuwischen?
Die Antworten von Castries erwecken den Eindruck, bei den Teilnehmern der Konferenz handele es sich allesamt um Persönlichkeiten, die aus tiefstem inneren Beweggründen nur das Beste für die Menschen auf diesem Planeten wollten und in keiner Weise von eigenen strategischen Interessen angetrieben würden. Knallharte Machtpolitik? Geostrategische Interessen? Ein vorgelagerter politischer Formierungsprozess einer Machtelite? Nichts passt auch nur im Entferntesten zu Bilderberg - zumindest, wenn man den Ausführungen von Castries folgt.
Um ein realistisches Verständnis davon zu bekommen, warum sich die ansonsten so gerne im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit stehenden Eliten schwer damit tun, offen auch bei nicht verschlossenen Türen zu reden, hilft der Einblick in eine der Bilderberg-Konferenz nicht unähnliche Veranstaltung, die 1995 in Kalifornien stattgefunden und von der der ehemalige Spiegel-Journalist Hans-Peter Martin in dem Buch "Die Globalisierungsfalle" (Auswege aus der Globalisierungsfalle) berichtet hat. Martin war einer von drei Journalisten, die bei der exklusiven Veranstaltung, zu der sich 500 Eliten einfanden, zugelassen war.
"Jetzt hat Gorbatschow 500 führende Politiker, Wirtschaftsführer und Wissenschaftler aus allen Kontinenten einfliegen lassen… Erfahrene alte Weltenlenker wie George Bush,… Margaret Thatcher treffen auf die neuen Herren des Planeten wie CNN-Chef Ted Turner… Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf bemüht sich um deutsche Akzente in der Debatte. Niemand ist zum Schwadronieren angereist. Keiner soll die freie Rede stören, die aufdringliche Journalistenschar wird aufwendig abgeschirmt…
Der angesprochene ist David Packard, Mitbegründer des Hightech-Riesen Hewlett Packard. Der greise Self-made-Milliardär verzieht keine Miene. Mit hellwachem Verstand stellt er lieber die zentrale Frage: 'Wie viele Angestellte brauchst Du wirklich John?' 'Sechs, vielleicht acht', antwortet Gage [damals Manager bei der US-Computerfirma Sun Microsystems] trocken. 'Ohne sie wären wir aufgeschmissen…' Jetzt hakt der Diskussionsleiter, Professor Rustum Roy von der Pennsylvania State University nach: 'Und, wie viele Leute arbeiten derzeit für Sun Systems?' Gage: '16.000. Sie sind bis auf eine kleine Minderheit Rationalisierungsreserve.' Kein Raunen geht da durch den Saal, den Anwesenden ist der Ausblick auf bislang ungeahnte Arbeitslosenheere eine Selbstverständlichkeit… Im Fairmont wird eine Gesellschaftsordnung skizziert: reiche Länder, keinen nennenswerten Mittelstand - und niemand widerspricht…Vielmehr macht der Ausdruck Tittytainment Karriere, den der alte Haudegen Zbiegniew Brzezinski in Spiel bringt… Mit einer Mischung aus betäubender Unterhaltung und ausreichender Ernährung könnte die frustrierte Bevölkerung der Welt schon bei Laune gehalten werden. Nüchtern diskutieren die Manager die möglichen Dosierungen, überlegen, wie denn das wohlhabende Fünftel den überflüssigen Rest beschäftigen könnte. Soziales Engagement der Unternehmen sei beim globalen Wettbewerbsdruck unzumutbar, um die Arbeitslosen müssten sich andere kümmern."
Wenn sich auf diese Weise die Eliten und Machteliten auch auf den Bilderberg-Konferenzen äußern, ist es nur nachzuvollziehen, dass hierbei keine Öffentlichkeit erwünscht ist.