Bolsonaro sieht Teststopp für chinesisches Corona-Vakzin als "politischen Sieg"
Brasiliens Präsident macht Aussetzung von Phase-3-Studie des Impfstoffs Coronavac zu Politikum. Behörde lässt Tests nach Prüfung von Todesfall wieder zu
Nach dem Tod eines Probanden in Brasilien haben die Behörden am Montag kurzzeitig eine fortgeschrittene Studie mit dem chinesischen Impfstoff CoronaVac gestoppt, der als einer der Spitzenreiter im globalen Rennen um die Entwicklung eines Vakzins gegen den Virus SARS-CoV-2 galt. Obwohl die Fortführung der klinischen Studie am Mittwoch wieder genehmigt wurde, hat die Entscheidung wohl ein politisches Nachspiel. Grund dafür ist die Politisierung des Falls durch den rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro.
Für Aufregung hatte bereits ein Kommentar Bolsonaros gesorgt, der sich am Montag abfällig über CoronaVac äußerte. Auf Facebook bezeichnete er die Aussetzung der Studie als einen "politischen Sieg". Bereits in der Vergangenheit hat der Rechtsextremist keinen Hehl aus seiner chinakritischen Haltung gemacht. Und die Studienkooperation mit einem chinesischen Unternehmen wurde von einem politischen Rivalen initiiert, dem Gouverneur von São Paulo, João Doria.
Das zuständige staatliche Instituto Butantan in São Paulo, das die CoronaVac-Studie durchführt, bezeichnete die Suspendierung am Montag indes als ungerechtfertigt. Das biomedizinische Forschungszentrum argumentierte, der Tod eines Studienteilnehmers stehe in keinem Zusammenhang mit dem Impfstoff.
Recherchen der US-Tageszeitung The New York Times bestätigten diese Position. Das Blatt erwähnt einen der Redaktion vorliegenden Polizeibericht, nach dem der Tod des Studienteilnehmers am 29. Oktober als Suizid untersucht wird. Der Leiter des Instituto Butantan folgerte daraus, dass der Tod des Mannes die Sicherheit des Vakzins nicht in Frage stellt.
Corona-Impfstudie gerät zwischen die politischen Fronten
Der Fall wurde umgehend politisiert, weil São Paulo, der größte Bundesstaat Brasiliens, von Gouverneur Doria regiert wird, einem politischen Rivalen von Bolsonaro. Der Politiker der Partei PSDB hat wiederholt den nachlässigen Umgang des Präsidenten mit der Pandemie kritisiert. Bolsonaro hat Schutzmaßnahmen gegen den Virus lange offen abgelehnt und COVID-19 als "kleine Grippe" verharmlost.
Hinzu kommt die unverhohlene Ablehnung, mit der die Politikerfamilie Bolsonaro China begegnet. Diese Haltung scheint in großen Teilen in ihrem Antikommunismus begründet zu sein. Präsidentensohn Eduardo Bolsonaro, der als Abgeordneter im Parlament sitzt und als außenpolitisches Sprachrohr seines Vaters gilt, schrieb im März auf Twitter, die Pandemie sei "die Schuld Chinas". Und er fügte hinzu: "Die Schuld an der globalen Coronavirus-Pandemie hat einen Vor- und Nachnamen: Kommunistische Partei Chinas".
Präsident Bolsonaro erklärte seinerseits noch vor wenigen Wochen, seine Regierung werde den chinesischen Impfstoff auf keinen Fall kaufen. Er wiedersprach damit direkt seinem Gesundheitsminister, der angekündigt hatte, CoronaVac in das staatliche Impfstoffprogramm aufzunehmen.
Diese Haltung Bolsonaros schlug nun auch in der Debatte um die kurzzeitig ausgesetzte Impfstoffstudie durch. Der Direktor der brasilianischen Gesundheitsbehörde Anvisa, Gustavo Mendes, versuchte am Dienstag in einem Interview daher beschwichtigend zu intervenieren.
Pfizer gab Impfstoff am Tag der Studien-Suspendierung bekannt
Die Aufsichtsbehörden hätten noch nicht abschließend festgestellt, ob ein Zusammenhang zwischen dem Tod des Probanden und dem Impfstoff bestehe, so Mendes.
Der Stopp der Studie sei eine "Vorsichtsmaßnahme" gewesen, "die leider politisiert wurde", fügte der Funktionär an. Eine Studie auszusetzen, bis mehr Informationen vorliegen, sei das, was von einer Aufsichtsbehörde erwartet werde. Eben das war dann am Mittwoch der Fall: In einer weiteren Erklärung führte die Gesundheitsbehörde aus, dass alle notwendigen Daten vorgelegt wurden und die Tests wieder aufgenommen werden könnten.
CoronaVac, das von der chinesischen Firma Sinovac entwickelt wird, ist einer von elf experimentellen Impfstoffen, die von weltweit führenden Pharmaunternehmen hergestellt werden und sich derzeit in einer sogenannten Phase-3-Studie befinden. Das bedeutet, dass die Stoffe in einem größeren Maßstab an Freiwilligen getestet werden.
Inmitten der globalen Corona-Pandemie ist das Rennen um einen Impfstoff auch zu einem geopolitischen Thema und zum Gegenstand politischer Propaganda geworden.
Am selben Tag, an dem die Behörden in Brasilien die Sinovac-Studie aussetzten, gaben der US-amerikanische Pharmariese Pfizer und das deutsche Biotechnologie-Unternehmen BioNTech bekannt, dass ihr Vakzin "BNT162 b2" einen mehr als 90-prozentigen Schutz gegen den neuartigen Corona-Virus aufbaue.
Unerwünschte Wirkungen sind in Phase-3-Studien nicht ungewöhnlich. Die Pharmaunternehmen AstraZeneca und Johnson & Johnson hatten laufende Studien für einen Corona-Impfstoff ebenfalls ausgesetzt, nachdem Freiwillige schwerer erkrankt waren. Beide Unternehmen nahmen die Tests im Oktober nach sechs Wochen wieder auf. Die gesundheitlichen Probleme der Probanden, hieß es, hätten nichts mit den Impfstoffen zu tun gehabt.