"Braunkohleausstieg in Ostdeutschland machbar"
Eine Studie weist Alternativen für eine Zukunft nach der Braunkohle aus, Vattenfall und Landesregierung von Brandenburg setzen dagegen auf Co2-Abscheidung
Kürzlich hat die brandenburgische Landesregierung ihre Energiestrategie 2020 [1] vorgestellt, in der an der Verstromung der Braunkohle konsequent festgehalten wird. In der Lausitz sollen danach dem Tagebau erneut einige Dörfer zum Opfer fallen. Eine Studie des ZukunftsEnergieSysteme (IZES [2]) zeigt gangbare Alternativen für ganz Ostdeutschland auf und beschreibt, dass die ineffektive Form der Stromgewinnung eher die wirtschaftliche Entwicklung der Lausitz blockiert als sie voranbringt. Zudem können die Klimaschutzziele nur bei einem baldigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung erfüllt werden. Der Energieversorger Vattenfall [3] kündigte derweil den Bau einer Demonstrationsanlage zur CO2-Abscheidung an.
Die Erschließung neuer Tagebaue und der Bau neuer Kraftwerke zur Verstromung von Braunkohle sind zumindest in Ostdeutschland überflüssig, da die Erneuerbaren Energien die entstehende Lücke problemlos schließen werden. Das ist die zentrale Aussage der Studie [4], die von Bündnis 90/Die Grünen in Auftrag gegeben wurde. Vorgestellt hatten sie die Bundestagsabgeordneten Cornelia Behm [5] und der Energiepolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Hans-Josef Fell [6].
Mit der Studie setzen sie den Vorstellungen der Landesregierung eine Alternative entgegen, die trotz aller Kritik langfristig weiter auf die Braunkohle setzen will (Saubere Mondlandschaften [7]). Dabei formuliert Brandenburg als Ziel, eine sichere Energieversorgung und einen geringeren Ausstoß des klimaschädlichen CO2 zu erreichen. Der soll im Vergleich zu 1990 bis 2020 um 40 Prozent reduziert werden, und zwar um 36,4 Millionen Tonnen [8]. Dafür wird vor allem auf die Abspaltung und Einlagerung von CO2 gesetzt.
Dem stellt die Studie eine Zukunft für Brandenburg nach der Braunkohle gegenüber. Sie zeigt Möglichkeiten auf, die für ostdeutsche Länder vor allem in der Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien stecken. Die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt hätten schon 2005 mehr als 20% ihres Stromes regenerativ erzeugt, deutschlandweit seien es nur 10% gewesen.
Die Zeichen stehen sehr gut, dass Ostdeutschland weiterhin an der Spitze der regenerativen Stromerzeuger bleiben wird. Die 6 östlichen Bundesländer könnten bis 2020 bereits 44% ihres Strombedarfs aus Biomasse, Photovoltaik, Geothermie, (Lauf-)wasserkraft und On-shore-Windstrom decken. Dabei sind die Potentiale der Off-shore-Windkraft noch nicht berücksichtigt, ebenso wenig wie die enormen Potentiale der Stromeinsparung, die gemeinsam und vor allem nach 2020 den Anteil erneuerbaren Stroms aus Ostdeutschland noch weiter anheben könnten.
Es gäbe bereits Forschungsergebnisse, wie im Fall der sogenannten "Kombikraftwerke“, die schon jetzt zeigten, dass diese Energien, trotz des teilweise fluktuierenden Charakters wegen einer ungleichmäßigen Sonneneinstrahlung und Windaufkommen, gemeinsam in der Lage seien, größere räumlich Einheiten dauerhaft und stabil mit Strom zu versorgen. "Dies geschieht derzeit vor allem durch ein ausgeklügeltes Produktionsmanagement und den Abgleich in Echtzeit mit dem tatsächlichen Bedarf." Damit entfiele das Argument, sie funktionierten nur, weil im Hintergrund fossil betriebene "Schattenkraftwerke" zur Verfügung stünden.
Auch der sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung misst die Studie den Erneuerbaren Energien eine größere Bedeutung zu. In der Wind- und Photovoltaikbranche herrsche schon jetzt in den ostdeutschen Ländern eine hohe Dynamik. "An mehreren Stellen sind bereits heute Tausende genuin neue Arbeitsplätze entstanden, die in diesen Regionen neue Strukturen und Industriecluster geschaffen haben und weiterhin schaffen könnten." Der Tagebau dagegen habe vor allem für die Abbau-Regionen fatale Folgen: Sie verarmten und die Menschen wanderten ab.
