Bohrturm in Pink: Ziviler Ungehorsam für das Klima im Regierungsviertel
Blockaden auf dem Potsdamer Platz und der Straße Unter den Linden: Wie Extinction Rebellion in Berlin den "radikalen Umbau der Gesellschaft" fordert.
Spektakuläre Störaktionen rund um das Regierungsviertel wollte die Berliner Polizei an diesem Montag eigentlich verhindern: Laster wurden durchsucht, Patrouillen und Zivilpolizisten folgten Personen aus dem Klima-Protestcamp im Invalidenpark, während Uniformierte an U-Bahn-Stationen kontrollierten.
Ein Laster des Netzwerks Extinction Rebellion (XR), das die laufenden Aktionstage für Klimagerechtigkeit in der Hauptstadt organisiert hatte, wurde nach dessen Angaben auch konfisziert. Dennoch gelang es XR, Requisiten von beachtlicher Größe auf den Potsdamer Platz zu befördern. Inmitten einer Blockade stand dort gegen 11:45 Uhr die pinkfarbene Attrappe eines Bohrturms von mehr als fünf Metern Höhe, der nicht nur "die Sucht nach fossiler Energie" symbolisieren sollte – es hatten sich auch mehrere Personen daran festgeklebt und angekettet.
Bereits eine Stunde zuvor hatten rund 250 Menschen die Straße Unter den Linden im Zentrum des Regierungsviertels blockiert. Mehrere Dutzend Aktive hatten sich an der Kreuzung Friedrichstraße / Unter den Linden mit den Händen auf dem Asphalt festgeklebt, wo sie bei zeitweise strömendem Regen ausharrten. Die Polizei hatte die Aktion unmittelbar nach Beginn eingekesselt.
Vorwurf: Lobbyisten degradieren Klimapolitik zu "belanglosem Geplänkel"
Das Regierungsviertel sei ein "Zentrum der tödlichen Zusammenkunft von Politik und Lobbies", begründete die 28-jährige Aktivistin Soraya Kutterer ihre Teilnahme. Jede Klimapolitik der Bundesregierung werde durch Lobbyisten "runtergestuft auf belangloses Geplänkel, bei dem die Reichen und die Unternehmen ja nicht eingeschränkt werden dürfen".
Statt "uns vor dem Zusammenbruch unserer Lebensgrundlagen zu schützen", investiere die Regierung weiter in Kohle, Öl und Gasprojekte, so Annemarie Botzki vom XR-Presseteam. Die Bewegung fordert einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien und – einen "radikalen Umbau der Gesellschaft".
Alle Macht den "Bürger:innenräten"?
Ein Kernelement sollen dabei repräsentativ ausgeloste "Bürger:innenräte" sein, die ein verbindliches Konzept für die sozial-ökologische Transformation erarbeiten und dabei auf den Rat von Fachleuten zurückgreifen können.
Nach Überzeugung von XR sind nicht Vorbehalte in der Bevölkerung gegen eine Energie- und Verkehrswende das Problem, sondern die Individualisierung der Verantwortung durch eine verfehlte Energie- und Verkehrspolitik, die es einigen tatsächlich schwer macht, beispielsweise auf ein Auto zu verzichten.
Deshalb wird bei Aktionstrainings des Netzwerks auch vermittelt, bei Diskussionen mit wütenden Autofahrern freundlich oder zumindest sachlich zu bleiben – und sich auch durch obszöne Schimpfwörter nicht provozieren zu lassen.
Warum die Forderung nicht obsolet ist
Einen "Bürgerrat Klima", der bisher wenig beachtete Vorschläge erarbeitet hat, gab es hierzulande schon unter Schirmherrschaft des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Anders als in Frankreich hatten Regierende hier allerdings gar nicht erst versprochen, die Vorschläge eines solchen Gremiums umzusetzen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte dies zugesagt, aber letztendlich fand sich weniger als die Hälfte der Vorschläge im neuen Klimagesetz wieder.
Aus der Sicht von XR ist die Forderung daher nicht obsolet: Regierende sollen über die Umsetzung nicht nach Gutsherrenart entscheiden.
Das Ablösen der Aktiven und die Demontage des Bohrturms auf dem Potsdamer Platz durch die Polizei nahm einige Zeit und schweres Gerät in Anspruch. Nach Meinung von Annemarie Botzki betrieb die Polizei "einen unverhältnismäßig großen und teuren Aufwand, um friedlichen Protest aufzuhalten". Am morgigen Dienstag soll diese "Rebellion Wave" enden – weitere werden zweifellos folgen.