Billig hat seinen Preis
Das Geschäftsmodell von Wal-Mart unter der Lupe von Peter Greenwald
Billig kann ganz schön teuer sein. Jedenfalls versucht der amerikanische Regisseur Peter Greenwald in seinem neuesten Dokumentarfilm "Wal-Mart - The High Cost of Low Prices" deutlich zu machen, wie teuer das Geschäftsmodell der Einkaufscenter-Kette Wal-Mart tatsächlich ist.
Schicht für Schicht entlarvt Greenwald den milliardenschweren Konzern als Sozialschmarotzer, der nicht nur seine eigenen Angestellten ausbeutet und die Konkurrenz vor Ort in die Knie zwingt. Greenwald zeigt auch, welche Kosten das Geschäftsmodell des Giganten bei den umliegenden Gemeinden, Umweltbehörden sowie im amerikanischen Gesundheits- und Sozialsystem verursacht.
Mit schwierigen Themen hat Greenwald bereits Erfahrung. Sein letzter Film von "Outfoxed: Rupert Murdoch's War on Journalism" (2004; vgl. Outfoxed) nahm den amerikanischen Fernsehsender Fox News unter die Lupe. Im Rückblick jedoch meinte Greenwald, es sei weitaus leichter gewesen, (ehemalige) Mitarbeiter von Fox News vor die Kamera zu bekommen als (ehemalige) Wal-Mart-Angestellte. Zu groß war die Angst vor Repressionen - selbst wenn das Arbeitsverhältnis längst nicht mehr bestand.
Natürlich hat Greenwald auch die Konzernspitze um Interviews gebeten, um diese dann im Film zu verarbeiten. Doch daran hatte Wal-Mart kein Interesse. Stattdessen versucht die PR-Abteilung des Konzerns, die Doku und ihre Macher in Misskredit zu bringen, seitdem der Film auf DVD erhältlich ist.
Geisterstädte, sobald Wal-Mart das Geschäft an sich gerissen hat
Die Reise ins Universum des Billig-Discounters beginnt bei der Konkurrenz vor Ort. Erstes Beispiel: Middlefield, Ohio, H&H Hardware Store. Familie Hunter betreibt seit 1962 ein Geschäft für Heimwerker- und Jagdbedarf. Im Mai 2005 eröffnet am Stadtrand ein neuer Wal-Mart. Firmengründer Jon Hunter sieht das mit Sorge, doch seine Söhne glauben, mit Kundenservice könnten sie sich positiv von Wal-Mart abgrenzen und zumindest ihre Stammkunden halten.
Kurze Zeit später herrscht Ausverkauf. Auch das Gebäude, gerade mal zehn Jahre alt, steht zum Verkauf. Doch die Preise sind gefallen. Nicht nur für Waren und Dienstleistungen, auch für Grundstücke und die Gebäude, die darauf stehen. Hunter hat auf seiner Bank erfahren, dass die Immobilienpreise generell fallen, sobald ein Wal-Mart in der Gegend eröffnet.
Middlefield ist kein Einzelfall. Überall in den Vereinigten Staaten entstehen Geisterstädte, sobald Wal-Mart das Geschäft an sich gerissen hat. Natürlich ist niemand gezwungen, bei Wal-Mart einzukaufen, doch das Angebot ist verlockend, und ehe die Menschen aus der Gegend begriffen haben, welche Konsequenz ihr Einkaufsverhalten hat, ist es zu spät. Mit am schlimmsten sind die Mitarbeiter von Wal-Mart dran. Sie verdienen so wenig, dass sie sich oft noch nicht einmal eine Krankenversicherung für sich und oder ihre Kinder leisten können.