Für den Einsatz der Erneuerbaren Energien spreche vor allem, dass sie CO2-frei (Windkraft, Photovoltaik, Wasserkraft und Geothermie) oder CO2-neutral (Biomasse) Strom erzeugen können. Bei der Verstromung von fossilen Energieträgern werde das enthaltene Kohlendioxid (CO2) freisetzt. Deshalb setzt sich die Studie auch ausführlich auf ihren 94 Seiten mit der vorgeschlagenen Abscheidung und Einlagerung in geologischen Formationen für so lange Zeit auseinander, bis von ihm quasi keine Gefahr mehr für das weltweite Klima ausgeht.
Die Studie weist besonders darauf hin, dass es bis heute noch keinen Fall in der Stromerzeugung gäbe, wo die Techniken, die unter Carbon Dioxide Capture and Storage (CCS) subsumiert werden, zum Einsatz kommen. Von der derzeit vorgenommenen Umrüstung einer kleinen Anlage im südfranzösischen Lacq erwarten sich die Unternehmen Alstom, Total und Air Liquide wichtige Erkenntnisse für den Abscheidungsprozess:
Technisch gesehen ist die Nachrüstung mit CCS eine große Herausforderung, da bei allen drei derzeit untersuchten Varianten von CCS wichtige Prozessschritte in der Kraftwerkstechnik geändert werden müssen und zusätzlich Energie für die weiteren Etappen der Abtrennung des CO2 benötigt wird, was die Wirkungsgrade der Kraftwerke empfindlich herabsetzt.
Mit der Landesregierung von Brandenburg setzt auch der Energiekonzern Vattenfall auf diese Technik, die auch in der Bundesregierung immer populärer wird (CO2-Scheckkarte für den Supermarkt [10]). Am 15. Mai übergaben dagegen Bürgerinitiativen im Landtag von Potsdam fast 27.000 Unterschriften, um per Volksinitiative [11] ein Gesetz [12] auf den Weg zu bringen, welches den "mittelfristigen Ausstieg aus der Braunkohleförderung in Brandenburg" zum Ziel hat. Genau eine Woche danach kündigte Vattenfall an, bis 2015 solle am Brandenburger Standort Jänschwalde werde eine Demonstrationsanlage gebaut.
Zudem werde noch im Sommer die weltweit erste Pilotanlage für ein Braunkohlekraftwerk mit CO2-Abscheidung am Standort Schwarze Pumpe in der Lausitz in Betrieb gehen, die 70 Millionen Euro gekostet habe. "CCS-Technologien könnten bei konsequenter Entwicklung ab 2020 verfügbar sein", erklärte der Konzern. In der Demonstrationsanlage in Jänschwalde soll einer der sechs 500 Megawatt-Kraftwerksblöcke umgerüstet werden: "Dabei wird ein Kessel mit Oxyfuel-Technologie komplett neu errichtet. Ein vorhandener Kessel soll mit der Entwicklungstechnologie der CO2-Rauchgaswäsche (Postcombustion) ausgestattet werden. Durch die Installation zusätzlicher Komponenten in den Kraftwerksprozess wird es dabei zwangsläufig zu Wirkungsgradverlusten kommen." Man hofft aber, diese auf dem Weg zur Serienreife bis 2020 ausgleichen zu können. Das Unternehmen schätzt die Kosten für die Demonstrationsanlage auf eine Milliarde Euro [13]. Man will zudem den Nachweis erbringen, dass CO2 langzeitsicher in den mehr als 3000 Meter tiefen Gesteinsformationen eingelagert werden könne.
Schon aus diesen Darstellungen, in denen Vattenfall Ergebnisse für 2020 vorhersieht und viel von "könnten", "soll" oder "will" spricht, macht der Konzern deutlich, dass die Technik noch in den Kinderschuhen steckt. Eva Hauser, die an der Ausarbeitung der Studie beteiligt war, erklärte gegenüber Telepolis: "CCS ist gegenwärtig weder für die Nachrüstung bestehender Kraftwerke eine ernsthafte Option, noch kann der Zeitpunkt der eventuellen Marktreife von CCS in Neubaukraftwerken derzeit vorausgesagt werden." Zahllose Probleme seien noch zu beheben.
