Bio für alle?

Trotz wachsender Nachfrage stiegen in den letzten Jahren nur wenige Landwirte auf ökologische Bewirtschaftung um

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Der Öko-Markt boomt. Doch Bio-Ware aus deutscher Produktion werde knapp, beklagten kürzlich Fachverbände. Konservative Bauernfunktionäre hätten den Trend verschlafen. Stimmt nicht, kontert der deutsche Bauernverband. Der Umstieg sei in den letzten Jahren wenig attraktiv gewesen. Es wären kaum Fördermittel bereitgestellt worden. Der Anbau von Energiepflanzen sei überdies lukrativer als die Produktion für die Lebensmittelbranche. Indes versucht der Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) mit dem Projekt „100 % Bio“ Öffentlichkeit und Politik für mehr Engagement in diese Richtung zu gewinnen.

„Hafer ist europaweit ausverkauft, Eier sind in Deutschland und Frankreich nicht mehr zu haben und bei Kartoffeln weiß niemand, wie die Verbraucher ab Mitte Januar zu bedienen sind.“ So umriss Ulrich Hamm, Fachgebietsleiter für Agrar- und Lebensmittelmarketing an der Universität Kassel, den derzeitigen Produktengpass bei Bio-Ware gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Dr. Alexander Gerber, Geschäftsführer des Bundes ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), kann das bestätigen. „Auch bei Bio-Dinkel wird es im Moment eng und bei Milchprodukten. Die Unternehmen werden zukaufen müssen, würden sich aber wünschen, die Nachfrage aus deutscher Produktion besser abdecken zu können“, erklärt er im Telepolis-Gespräch.

Experten machen zum einen die schlechte Ernte 2006 aufgrund ungünstiger Witterungsbedingungen für die Situation verantwortlich, zum anderen aber auch das mäßige Interesse der heimischen Landwirte an einem Umstieg auf ökologischen Landbau. Diverse Wirtschaftsforscher sprechen davon, dass die Bauern den Öko-Trend „verschlafen“ hätten. „Allein 2005 ist der Gesamtumsatz des Biomarktes um 11 Prozent gestiegen. Die ökologisch bewirtschaftete Fläche ist dagegen nur um 5 Prozent gestiegen“, konkretisiert die Grünen-Abgeordnete Ulrike Höfken, Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Bundestag. Tatsächlich boomt der Bio-Markt seit Jahren. „Der Öko-Markt in Deutschland hatte nach einem Umsatzsprung im Jahre 2001 von über 30 Prozent in den Folgejahren eine angedeutete Stagnation durchlebt. Zwar wuchsen die Umsätze noch an, jedoch mit rückläufigen Raten. In 2003 waren es im Vorjahresvergleich noch knapp 3 Prozent Zuwachs. Doch dann setzte ab Ende 2003 wieder eine deutliche Belebung der Umsatzzuwächse ein. Seither wächst der Markt jedes Jahr zweistellig“, berichtet das Fachportal Ökolandbau.de basierend auf einer ausführlichen Analyse von Prof. Hamm. Der größte Anschub kam durch den Einstieg der Discounter. Denn auch Aldi & Co bieten inzwischen Bio-Ware an.

Doch demnächst bereits könnte der Kunde vielfach auf die Bio-Kartoffel aus Ägypten angewiesen sein, was vor allem ökologisch-orientierte Menschen in die Zwickmühle bringt. Denn aus Sicht der Umwelt sind regionale Produkte vorzuziehen. Die Gurke, die per Flugzeug kommt und in Wintermonaten auch in diversen Bio-Läden angeboten wird, kann einen „echten Grünen“ ohnehin nicht überzeugen. Bei regionalen Getreideprodukten oder heimischem Lagergemüse schmerzen aber Engpässe.

Die nackten Zahlen zeigen eindeutig, dass sich der deutsche Markt nicht gemäß den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage entwickelt hat. Selbst der mächtige deutsche Bauernverband wünscht sich deshalb eine bessere Abdeckung der Nachfrage durch die deutsche Produktion. Eine verspätete Einsicht, urteilt die Grünen-Abgeordnete Höfken sinngemäß. Gerade der Bauernverband hätte Öko immer wieder torpediert.

Noch auf dem Bauerntag 2005 hatte der Bauernverband die Politik der grünen Agrarwende der damaligen Ministerin Künast als ‚unwirtschaftlich’ und ‚politische Spielwiese’ scharf kritisiert (Rostocker Erklärung). Die Politik des Bauernverbandes hat die Bauern aus ideologischen und parteipolitischen Gründen von der innovativen Bio-Ausrichtung abgehalten.

Ulrike Höfken

Energie statt Nahrung?

So will es der Bauernverband nicht sehen. Die Landwirte hätten sich eben an den wirtschaftlichen und förderpolitischen Gegebenheiten orientiert. „Wer den deutschen Bauern vorwirft, dass sie den Biotrend verschlafen hätten, verkennt die Tatsache, dass sich die Erzeugung nach den strengen gesetzlichen Richtlinien des ökologischen Landbaus – anders als die Einlistung im Supermarkt – nicht beliebig von jetzt auf gleich ausdehnen lässt“, erklärte Helmut Born, Generalsekretär des DBV, in einer Presseaussendung. Er verwies auf die zwei- bis dreijährige Umstellungszeit, die eine rasche Marktanpassung verhindere und das finanzielle Risiko für umstellungsinteressierte Landwirte erhöhe. Ein Landwirt, der mit seinen Produkten heute neu in den Biomarkt einsteigen wolle, hätte sich bereits vor drei Jahren für die Umstellung seines Betriebes auf die ökologische Wirtschaftsweise entscheiden müssen. Damals sei die Marktsituation jedoch noch ganz anders gewesen, die Preise für Bioprodukte seien nach BSE und Nitrofen im Keller gewesen und erhebliche Mengen Biomilch mussten konventionell vermarktet werden, argumentiert der DBV.

