Blut und Busen
Seite 2: Die Mechanik der Macht
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- "Female Empowerment" à la Westeros
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Die Auftaktsequenz, zu der die "Credits" laufen, stellt die Künstlichkeit des Ganzen komplett aus. Man sieht eine Landkarte, aber keine historische oder historisch anmutende, sondern nur das Spiel mit der Faszination alter Karten - im Übrigen eher das Spielfeld eines klassischen Gesellschaftspiels. Dazu Spielsteine und Gebäude, auch hier wie bei einem traditionellen Brettspiel: "Schach", "Monopoly", "Risiko", "Stratego" - von allem etwas.
Ganz kurz zuvor Feuer, eine Maschine, danach immer wieder mechanische Räder, die dreidimensionale Gebäude, Brücken und Wälle aus der zweidimensionalen Fläche hervortreiben. Die Mechanik der Macht, das Uhrwerk des Gesellschaftlichen, ist unbedingt analog. Vieles dreht sich, schnell und schwer zu erkennen, aber meist gegen den Uhrzeigersinn: Verkehrt, ein Moment der Irritation, das den Konstruktivismus des Gezeigten noch betont. Der Blick in eine Maschinerie zeigt, wie sich etwas aufbaut.
Das ist das Spiel und alle sind Player in diesem Spiel der Macht, das keiner Spieltheorie ganz folgt und Mechanisches wie Organisches verbindet, weniger Menschliches.
Der Plot ist scheinbar schlicht: Eine dekadente Herrscherfamilie, die alte Aristokratie, wird abgelöst durch eine neureiche Gruppe. Diese Usurpatoren-Familie erweist sich als der Herrschaft nicht würdig und so beginnen Bürgerkrieg und Selbstzerstörung, Kämpfe um Unabhängigkeit und Rache.
Derartige menschlich-allzumenschliche Vorgänge werden begleitet von Sex and Crime, spektakulären Kampfszenen, grandiosen Landschaftsaufnahmen, Special Effects, reichlich nackter Haut und untermalt mit Magie: Drachen, weinende Bäume, treue Riesenwölfe, dreiäugige Raben oder mysteriöse Priesterinnen. Hinzu kommen unerwartete Wendungen und der Spaß der Macher daran, liebgewonnene Hauptfiguren einfach sterben zu lassen.
"Games of Thrones" schreibt Georg Seeßlen, schildert "die Vorzeit des Kapitalismus: Feudalherrschaft, Sklavenhaltergesellschaft, Plünderungsökonomie, Urkommunismus, antike Wirtschaft in freien Städten, Warlordherrschaft, Terrorismus und schließlich die Form des Urkapitalismus". Aber genauso gut schildert es eine Nachgeschichte: Das, was nach dem Verfall einer großen politischen Struktur passiert. Ob sie nun "Römisches Reich" heißt, "Britisch Empire" oder "Europäische Union". "Games of Thrones" auf Früh- und Vorgeschichten festzulegen, heißt die Serie zu reduzieren.
Unübersichtlichkeit als Rausch
Natürlich darf Donald Trump hier nicht fehlen. Mehr als einmal zitierte der 44. Präsident der USA in Erklärungen Wort- und Bildsprache von "Game of Thrones": "The Wall is coming", "Sanctions are coming". Auch Videos der islamistischen ISIS waren von "GoT"-Musik untermalt. Diverse weitere Beispiele belegen: Die Fantasy-Saga nach der Romanreihe von George R. R. Martin ist die Fernsehserie der Stunde - erst recht jetzt, wenige Tage bevor das Epos mit der achten Staffel - angeblich - zu Ende geht.
Warum fasziniert so viele Menschen diese auf den ersten Blick ziemlich primitive, redundante Geschichte über eine archaische, äußerst brutale, irgendwie mittelalterlich anmutende fiktive Welt und den Machtkampf um den "Eisernen Thron" von Westeros? Es gibt keine klaren Helden in dieser Geschichte, kaum ein klares Gutes, kaum das reine Böse und keine absoluten Gewissheiten, diese Welt ist unbarmherzig, ja inhuman - was besagt der immense Erfolg dieser Serie über unsere Gegenwart? Warum schauen wir uns das an?
Vielleicht liegt es einfach daran, dass die Dinge so einfach nicht liegen: Denn die Serie ist weder primitiv, noch hat sie so wenig mit unserer Gegenwart zu tun, wie ein oberflächlicher Blick auf Kettenhemden, Hexen und gezähmte Drachen vermuten lässt - so argumentieren auch Wissenschaftler und Kritiker, die sich intensiv mit "Game of Thrones" beschäftigt haben.
