Bis dass der Tod euch scheidet
Frankreich und die Atomkraft: Eine schier endlose Liebesgeschichte. Daran können auch die Vorgänge in Japan kaum etwas ändern
Begonnen hat Frankreich seine atomare Geschichte nicht mit der zivilen Anwendung, sondern mit der Bombe, auf die General de Gaulle 1960 drängte, um weder von den USA noch der UDSSR dominiert zu werden. Seitdem ist die Nukleartechnologie der Grande Nation noch immer vom Militärgeheimnis umgeben, auch wenn heutzutage freilich Transparenz vorgegeben wird. Bei genauerer Betrachtung erweist sich allerdings, dass Demokratie und Transparenz in Sachen Nukleartechnologie, sowohl der zivilen wie der militärischen, nach wie vor Fremdworte geblieben sind.
So ist der Bericht zur Lage der Atomenergie vom Juli 2010 des ehemaligen EDF Geschäftsführer Francois Roussely als Militärgeheimnis eingestuft worden Vor allem was die Widerstandsfähigkeit der Atommeiler gegen terroristische Attacken, Flugzeugabstürze, Erdbeben usw. anlangt.
Warum dies dem französischen Volk nicht bekannt gegeben werden kann, sei dahingestellt. Weil diese Informationen dem gemeinen französischen Bürger Angst machen könnten? Oder, oh Graus, von der Atomenergie abbringen könnten? Diese Operation ist offenbar vollauf gelungen: Denn abgesehen von den Grünen und einigen Anti-Atomorganisationen ist auch seit der Katastrophe in Fukushima nicht wirklich mehr Widerstand gegen die Kernkraft in der französischen Bevölkerung zu verspüren.
Bei den Kantonalwahlen dieses und vergangenes Wochenende hat die grüne Partei Europe Ecologie nicht wirklich die Wähler mit ihrem seit Jahren gepredigten Ausstieg aus der Kernkraft mobilisieren können. Sieger dieser Kantonalwahlen war die Wahlenthaltung. Mehr als die Hälfte des Wahlvolkes war von den Urnen ferngeblieben, und die rechtsextreme FN schlug mit Prozent der Stimmen zum Entsetzen aller die regierende UMP. Klarer Sieger ist aber trotzdem die sozialistische Partei.
Der Bericht zur Zukunft der Nuklearpolitik Frankreichs ist nur auf Englisch zu bekommen. Militärgeheimnis exklusive natürlich. Die Grünen haben letzten Juli im Parlament die Ministerin für Hochschulwesen und Forschung, Valerie Pecresse, gefragt, warum denn dieser „Rapport Roussely“, als Militärgeheimnis eingestuft wurde? Trockene Antwort der Ministerin: „Ich bin nicht Verteidigungsministerin!“ Und dabei blieb es. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Denn in Frankreich ist die Nukleartechnologie seit über 50 Jahren so fest verankert, dass man sie nicht einmal hinterfragen kann.
Sowohl seitens der liberalen Exekutive und der sozialistischen Opposition: Allen voran natürlich Präsident Sarkozy, der keinesfalls aus der französischen Kernkraft aussteigen will, hält er sie doch nach wie vor zweckdienlich. Die sozialistische Opposition lässt nur äußerst zögerliche kritische Töne vernehmen.
So soll nach ihren Vorstellungen zunächst einmal ein Untersuchungsverfahren zu den französischen Meilern eingeleitet werden; ein Ausstieg aus der Kernkraft könne in 20 bis 30 Jahren ins Auge gefasst werden. Für Kraftwerke, die in überschwemmbaren Zonen lägen, sollten besondere Vorsichtsmaßnahmen gelten. Premier Fillon gibt ähnliche Versprechungen und will, dass die Atomsicherheitsbehörde ASN bis Ende des Jahres Untersuchungen zur Widerstandsfähigkeit der Atomkraftwerke durchführt. Und dies in aller Transparenz, wie die Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet. betont:
Denn in Sachen Transparenz ist Frankreich nicht immer beispielhaft gewesen. Sie hat viel vom Unfall in Tschernobyl gelernt.
Verhilft erst eine nukleare Katastrophe zu mehr Demokratie?
Denn die Erde bebt bekanntlich nicht nur im Kernkraftland Japan. Auch im atomaren Frankreich ist es um die Sicherheit der Kernkraftwerke nicht so gut bestellt. Wie das Online-Medium rue 89 berichtet, musste die Behörde für die nukleare Sicherheit, die ASN (L'Autorité de sûreté nucléaire) den Stromkonzern EDF kürzlich zur Ordnung rufen, weil manche Daten, welche die Sicherheit der Atommeiler betreffen, gefälscht worden seien. Vor allem was deren Widerstandsfähigkeit im Falle von Erbeben betreffe.
Die EDF war von Erdbebenstärken ausgegangen, die unter den vom IRSN (Institut für den Strahlenschutz und die nukleare Sicherheit) vorgegebenen Normen lagen, die freilich von größtmöglichen Erdbebenstärken ausgehen. Acht Kernkraftwerke liegen in Erdbebenzonen.
