Bizarre Selfies: Wie Musk und Weidel auf X Performance machen

Hände eines Hirten, möglicherweise göttlicher Berufung, locken ein Schaf

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Millionen Nutzer verfolgen das Gespräch der Selbstdarsteller. Experten sehen darin eine beunruhigende Transformation des politischen Systems. Knalleffekt für die AfD?

"4,9 Millionen Mal angezeigt" ist am heutigen Freitag, den 10. Januar 2025, mittags gegen 12 Uhr 45 unter dem Gespräch zwischen dem Tech-Oligarchen Elon Musk und der AfD-Politikerin Alice Weidel auf der Musk-Plattform X zu lesen.

Das spricht für eine ansehnliche Reichweite. Wie sehr die Spitzenkandidatin der deutschen völkisch-rechten Partei die internationale Aufmerksamkeit in Stimmengewinne bei der Bundestagswahl am 23. Februar ummünzen kann, kann noch niemand sagen.

Beinflussung des Wahlverhaltens?

Experten, die Gabor Halasz vom ARD-Hauptstadtstudio zum "Gespräch ohne Widerspruch", das gestern Abend auf X übertragen wurde, befragt hat, bestätigten zwar, dass diese Aufmerksamkeit in Zeiten des Wahlkampfs "natürlich sehr von Vorteil" (Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann) ist, zu konkreteren Aussagen über das Verhalten bei der Stimmabgabe wollte sich aber keiner äußern.

Unübersehbar ist der Konsens, dass es sich hier um eine Einflussnahme vonseiten des US-Milliardärs und Mega-Influencers handelt, die den Öffentlichkeitsexperten und Medienrechtlern nicht geheuer ist. Dass diese Art der Wahlwerbung juristisch geprüft werden sollte und dass das Gespräch auf keinem hohen Niveau stattfand, zum Teil sogar auf einem "haarsträubenden Niveau", wie Politikwissenschaftlerin Hofmann kommentierte, insbesondere als es um Hitler ging, den Weidel als Kommunisten und Sozialisten darstellte.

Im Laufe des Vormittags legte die ARD dann an Grundlegendem zum "Einfluss sozialer Medien auf die Wahlentscheidung eines Menschen" nach. Auf die Frage "Wie sehr beeinflussen soziale Medien die Wahl?" gab es entdramatisierende Antworten:

Der Einfluss sozialer Medien auf die Wahlentscheidung eines Menschen sei gering, sagt etwa Judith Möller, Professorin für empirische Kommunikationsforschung an der Universität Hamburg, in einem Presse-Briefing des Science Media Center.

Eine Wahlentscheidung gehe auf sehr viele verschiedene Faktoren zurück: Herkunft, Erziehung, Bildung, persönliche Erfahrungen.

Wie groß genau der Einfluss sozialer Medien auf die Wahlentscheidung ist, könne man zwar noch nicht mit genauen Zahlen belegen, dazu gebe es zu wenige Daten. "Wir wissen aber, dass dieser Anteil sehr klein ist", so Möller.

Tagesschau

Bürger anfällig für psychologische Beeinflussungskampagnen?

Man könnte dies mit dem Ergebnis einer aktuellen Studie parallelisieren, die den Einfluss von sozialen Medien auf Verschwörungsdenken untersucht hat.

Deren Ergebnis beschränkt die Aussagekraft der derzeit mit großer Erregung vorgebrachten Befürchtungen, wonach Plattformen die Bürger demokratischer Länder anfällig für psychologische Beeinflussungskampagnen machen.

Die Studie, durchgeführt in 19 Ländern, unter der Leitung des Münchner Forschers Jan Zilinsky, Spezialist für Wechselwirkungen von Informationsökosystemen, Wirtschaftspolitik und Politik, ging der Frage nach, inwieweit Desinformation im Kontext der russischen Invasion in der Ukraine erfolgreich ist.

Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass eine bestehende Verschwörungsmentalität auf individueller Ebene eine präzisere Vorhersage dafür darstellt, wie genau Personen die russischen Vorwände für die Invasion bewerten, als ihre Medienkonsumgewohnheiten.

Auch für die Stimmabgabe zur Bundestagswahl werden Voreinstellungen vermutlich eine größere Rolle spielen als das bizarre X-Gespräch zwischen Musk und Weidel. Auch wenn der Münchner Merkur aus dem aktuellen Umfragegewinn der AfD – mit plus zwei Prozent auf 21 Prozent – einen solchen "Knalleffekt" schlagzeilt.

Die Experten, die die Tagesschau zur Wahlbeeinflussung via soziale Medien befragt hat, warnen vor längerfristigen Effekten: "Informationen wirkten kumulativ. Das heißt: Sie häufen sich auf. Was man über Jahre hört, das bildet Meinung."

"Eine Transformation des politischen Systems"

In diesem Horizont lässt sich der Selfie-Austausch zwischen Musk und Weidel schon als, wenn auch nicht großer, "Game-Changer" fassen, wie dies heute frühmorgens der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder auf BR2 Welt am Morgen äußerte.

Für ihn bediente das reichweitenstarke Event – er beziffert sie auf 100 bis 180 Millionen (!) – die Geschäftsinteressen von Musk und das Interesse der AfD, von ihren dunklen Seiten, immerhin wird sie vom Verfassungsschutz beobachtet, abzulenken.

"Das, was wir jetzt erleben, ist eine Transformation des politischen Systems", sagte Wolfgang Schroeder ins BR-Mikro. Der Talk zwischen dem US-Milliardär und Plattform-Besitzer und der Spitzenkandidatin der Rechtsaußen-Partei ist demnach pars pro toto für diesen Wandel, der neue Machtkonstellation vor die Augen führt.

Höhere Mächte und Selfies

Von philosophischer Seite wird der Auftritt samt dem universalen Geltungsanspruch Musks schön bissig zerpflückt: "Wir sehen einen Narzissmus, der ein so tiefes Anerkennungsdefizit zu füllen hat, dass die Weiten des Universums dafür gerade ausreichen könnten" (Michael Andrick).

Immerhin ging es auch um das ganz Große, um die Frage, ob Gott existiert. Mit der Theodizee lässt sich nach wie vor Unterhaltung machen und es zeigt sich, wer was drauf hat. Oder eben nur giggelnde Selfies kann.