Bleibt skeptisch!
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Verrennen sich die technologiebegeisterten Skeptiker bei der unkritischen Unterstützung für Agrarchemie, Gen- und Nukleartechnik?
Dass die Skeptiker, auch die deutschen, einen gewissen, durchaus diskussionswürdigen Hang zur Technokratie haben, war schon immer klar. Sie wollten noch nie gerne hören, dass die Selbstaufklärung - vor allem, was die instrumentelle Vernunft angeht - eben auch Teil einer zeitgemäßen Idee von Aufklärung sein müsste. Neuere Aussagen zur Gen- und zur Nukleartechnik lassen aber vermuten, dass die Skepsis der Skeptiker bei bestimmten Themen noch abrupter aufhört als anderswo.
Was würde Deutschland fehlen, wenn ihm seine Skeptiker fehlen würden? Emphatisch gesprochen könnte man sagen: eine Oase im Meer des Unsinns. Die Brights, die GWUP, Leute wie Edzard Ernst, Nathalie Grams und das Netzwerk Homöopathie - sie alle arbeiten daran, den leider in Marketing-Angelegenheiten höchst erfolgreichen "Impfkritikern", Quacksalbern, Chemtrail-Schniefern und all den anderen Irrlichtern etwas entgegenzusetzen.
Religions- und Ideologiekritik, die Entlarvung von geschäftstüchtigen Bauernfängern, der Einsatz für ein Weltbild, das ohne Götter und Geister auskommt - das sind die starken Aspekte dieser selbstverständlich nicht immer homogenen Bewegung. Aber natürlich: Die Sache hat Licht und Schatten. Dass der religionskritische/atheistische Sektor des Skeptizismus auf internationaler Ebene ein massives Problem mit Frauen hat, ist schon länger klar (Wo sind die Frauen?).
Kritisch auch gegenüber der Wissenschaft
Der Wissenschaftsjournalist John Horgan warf neulich der skeptischen Bewegung in einem vielbeachteten Vortrag vor, sie konzentriere sich auf leichte Gegner wie Homöopathie und Yetigläubige und vernachlässige ihre Pflicht zur Aufklärung im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Problemen, wie zum Beispiel den aktuell stattfindenden Kriegen. Aber schon die Esoterikkritik der Skeptiker sei nicht wasserdicht, wenn sie der Wissenschaft selbst gegenüber unkritisch bleibe.
Vieles an Horgans Vortrag ist eher bloße Rhetorik, dennoch sollte man seinen Ruf nach mehr Kritik nicht vergessen, denn dass die skeptische Bewegung Kritik gut brauchen kann, machen jüngste Äußerungen von profilierten Skeptikern zu den Themen Agrarchemie, Gen- und Nukleartechnik klar.
Zugegeben: bei vielen ihrer Opponenten haben die unkritischen Skeptiker leichtes Spiel. Es ist ebenso richtig wie einfach, auf die fatale Neigung von Naturschutzverbänden, Biobauern und Naturromantikern zu Übersimplifizierung, Faktenresistenz, Verschwörungsdenken und mangelndem wissenschaftlichem Verständnis hinzuweisen. Am deutlichsten wird das noch bei dem aktuellen Reizthema Glyphosat.
Die Glyphosat-Diskussion
Irgendwie haben es die naiveren unter den besagten Naturromantikern geschafft, Glyphosat und die Herstellerfirma Monsanto zum Doppel-Beelzebub zu machen, der pars pro toto für alles Schlechte steht, was zu Recht oder zu Unrecht der industrialisierten Landwirtschaft angehängt wird. Es gibt wie immer in solchen Angelegenheiten keine hundertprozentige Klarheit, und die wird es auch nie geben.
Aber man kann mit hoher Sicherheit sagen, dass Glyphosat weder als neues Dioxin noch als Agent Orange der Agrarwirtschaft in die Geschichte eingehen wird: Einer theoretischen Gefahr durch Glyphosat, die in Laborversuchen festgestellt wurde, steht eine hohe Anzahl von Daten gegenüber, die den überlegten, begrenzten Einsatz in der Landwirtschaft vertretbar erscheinen lassen.
Das fängt schon bei dem zentralen Wirkungsmechanismus des Mittels an, geht weiter mit den beobachteten Konzentrationen im Boden und bei den Erträgen und hört bei der Frage nach den Alternativen noch lange nicht auf. Unternehmen wie Monsanto, Bayer, BASF, DOW sind weder Engel noch Teufel. Sie sind kapitalistische Unternehmen mit dem Kernziel Gewinnmaximierung.
Ob und wie sie bei der Verfolgung dieses Kernziels über Leichen gehen, sollte Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung sein und nicht nach Bauchgefühl, nationalen Präferenzen oder sonstigen Randbedingungen bestimmt werden. Natürlich sollte man immer die Versuchungen im Hinterkopf halten, denen ein Agrarkonzern ausgesetzt ist, wenn es darum geht, eines seiner wichtigsten Produkte profitabel zu halten. Armageddonstimmung irgendeiner Art ist unbegründet.
Schrille Lobesarie für Agrochemie und Gentechnik
Verblüffend allerdings ist es, dass exponierte Skeptiker in letzter Zeit noch deutlicher als sonst die Agrochemie und die Gentechnik mit Lob geradezu überschütten - als hätten sich bestimmte Fraktionen bei den Skeptikern sehr wohl dafür entschieden, auf Teufel komm raus zu jubeln. Beispielhaft dafür ist der Blogeintrag Amardeo Sarmas auf der Website der GWUP vom 11.6.2016. Sarma, ebenfalls von der Glyphosat-Diskussion herkommend, schwingt sich zu einer schrillen Lobesarie für Agrochemie und Gentechnik allgemein auf, wie man sie schon lange nicht mehr gehört hat.
