Bilderberg-Untersuchung endgültig abgeblasen
Das schon für 2001 großspurig angekündigte Buch von Renata Adler über die Bilderberg-Konferenzen wird nun doch nicht erscheinen - wieder ein gefundenes Fressen für die Verschwörungstheoretiker
Vor etwa drei Jahren wartete die Perseus Books Group in den USA mit einer kleinen Sensation auf: die Verlagsgruppe, deren Seriösität als verbrieft gelten kann, kündigte für 2001 die Veröffentlichung einer Studie über die ultra-geheimen Bilderberg-Konferenzen an. In Großbritannien sollte der Titel bei Time Warner Books UK erscheinen. Autorin des Buches: Niemand geringeres als die für ihr literarisches und journalistisches Werk vielfach ausgezeichnete Professorin und Journalistin Renata Adler.
Über die von Joseph Retinger und Prinz Bernhard von den Niederlanden initiierten Bilderberg-Konferenzen ist als sichere Information im Grunde nur das in den Pressemitteilungen und verschiedenen Autobiographien immerzu wiederholte Mantra bekannt:
[...] Bilderberg ist nach einem Hotel in Holland benannt, in dem im Mai 1954 das erste Treffen stattfand. Dieses wegweisende Treffen entstand aus der Sorge, die von führenden Bürgern auf beiden Seiten des Atlantiks ausgedrückt wurde, dass Westeuropa und Nordamerika bei gemeinsamen Problemen von kritischer Tragweite nicht ausreichend zusammenarbeiteten, wie sie sollten. Es gab die allgemeine Auffassung, dass regelmäßige, nicht-öffentliche Diskussionen dabei helfen würden, die komplexen Kräfte und wichtigsten Trends zu verstehen, die auf die westlichen Nationen in der Nachkriegszeit wirken. Der Kalte Krieg ist jetzt vorbei. Aber in praktisch jeder Hinsicht gibt es nun mehr und nicht weniger gemeinsame Probleme [...] Kurzum, Bilderberg ist ein kleines, flexibles, informelles und nicht-öffentliches internationales Forum, in dem verschiedene Sichtweisen ausgedrückt und gemeinsames Verständnis gefördert werden können. [...]
Besonders interessant sind die "privaten" Treffen aufgrund der durchweg hochkarätigen, jeweils etwa 100 Teilnehmer aus der westlichen Hemisphäre: Amtierende Staats- und Ministerpräsidenten, Kabinettsmitglieder, Parlamentsmitglieder, Vorstandsvorsitzende von internationalen Konzernen aus allen Branchen, Finanzmagnaten, Chefs von Nachrichtenagenturen, Verleger und Herausgeber führender Zeitungen, Zentralbank-Präsidenten, Universitätsdirektoren sowie Führungskräfte von internationalen Organisationen, um nur Beispiele zu nennen.
Nun ist das Phänomen, dass Führungskräfte aller Art auf inoffiziellen internationalen Konferenzen zusammenkommen und alle möglichen Themen debattieren, an sich nicht besonders spektakulär. Gleiches passiert etwa beim World Economic Forum, dem State of the World Forum oder der Trilateral Commission. Der Unterschied ist aber, dass Bilderberg - abgesehen von den gleichartigen, jährlich wiederkehrenden Pressemitteilungen - nicht die geringste Öffentlichkeitsarbeit macht.
In Deutschland wurde "der unheimliche Kreis um Prinz Bernhard" (Quick vom 19.02.1976) überhaupt erst in den 70er Jahren bekannt. Es gibt keine Berichte, kein Informationsmaterial, keine Website. Statt dessen wird um Ort und Termin der Konferenz alljährlich ein großes Spektakel veranstaltet: Sie bleibt bis zum Abschluss geheim, ganze Hotels werden eigens geräumt und abgeriegelt und die Teilnehmer verpflichten sich, keine Information über die Diskussionsinhalte weiterzugeben.
Es ist also kein Wunder, dass sich Verschwörungstheoretiker jedweder Couleur gerade auf die Bilderberg-Konferenzen stürzen (Bilderberg Group oder: Die große Weltverschwörung). Wo keine restlose Aufklärung gelingt, "saugen sich Verschwörungsdenker wie Parasiten an den Dunkelstellen fest", schreibt die Welt zutreffend. So auch hier. Über Bilderberg werden die wildesten Spekulationen, Geschichten und Theorien in die Welt gesetzt - substantielle und seriöse Untersuchungen gibt es dagegen nicht. Umso bemerkenswerter war die Ankündigung des Buches Private Capacity - The History of the Bilderberg Conference durch die Perseus Books Group:
"In Private Capacity ist eine brillante Untersuchung von Verschwörungstheorien und der ultra-geheimen Bilderberg-Gruppe. [...] Es war nie klar, was die Gruppe tut oder wer ihre Mitglieder sind. [...] Renata Adler's Untersuchung der Bilderberg-Gruppe enthüllt die wahre Geschichte der Organisation, ihre Mitgliedschaft und ihre nebulöse Funktion. Mit einem erstaunlichen Fundus aus den Bilderberg-Archiven und geheimen Papieren, skizziert Adler die Geschichte der Organisation und das Ausmass ihrer Macht. In Private Capacity ist auch eine spektakuläre Untersuchung, warum wir uns nach Verschwörungen sehnen. [...]
