Blasphemiegesetz mit Missbrauchspotenzial
In Pakistan droht einer elfjährigen Analphabetin lebenslange Haft, weil sie zum Anzünden eines Feuers Papier aus einem Lehrbuch zum Lesen des Korans benutzt haben soll
1986 erließ der von den USA hofierte pakistanische Diktator Zia ul-Haq ein Blasphemiegesetz, das für eine Schändung des Korans lebenslange Haft und für die Beleidigung des islamischen Propheten Mohammed die Todesstrafe vorsieht. Aufgrund der Unschärfe dieser Tatbestände ist die Vorschrift ideal dazu geeignet, dass Angehörige der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit sie bei Streitigkeiten mit Angehörigen religiöser Minderheiten nutzen. Dieser Verdacht besteht beispielsweise im Fall der 2010 zum Tod verurteilten Christin Asia Bibi, der Nachbarn vorwarfen, sie habe sich abfällige über ihren Propheten geäußert.
Nun erregt ein neuer Fall internationale Aufmerksamkeit: Dabei geht es um Rifta M., ein elfjähriges christliches Mädchen aus Meherabad, einem Vorort der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Sie wurde letzte Woche von Nachbarn verprügelt und anschließend von der Polizei festgenommen, weil ihre Angreifer (die angeblich versuchten, sie in Brand zu stecken) behaupteten, dass das Kind mit zehn Seiten aus einem Noorani Qaida – einem Lehrbuch zum Lesen des Korans - Feuer gemacht habe.
Allerdings ist vieles an dem Fall ausgesprochen unklar: So gibt es beispielsweise widersprüchliche Berichte dazu, wie das Mädchen heißt und ob es geistig behindert ist, oder lediglich eine Analphabetin. Beide Optionen deuten aber darauf hin, dass Rifta M. nicht klar war, welches Material sie zum Feuermachen benutzte. Darüber hinaus ist offen, ob es sich bei dem verbrannten Papier wirklich um Seiten aus einem Noorani Qaida handelte oder lediglich um religiöse Zeitungen in arabischer Schrift, wie die britische Daily Mail unter Berufung auf einen Polizeisprecher berichtet.
Dem Centre for Law and Justice zufolge flohen nach dem Vorfall und einer entsprechenden Empfehlung der Polizei zwei- bis dreihundert christliche Familien aus Angst um ihr Leben aus Meherabad und überließen ihr Eigentum sunnitischen Plünderern. Dass sie es wiederbekommen, wenn ein Gericht die Unschuld des Mädchens feststellt, ist ähnlich unwahrscheinlich wie eine Reform des Blasphemiegesetzes: An diese wagt sich kein namhafter pakistanischer Politiker mehr heran, seit der Gouverneur des pakistanischen Punjabteils und der christliche Minister für Minderheiten nach entsprechenden Vorstößen ermordet wurden.
Mittlerweile hat man aber Ermittlungen gegen den Imam einer Moschee in Meherabad eingeleitet, weil dieser dazu aufgerufen haben soll, Rifta M. der Polizei zu entreißen und öffentlich zu verbrennen, worauf hin sich tatsächlich eine Menschenmenge vor der Wache versammelte und die Herausgabe des Mädchens forderte. Besondere Brisanz hat dieser Vorfall auch deshalb, weil im Juli ein der Koranverbrennung beschuldigter Obdachloser aus Channigoth bei Bahawalpur von einem Mob aus einer Polizeiwache geholt, totgeschlagen und anschließend angesteckt wurde.
Auch für Schiiten, die etwa 15 Prozent der pakistanischen Bevölkerung stellen, verschlechtert sich die Situation im Land zwischen Iran und Indien zunehmend: Am Donnerstag stoppten Bewaffnete etwa hundert Kilometer nördlich von Islamabad einen Fahrzeugkonvoi auf dem Weg in die Shin-Stadt Gilgit. Dann verlangten sie die Ausweispapiere der Reisenden und erschossen anschließend 20 Schiiten. Im Februar hatte es in Kohistan einen ähnlichen Vorfall gegeben, bei dem 18 Schiiten ums Leben kamen – darunter drei Kinder.
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