Die Einlagerung und die Wirkungsgradsgradverluste sind nur ein kleiner Teil der zu bewältigenden Probleme: "CCS muss als Prozesskette verstanden werden, die nur umgesetzt werden kann, wenn alle Schritte dieser Prozesskette ausreichend erforscht sind und funktionieren", erklärte Hauser. Ein Manko in einem Teil der Prozesskette gefährde die Umsetzung der gesamten Technologie. Aufgrund der vielen Schwierigkeiten sei das Ziel Vattenfalls, die "Erreichung seines eigenen CO2-Reduktionszieles mittels CCS zu erreichen, gewaltig und birgt das Risiko, auch scheitern zu können".
Die Technologie der Kohlendioxidabscheidung sollte also erst einmal ihre Funktionstüchtigkeit beweisen und Marktreife erlangen, ehe man sie als Argument für den Aufschluss neuer Tagebaue oder den Bau neuer Kraftwerke benutze, sagte Hauser. Hohe Kosten für die Nachrüstung von Kraftwerken, ein hoher Energie- und Flächenverbrauch kämen genauso hinzu, wie der Bau einer Pipeline und einer unterirdischen Deponie. Dem gegenüber stehe, dass Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt schon 2007 mehr als 30% des gesamten Stroms regenerativ erzeugten.
Und hier bestünden "enorme Potentiale sowohl für die Energiebereitstellung aus Erneuerbaren Energiequellen als auch für die regionale Entwicklung". Die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien habe in Ostdeutschland heute schon rund 20.000 Arbeitsplätze geschaffen" und hat damit den Braunkohletagebau eingeholt. Das Potential sei da, um weitere neue Arbeitsplätze und eine regionale Wertschöpfung in ganz Deutschland zu schaffen. "Die Dynamik, die sie bereits heute an den Tag legt, lässt erwarten, dass sie das Ziel, bereits 2020 über 40% zum bundesdeutschen Stromverbrauch beitragen zu können, durchaus erreichen kann; in Ostdeutschland sollte sie es übererfüllen", resümierte die Studie.
Bestehende Kraftwerke kämen zudem nicht in Gefahr, mangels Braunkohle abgeschaltet zu werden. Würden die bestehenden Tagebaue vollständig ausgekohlt, aber keine neuen Abbaugenehmigung erteilt, so wären erste Abstriche bei der Braunkohleverstromung erst ab 2020 zu erwarten. Das Gros der Kraftwerke könnte jedoch mit diesen bestehenden Braunkohlevorräten bis in die 30er Jahre dieses Jahrhunderts betrieben werden. Damit wären diese Kraftwerke dann alle 30 bis 40 Jahre am Netz und die betriebswirtschaftliche Amortisation gewährleistet.
"Mit der IZES-Studie haben wir nun belastbares Material vorliegen, mit dem auch den Skeptikern eindrucksvoll dargestellt werden kann, dass Versorgungssicherheit auch ohne neue Tagebaue gewährleistet werden kann", zeigte sich die Grünen Abgeordnete Behm erfreut [14]. Braunkohleverstromung und Klimaschutz schlössen einander aus. "Das langfristige Festhalten an dieser uneffektivsten Form der Stromgewinnung blockiert die wirtschaftliche Entwicklung der Lausitz eher, als dass sie sie voranbringt." Die Studie unterstützt die Gegner gegen neue Braunkohletagebaue in Brandenburg. "Für die Menschen in den von Abbaggerung bedrohten Lausitzdörfern werden die klaren Zahlen und Fakten eine Ermutigung sein, denn daran kann die Politik nicht guten Gewissens vorbei entscheiden."
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.mluv.brandenburg.de/cms/media.php/2328/mk_klima.pdf
[2] http://www.izes.de
[3] http://www.vattenfall.de
[4] http://www.cornelia-behm.de/cms/presse/dokbin/234/234521.studie_braunkohleausstieg.pdf
[5] http://www.cornelia-behm.de
[6] http://www.hans-josef-fell.de
[7] https://www.heise.de/tp/features/Saubere-Mondlandschaften-3406446.html
[8] http://www.heise.de/newsticker/Brandenburger-Kabinett-billigt-Energiestrategie-2020--/meldung/108210
[9] http://www.lausitzer-braunkohle.de
[10] https://www.heise.de/tp/features/CO2-Scheckkarte-fuer-den-Supermarkt-3417423.html
[11] http://www.lausitzer-braunkohle.de/volksini.php
[12] http://www.keine-neuen-tagebaue.de/der-gesetzentwurf.html
[13] http://www.vattenfall.de/www/vf/vf_de/225583xberx/232127press/232157press/232443press/index.jsp?pmid=143174
[14] http://www.cornelia-behm.de/cms/default/dok/234/234290.bundestagsabgeordnete_legen_studie_zum_b.html
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