Was immer man von dieser später geänderten Beschreibung halten mag, das Buch versprach die erste seriöse Veröffentlichung über die Bilderberg-Konferenzen überhaupt zu werden. Adler hat nicht nur in Harvard, Yale und an der Sorbonne studiert und ist anerkannte Journalistin und Schriftstellerin, sie schreckt auch nicht davor zurück, sich unbeliebt zu machen. Mit ihrem im Frühjahr 2001 erschienenen Buch "Gone: The Last Days of The New Yorker" rechnete Adler mit ihrem früheren Arbeitgeber ab und geriet umgehend unter heftige Gegenkritik.
Aber auch die Perseus Books Group als Verleger von "Private Capacity" schien bemerkenswert. Gründer und Vorsitzender der Verlagsgruppe ist Frank H. Pearl, zugleich Vorsitzender und CEO von Perseus L.L.C., einer Handelsbank und Vermögensverwaltung, deren stellvertretender Vorsitzender James A. Johnson ist - seines Zeichens Mitglied der "American Friends of Bilderberg". Es schien nahe zu liegen, dass Adlers Material aus dieser Richtung lanciert worden sein könnte. Leider wird das Buch nur nie erscheinen. Nachdem die Veröffentlichung verschoben wurde und die Ankündigung des Titels von den Internetseiten der Perseus Books Group verschwand, passierte nichts mehr. Auf Anfrage des Autors teilte der Kommunikationsdirektor von PublicAffairs, eines Labels von Perseus, wo der Titel erscheinen sollte, nun mit:
Upon discussing your inquiry with our publisher, I have been informed that based on mutual agreement between the author, Renata Adler, and the publisher, PublicAffairs, the decision has been made to cancel publication of Private Capacity.
Selbst wenn sie sich "bei diesem spezifischen Thema vielleicht irrten", sei Bilderberg, obwohl "faszinierend", doch kaum ein ganzes Buch wert, so die Begründung:
While both the author and the publisher agree that the subject matter of of the proposed book is fascinating, both parties also agree that a full length book treatment of the subject is probably not necessary. Often times in the publishing world, what seems like a grand idea for a book turns out to be better at a shorter, magazine article length.
Was bleibt, sind die Bilderberg-üblichen Nebel. Die offizielle Begründung des Verlags, das Buch doch nicht zu veröffentlichen, ist bedauerlicherweise nicht sehr überzeugend. Fest steht jedenfalls, dass Frank H. Pearl 2001 erstmals an einer Bilderberg-Konferenz teilgenommen hat und zuletzt 2002. Sein Bankiers-Kollege Johnson war ab 2000 immer dabei. Wurde bei diesen Gelegenheiten Einfluss ausgeübt, um die Publikation zu verhindern? Oder sollte die Studie nun doch nicht lanciert werden? Oder hatte Renata Adler einfach keine Lust mehr, sich nach dem Stress mit der New York Times und dem New Yorker wieder unmöglich zu machen?
Auf diese und andere Fragen werden die Verschwörungsexperten sicherlich eine Menge Antworten finden. Die Art und Weise, wie Bilderberg mit der Öffentlichkeit umgeht, spielt Wahnvorstellungen allerdings in die Hände und ist damit für das inhaltliche Anliegen der Konferenz eigentlich kontraproduktiv. Angesichts der Teilnehmerlisten ist die "PR" ein klares Auslaufmodell, das einiger Kritik würdig ist:
There is a perception of illegitimacy about unaccountable corporate power and governments elected on low turnout: sooner or later global power-brokers will have to recognise this crisis of legitimacy, and engage with protestors rather than run away from them.
schrieb der Guardian anlässlich der Bilderberg-Konferenz von 2001 passend
Immerhin steht Renata Adler, so PublicAffairs, noch unter Vertrag "and we do expect to publish a book, but the exact subject matter of the new book has yet to be determined." Wie wäre es denn mal mit einem Kochbuch?