Vor allem das Kraftwerk von Fessenheim im Elsass bereitet Kopfzerbrechen. Ist es doch das älteste noch in Betrieb befindliche Kernkraftwerk. Seit 1977 spaltet die alte Dame nun schon Atomkerne und über ihren Werdegang soll erst 2012 entschieden werden. Falls bis dorthin nicht die Erde bebt, da die Region ein seismisch aktives Gebiet ist. Für die Grünen und manche sozialistische Abgeordnete, wie Aurélie Filippetti, müssen Kraftwerke die schon über 30 Jahre lang in Betrieb sind, Fessenheim z.B., schleunigst in Pension geschickt werden. Aber auch das südfranzösische Cadarache, da wo gerade an der Kernfusion mit dem milliardenschweren Projekt ITER gebastelt wird, liegt auf einer der aktivsten Erdbebenspalten Frankreichs.
Michèle Rivasi, europäische Abgeordnete von „Europe Ecologie“ und Gründerin der Kommission zur unabhängigen Forschung und Information zur Radioaktivität, CRIIRAD , bezichtigt die französische Atompolitik eines Mangels an Demokratie:
Man merkt, dass in Ländern, wo eine echte demokratische Debatte statt gefunden hat, wie in Deutschland z.B., die Kernkraft zurückgegangen ist. (…) Diese Debatte ist in Frankreich niemals demokratisch geführt worden. Ebenso wie in Russland oder Japan. In diesen drei Ländern ist die Kernkraft den Bevölkerungen regelrecht aufgezwungen worden. (...) Man hat das Gefühl, dass in Frankreich erst auf eine Katastrophe gewartet werden muss, um mehr Demokratie in Sachen Kernkraft zu erlangen. Dies erscheint mir leider der einzige Weg zu sein.
Von existierenden und nicht existierenden radioaktiven Wolken
Die CRIIRAD ist übrigens während des Unfalls von Tschernobyl 1986 gegründet worden, als die staatlichen Behörden unverhohlen über den angeblichen Nicht-Durchzug der radioaktiven Wolke aus der Ukraine gelogen hatten (siehe Frankreichs wolkendichte Grenzen), und sogar behauptet wurde, dass die in Frankreich gemessene Radioaktivität weit unter den Grenzwerten liegen würden. Fragwürdige Messdaten, die damals von unabhängigen Wissenschaftern stark bezweifelt wurden. Um an objektive Messdaten der herrschenden erhöhten Radioaktivität zu gelangen, musste man eben selber messen. Die CRIIRAD und der Verein der Schilddrüsenkranken AMFT haben 2001 Klage erhoben.
Jetzt, 25 Jahre danach und mit einigen Schilddrüsenkranken mehr - vor allem in Korsika, das dem radioaktivem Fallout besonders ausgesetzt war - soll das Verfahren gegen Pr Pierre Pellerin, eingestellt werden, der damals die französische Bevölkerung am fleißigsten versuchte hatte zu beruhigen, sprich zu belügen. Und das obwohl die Geigerzähler eher Alarmierendes zu vermelden hatten. Pellerin hat Einspruch gegen die Klage der CRIRAAD und der Vereinigung der Schilddrüsenkranken erhoben. Ende März soll die Sache entschieden werden. Zur Zeit ist eine Wolke aus Fukushima über dem französischem Territorium, und die Geigerzähler gehen diesmal weg wie warme Semmeln .Eine radioaktive Wolke ist nun wieder da und das Vertrauen in die Behörden offenbar endgültig weg.
Die MOX-Brennstäbe, die im Reaktor 3 von Fukushima Sorgen bereiten, sind übrigens „Made in France“. Vom Atomkonzern Areva, um genau zu sein. AREVA vermeldete noch zu Beginn dieses Jahres, dass in Japan 4 Reaktoren mit MOX-Brennstäben geladen seien. Nun schickt AREVA ein Flugzeug mit 3 000 Schutzmasken, 10 000 Schutzanzügen, 20 000 Handschuhen und Borsäure, die von der EDF gestiftet wurde, nach Japan.
Die verleugnete Wolke von Tschernobyl scheint jedenfalls ein tiefes Schuldgefühl bei den zuständigen Autoritäten hinterlassen zu haben. Hat die IRSN doch im ganzen Land Sonden angebracht, um die Radioaktivität der „Rauchsäule“, die nicht mehr Wolke genannt wird, vor den Augen der Öffentlichkeit rund um die Uhr zu messen.
Der Herausgeber der Libération, Nicolas Demorand, meint, dass die japanische Katastrophe die hochnuklearisierte Grande Nation, dazu zwinge ihre Energiepolitik zu überdenken:
Ist die Nuklearenergie unser Schicksal? (...) Jedenfalls Teil unserer Geschichte, wo man auf De Gaulle, Pompidou und dem eisernen Willen zur Unabhängigkeit, auch energetischen, stößt. Einem Land, dass von dieser Geschichte des Optimismus und Glaubens an die technologisch-bürokratische Modernität geprägt ist.(...) Fukushima räumt nun mit diesem Glauben gründlich auf und zwingt uns, anzuerkennen, dass man nun wohl davon ausgehen muss, dass das Schlimmste gewiss ist.
58 Reaktoren stehen zur Wahl. Zum Abschluss noch dieser erbaulicher Werbespot von EDF, der zeigt wie sexy es ist, in der Nuklearbranche zu arbeiten. Die spinnen diese Gallier!