Beihilfen zur Miete und teilweise sogar für Lebensmittel
Eigentlich sind amerikanische Firmen verpflichtet, ihre Mitarbeiter in Sachen Krankenversicherung und Altersvorsorge zu unterstützen. Doch die Firma Wal-Mart, die im Geschäftsjahr 2005 weltweit einen Umsatz von 312,4 Milliarden Dollar und 11,2 Milliarden Dollar Gewinn gemacht hat, rät seinen Mitarbeitern, staatliche Beihilfen zu beantragen. Weniger als 45 Prozent der Angestellten können sich die betriebseigene Krankenversicherung leisten. Allein im Bundesstaat Florida erhalten über 12.000 Wal-Mart Mitarbeiter staatliche Beihilfen zur Krankenversicherung.
Auch Beihilfen zur Miete und teilweise sogar für Lebensmittel müssen gewährt werden, weil der Lohn nicht ausreicht. Hochgerechnet kostet ein Wal-Mart mit 200 Mitarbeitern die öffentliche Hand rund 420.750 US-Dollar im Jahr. Jeder Mitarbeiter kostet den Steuerzahler bzw. die öffentlichen Kassen also jährlich rund 2.100 Dollar. Eine der bekanntesten Studien zu den verdeckten Kosten von Wal-Mart wurde an der Universität in Berkeley erstellt, eine weitere hat der demokratische Kongressabgeordnete George Miller im Februar 2004 veröffentlicht.
Als wären diese Arbeitsbedingungen nicht schon erbärmlich genug, wird von den Angestellten - von Wal-Mart euphemistisch "Partner" ("Associates") genannt - erwartet, dass sie nicht nur auf ihre Mittagspause verzichten, sondern auch unbezahlte Überstunden machen. Die wenigsten Fälle kommen vor Gericht, und noch seltener gewinnen die Kläger. Doch kurz vor Weihnachten 2005 entschied ein Gericht in Kalifornien, dass Wal-Mart 172 Millionen Dollar (ca. 145 Millionen Euro) Schadenersatz für verweigerte Mittagspausen zahlen muss. Weitere Verfahren sind anhängig, allein 40 befassen sich mit Verstößen gegen die Arbeitsplatzvorschriften.
Wal-Marts "Ethikrichtlinie" in Deutschland
Besonders massiv geht die Konzernleitung in den Vereinigten Staaten gegen jede Form von gewerkschaftlichem Engagement vor. Allein der Verdacht, jemand könne sich in Sachen Arbeitsrecht mit Kollegen absprechen, reicht als Kündigungsgrund. Betriebe mit aufmüpfigem Personal bekommen in den USA umgehend Besuch von einem Expertenteam, das im firmeneigenen Jet anreist.
Anders als in den Vereinigten Staaten dürfen sich Wal-Mart-Mitarbeiter in Deutschland gewerkschaftlich engagieren. Das liegt daran, dass Wal-Mart bei seinem Markteintritt Unternehmen übernommen hat, deren Mitarbeiter bereits in der Gewerkschaft waren. Dafür geriet Wal-Mart Deutschland im vergangenen Jahr für seine so genannte "Ethikrichtlinie" in die Schlagzeilen. Das Regelwerk befasste sich unter anderem mit zwischenmenschlichen Beziehungen am Arbeitsplatz und untersagte den Mitarbeitern unter anderem, sich abends nach der Arbeit zum Rendezvous zu treffen. Das Düsseldorfer Landesarbeitsgericht sah darin einen Verstoß gegen das Grundgesetz und insbesondere gegen die dort verankerten Persönlichkeitsrechte.
Auch mit dem kommerziellen Erfolg will es in Deutschland nicht so recht klappen. Seit der Eröffnung des ersten Megastores im Jahr 1997 schreibt Wal-Mart in Deutschland rote Zahlen, demnächst sollen drei der insgesamt 90 Filialen geschlossen werden. Zu stark sei hierzulande die Konkurrenz durch Aldi, Lidl und Co. Was aber noch lange nicht heißen muss, dass die Arbeitsbedingungen dort grundsätzlich anders sind, wie etwa der Fall Lidl (vgl. Das System Lidl) zeigt.