"Es gibt zwei Möglichkeiten, die Serie anzusehen" sagt der in Kaufbeuren lebende "Zeit"-Kritiker Georg Seeßlen: "Wir können versuchen das Gebilde zu durchschauen. Es geht ja auch in der Handlung um Aufklärung. Aber dazu braucht man Bücher und Karten. Es ist schwierig." Die andere Möglichkeit sei, sich durch diese Serie treiben zu lassen, wie eine der Figuren: "Die Unübersichtlichkeit kommt wie ein Rausch über einen." Den Figuren selbst gehe es ja auch nicht anders. Sie alle versuchen, die Situation zu durchschauen und scheitern dabei. Die Serie spiegele damit in ihrer Handlung, aber auch in der Seherfahrung sehr gut die Unübersichtlichkeit unserer gegenwärtigen Welterfahrung.
"Game of Thrones" wird mit seiner Dramaturgie des Chaos als Erzählform zu einem erzählerischen Spiegel des Zeitalters der "Posthistoire" (Francis Fukujama), des Endes der großen Blöcke nach 1989 und der Erfahrung der politischen Krise, so wie wir sie heute erleben.
Westeros, das vage den Umrissen Großbritanniens nachempfunden ist und von einem Klimawandel durch Eiszeit bedroht, ist nicht nur Metapher für das Brexit-England, sondern für ganz Europa, das mit sich im lähmendem Zwist liegt, anstatt die äußeren Herausforderungen und die eigene Krise anzugehen. Denn die sieben kämpfenden Adelsgeschlechter sind selbst dann noch auf ihre inneren, vergleichsweise belanglosen Konflikte konzentriert, als längst klar ist, dass sie einen gemeinsamen Feind haben, der alles Leben auf diesem Kontinent auszulöschen droht.
Die Welt von Bush und Clinton
Tatsächlich lohnt der Blick auf die zwei Entstehungszeiten der Saga: Die Romane sind in den Jahren vor 1996 (dem Erscheinungsjahr des ersten Romans) geschrieben und konzipiert worden. Seinerzeit regierte Bill Clinton, die unselige Levinsky-Affaire erreichte ihren Höhepunkt. Sex und Crime im Roman spiegeln die Realität. Zur Entstehungszeit der Fernsehserie regierte Obama - und die Serie wirkt wie die Reaktion auf diesen reinen, hehren, charismatischen, schön-redenden Präsidenten, der in Wahrheit ganz anders handelte, als er sprach. Wie die Monarchen von Westeros.
Denn unter der glanzvollen Oberfläche des Obama-Liberalismus regierte auch 2008 - 2016 die Angst: Vor allem die Angst vor der eigenen Macht und ihren gruseligen Folgen. Vor Überfällen und Krieg, vor den Enthauptungen der ISIS und den Anklägern des Internationalen Gerichtshofs, davor, dass es nicht mehr gelingen könnte, die Fäden in den lokalen Zentren in der Hand zu halten, vor dem Niedergang als Supermacht. Amerika erschlaffte in Mutlosigkeit, in Rückzugsgefechten. Amerika fürchtet sich auch vor dem ökonomischen Untergang. "Winter is coming." Jetzt regiert der Winterkönig mit dem künstlichen Eishaar und seinen untoten "weißen Wanderern" im "Weißen"(!) Haus.
"Die Parallelen zur Politik sind wirklich frappierend", sagt Markus May, Literaturwissenschaftler der LMU München, der das Buch "Die Welt von Game of Thrones" herausgegeben hat, "man hat spätestens seit der Wahl von Trump den Eindruck, dass das Leben der Kunst nachfolgt." May liefert eine kulturanthropologische Erklärung für den Serien-Erfolg: "Der Kampf um die Macht ist das älteste und wichtigste Narrativ der Menschheit", sagt May und verweist auf Homers "Ilias". Tatsächlich geht es schon dort um Macht und Hegemonie. Es gibt Intrigen, sinnlose Kämpfe und auch Eingriffe der Magie und höherer Mächte.
Macht drückt sich aber nicht nur in Schwertern und militärischer Gewalt aus. Macht ist auch Macht durch Wissen, das Überlegenheit sichert. Sie ist Macht durch Belohnung, die Loyalität und Gefolgschaft garantieren kann. Macht durch Skrupellosigkeit sichert Gehorsam aus Angst, Macht durch Magie und der Herrschaft über Drachen, sondern auch als erotische Macht. Die Frauen in dieser Serie verstehen zu verführen, zu verlocken, doch sie setzen ihren Körper dabei fast immer strategisch ein - als starke Waffe zur Unterjochung des Mannes: Und sei es, indem sie sich als williges Opfer entwerfen. Macht ist Macht.
In "Game of Thrones" kann jeder sehen, was er möchte: Ein Update der shakespeareschen Erzähltradition für die Vulgärdemokratie, eine Fantasy-Version der Rosenkriege. So kann man sich auch ans Nibelungenlied oder die Artus-Sage erinnert fühlen. Die Trierer Anglistin Britta Colligs erklärt die Faszination der Serie mit den Figuren. "Sie sind die treibende Kraft", sagt Colligs. Weder gut noch böse, sondern multidimensional kann jeder Zuschauer persönliche Sympathien und Identifikationen verteilen.