Zwar hätten sich im Jahr 2005 die Erzeugerpreise für Bioprodukte endlich wieder langsam erholt. Gleichzeitig hätten aber die Bundesländer mit Blick auf die neue Förderperiode ab 2007 nach und nach die Förderung von Neu-Umstellern im Rahmen der Agrarumweltprogramme ausgesetzt. Durch den Einstieg in die Förderung nachwachsender Rohstoffe und erneuerbarer Energien hätten sich für die Landwirte zudem auch andere Optionen zur Weiterentwicklung ihrer Betriebe aufgetan. Dies erklärt nach Ansicht von Born die vergleichsweise geringen Umstellungsraten der letzten Jahre. Die Bauern hätten sich damit wirtschaftlich richtig verhalten, verteidigt sich der DBV. Schließlich sollten auch die Händler bessere Preise zahlen, wenn sie mehr Bio möchten. „Bio funktioniert nicht zu Billigpreisen“, resümiert der DBV.

Handlungsbedarf für die Politik

Bei allen Differenzen, in einem Punkt sind sich DBV, Grüne und BÖLW einig: Die große Koalition sollte auf die steigende Nachfrage bei Bioprodukten reagieren und entsprechende förderpolitische Maßnahmen setzen, um die heimische Produktion anzukurbeln. Der Agrarbereich orientiert sich eben stark an den Subventionsbedingungen. In diesem Zusammenhang kritisiert Höfken, dass „Öko-Betriebe ab 2007 auf bis zu 40 Prozent ihrer Förderung verzichten müssten“. Mit Subventionskürzungen müssen aber auch konventionell wirtschaftende Betriebe rechnen, da die EU Agrarförderungen insgesamt drastisch herunterfahren will. Höfken dazu: „Besonders zerstörerisch für die deutschen Bauern wirken die von Frau Merkel auf EU-Ebene beschlossenen Kürzungen von jährlich rund 700 Millionen Euro für Deutschland.“ Wie sich diese Ausrichtung der EU auf die Lebensmittelpreise im Allgemeinen auswirken wird, muss sich erst weisen. Ebenso sehen Kritiker die Gefahr, dass wieder Großbetriebe am meisten profitieren werden - unabhängig davon, ob sie nachhaltig produzieren oder nicht.

Der Ökobereich will jedenfalls nicht mehr „stiefmütterlich“ behandelt werden und einen fairen Anteil an den Subventionen erhalten. Der Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖWL) sieht im ökologischen Landbau eine Zukunftsperspektive für Deutschland und will diese der Öffentlichkeit und der Politik schmackhaft machen. Unter dem Projekttitel „100 % Bio“ will man verschiedenste Institute mit Untersuchungen beauftragen, um die ökologische und ökonomische Sinnhaftigkeit der Ausweitung des Biolandbaus in Deutschland auch wissenschaftlich zu dokumentieren. Geschäftsführer Alexander Gerber im Telepolis-Gespräch:

Hundert Prozent bio klingt - und ist - utopisch wenn man an die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre denkt. Grundsätzlich muss man aber für die Ausrichtung der Landwirtschaft ökologische, arbeitsmarktpolitische und volkswirtschaftliche Aspekte langfristig berücksichtigen. Und da ist Bio wirklich eine Alternative. – Uns geht es auch um eine öffentliche Diskussion, wie Steuermittel in der Landwirtschaft sinnvoll und nachhaltig eingesetzt werden können.

Alexander Gerber

Inzwischen gibt es tatsächlich einige, wenige Studien, die bei diversen Kultursorten sogar zeigen, dass langfristig nur geringfügige Ertragsunterschiede zur konventionellen Bewirtschaftung bestehen. Die Datenlage zu ökologischen Aspekten ist besser und da hat der Öko-Landbau eindeutig die Nase vorn. Sowohl bei Bodenbeschaffenheit als auch bei Energieverbrauch schneidet der Biolandbau wesentlich besser ab als die industrialisierte, konventionelle Landwirtschaft. Um die ökologische Landwirtschaft noch zu verbessern, erhofft sich Gerber auch entsprechende Forschungsmittel. „Wir möchten, dass der Anteil für die Forschung zum Ökologischen Landbau am Gesamtetat öffentlicher Mittel für die Agrarforschung mindestens dem Bio-Flächenanteil entspricht. Das wären derzeit ca. 5 Prozent, die bei weitem noch nicht erreicht sind.“

Der Ausweitung des Anbaus von Energiepflanzen blickt Gerber mit gemischten Gefühlen entgegen. Er warnt davor, beim Anbau von nachwachsenden Rohstoffen zur Energiegewinnung „alte Fehler zu wiederholen“. Die derzeitige Entwicklung drohe in eine Spirale von Monokulturen, Schädlingsdruck und Pestizideinsatz und damit zu Agrarwüsten und neuen Umweltproblemen zu führen. Gerber: „Wenn erst einmal genug Probleme aufgebaut sind, fordert man Reparatur durch Gentechnik– solche Töne sind heute schon zu hören."