Es wäre ja nun leicht, auch beim Thema Gentechnik Punkte zu sammeln, weil die Gentechnik-Kritiker noch immer auf eine abgenutzte Strategie setzen: Sie haben seit Jahrzehnten eigentlich immer nur wiederholt, dass die Gentechnik uns alle früher oder später vergiften werde. Diese Strategie erinnert fatal an frühere Modernitätskritiker, die z.B. der Eisenbahn alle möglichen schädlichen Wirkungen nachsagten und dabei die wirklich anstehenden Veränderungen mit all ihren positiven und negativen Konsequenzen übersahen, die später zusammengefasst als moderner Industriekapitalismus bekannt wurden.
Rauch, Lärm und Geschwindigkeit waren nicht das Problem an der Eisenbahn - wie sich dann herausstellte, waren es die "Eisenbahnkriege" Bismarcks, die Unterwerfung des amerikanischen Westens und die Schienen vors Tor von Auschwitz sehr wohl. Vor lauter "Gift"-Propaganda, die auch mit wissenschaftlich höchst fragwürdigen Studien arbeitet (s. die Séralini-Affäre) lassen die Gentechnik-Kritiker beiseite, was eine Kommodifizierung der DNA innerhalb der kapitalistischen Verwertungskette für gesellschaftliche Folgen haben kann.
Armadeo Sarma hingegen hat zu diesen gesellschaftlichen Folgen eine ganz klare Meinung: alles dufte. Die Agrochemie sei zusammen mit der Gentechnik kurz davor, den Welthunger zu besiegen, größter sozialer Fortschritt von Welt ever, hervorgerufen durch die rein segensreichen Wirkungen der Wissenschaft. Dumm nur, dass die Zahlen, die er anbringt, um seine Euphorie zu belegen, etwa so fragwürdig sind, wie die bekannten Studien von Gilles-Eric Séralini.
Die Debatte über die Armut in der Welt
Zentral für seine Argumentation ist die Behauptung, die Armut in der Welt habe in den letzten Jahren rasant abgenommen. Das wäre schön, wenn es stimmen würde. Doch schon vor über zehn Jahren entdeckte der Ökonom Angus Deaton bei der Überprüfung von Zahlen der Weltbank zur globalen Armutsentwicklung einen Interpretationsspielraum, der so groß war, dass die Erhebungen nahezu nichts mehr aussagten (Die Zahlenkünstler). Und mit den aktuellen Zahlen, ebenfalls von der Weltbank, auf die sich Sarma beruft, gibt es ähnliche Probleme. So schreibt das Wall Street Journal:
Neuere Forschungen legen jedoch nahe, dass ein genauerer Blick auf die Armutsstatistiken ein anderes Bild ergibt. Während es einen gewissen Fortschritt bei der Verringerung der Anzahl an Einkommen unterhalb der Armutsgrenze gegeben hat, wurde das hauptsächlich dadurch hervorgerufen, dass viele der vorher absolut Armen jetzt knapp oberhalb der Armutsgrenze existieren - der Lebensstandard der Armen wurde insgesamt nicht wesentlich erhöht.
Man muss dabei bedenken, dass die Armutsgrenze, von der dieser Artikel spricht, bei 1 Dollar und 25 Cents pro Tag und Person liegt. "Absolute Elendsgrenze" wäre wahrscheinlich ein besserer Begriff dafür. Der Economist meint:
Es ist nicht einfach, die Armen zu zählen. Die Weltbank stützt ihre Armutszahlen auf die Untersuchung privater Haushalte, die von Entwicklungsländern alle paar Jahre unternommen werden. In den Jahren zwischen den Erhebungen nimmt die Bank die letzten Daten und modifiziert sie, der Annahme folgend, dass die Vermögen der Armen mit der nationalen Wachstumsrate der betreffenden Länder Schritt halten.
Aber ökonomisches Wachstum kommt in vielen Entwicklungsländern nur den Reichen zugute. In Indien und China ist die Ungleichheit in den letzten Jahren angewachsen. Von 1981 bis 2010 haben sich die Einkommen der durchschnittlichen Bürger im subsaharischen Afrika nicht erhöht, obwohl sich die Volkswirtschaften ausdehnten. Weil es keine Daten über private Haushalte seit 2012 gibt, ist es unmöglich zu wissen, ob diese Tendenzen zur größeren Ungleichheit angehalten haben.
Nicht ganz die frohe Botschaft, die Amardeo Sarma verkündet, um sie flugs mit Agrochemie und Gentechnik zu verbinden:
Es ist den vielen Beteiligten aus dem Bereich der konventionellen Landwirtschaft und der Verwendung der Gentechnik zu verdanken, dass es uns so gut geht (…)
Eine Frage: Wen genau meint er hier mit "uns"? Man müsste schon ein AfD-Anhänger sein, um zu glauben, dass die globalen Migrationsbewegungen hauptsächlich darauf beruhen, dass die Leute so gerne reisen. Wie wahrscheinlich ist es, dass Steigerungen der landwirtschaftlichen Produktivität den ökonomisch Abgehängten in Ländern zugute kommen, in denen diktatorische Regime, religiöser Wahnsinn und brutalste Klassenunterschiede herrschen, die zudem in vielen Fällen die Abnehmer der hiesigen Waffenproduktion sind, während sie die Rohstoffe für unseren Konsum bereitstellen?