Hohe Kriminalitätsrate auf den Parkplätzen von Wal-Mart
In den USA geht der Konzern vor allem in Hinblick auf gewerkschaftliche Unterwanderung noch einen Schritt weiter: Sämtliche Filialen wurden zwecks Mitarbeiterüberwachung mit unzähligen Videokameras ausgestattet. Gleichzeitig herrscht auf den Parkplätzen von Wal-Mart mit die höchste Kriminalitätsrate der Vereinigten Staaten. Zwar gibt es vereinzelt Kameras, die nach außen gerichtet sind, doch kümmert sich niemand um die Auswertung der Außenaufnahmen.
Die Palette der Verbrechen reicht von Taschendiebstahl bis hin zu Entführung, Vergewaltigung und Mord. Allein in den ersten sieben Monaten des Jahres 2005 wurden 70 Gewalttaten auf Wal-Mart Parkplätzen registriert. Eine interne Studie ergab zwar, dass es auf den Kundenparkplätzen Sicherheitsmängel gibt und dass man die Kriminalitätsrate durch den Einsatz von Kontrollfahrzeugen auf Null drücken könnte, entsprechende Maßnahmen wurden jedoch nicht ergriffen.
Gemeinden in den USA wehren sich
Immer wieder stellt Greenwald in seiner Dokumentation Anspruch und Wirklichkeit gegenüber, indem er Ausschnitte aus Vorträgen von Konzernchef Lee Scott oder offiziellen Wal-Mart Werbespots zeigt und im Gegenzug ehemalige Mitarbeiter zu Wort kommen lässt. Einige davon waren über Jahrzehnte in leitenden Positionen tätig, andere schlugen sich als kleine Angestellte durch. In einem Exkurs nach Shenzen, China, wird außerdem gezeigt, unter welchen Bedingungen die Billigimporte aus Fernost hergestellt werden.
Auch das Thema Umweltschutz, von Wal-Mart offiziell als Herzensangelegenheit bezeichnet, liegt im Argen. In mehreren Fällen wurde der Konzern wegen der Verschmutzung oder Gefährdung der Wasserversorgung angeklagt. In den Jahren 2001, 2004 und 2005 musste Wal-Mart nach Recherchen von Robert Greenwald insgesamt 5,25 Millionen Dollar Strafe zahlen.
Angesichts der vielfältigen Probleme, die der Konzern mit sich bringt, wehren sich insbesondere in den USA immer mehr Gemeinden gegen eine geplante Ansiedelung des Shopping-Giganten, zum Beispiel in Bend, Oregon. Bislang waren die Gemeinden auf sich selbst angewiesen, es gab kaum Austausch mit anderen Betroffenen. Das hat sich spätestens mit der Veröffentlichung von Greenwalds Doku geändert. In den USA kam die DVD im November 2005 auf den Markt. Auch im Kino war sie zu sehen.
Blanke Angst bei Verleihfirmen
In Europa lief sie bislang nur in der Reihe "Panorama Dokumente" auf der diesjährigen Berlinale. Ein Verleih für Deutschland hatte sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefunden. Nur in Großbritannien hat sich jemand bereit erklärt, den Film in sein Programm aufzunehmen.
Überall sonst herrscht blanke Angst, schließlich geht es um die Zweitverwertung der Filmrechte auf DVD. Denn Wal-Mart ist für den DVD-Verkauf einer der wichtigsten Kunden, und die Verleiher fürchten, dass sie keinen einzigen ihrer Filme mehr bei Wal-Mart unterbringen, wenn sie erst mal die Greenwald-Doku im Programm haben.
Für Greenwald ist die Zurückhaltung der Verleiher nicht wirklich ein Problem. Er setzt - wie bei seinen früheren Produktionen - auf Guerilla-Marketing und in diesem Rahmen insbesondere auf den Verkauf der DVD über die unterschiedlichsten Kanäle. Andererseits weiß er genau: wenn er ein breites Publikum erreichen will, dann ist Kino die beste Adresse. Denn via Guerilla-Marketing erreicht er vor allem die Leute, die sowieso schon seiner Meinung sind.