Brexit: Parlament nimmt Regierung Heft aus der Hand
Am Mittwoch soll in Probeabstimmungen nach einer überparteilichen Lösung gesucht werden
Gestern Abend stimmte das britische Unterhaus mit 329 zu 302 Stimmen (und gegen die Empfehlung der Regierung) dafür, am Mittwoch in einer Reihe von Probeabstimmungen Mehrheiten für EU-Ausstiegsvarianten auszuloten. Was dabei herauskommt ist ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, ob Premierministerin Theresa May dem Unterhaus ihren dort bereits zwei Mal abgelehnten Brexit-Deal ein drittes Mal vorlegen wird.
Am Montagnachmittag meinte sie dazu lediglich, sie wolle das nicht am Dienstag, weil sie "mit großem Bedauern feststellen musste, dass es dafür immer noch nicht ausreichend Unterstützung im Unterhaus gibt". Allerdings möchte sie weiter Gespräche führen, um so eine Mehrheit zu schmieden.
Damit sie den Deal am Donnerstag oder Freitag erneut vorlegen kann, müsste sie Parlamentssprecher John Bercow von substanziellen Änderungen überzeugen. Das könnte sie beispielsweise mit neuen Zusatzerklärungen. Kann sie das nicht, müsste das Parlament dafür stimmen, Bercows auf einer Regelung aus dem Jahre 1604 beruhenden Einwand zu ignorieren.
Sollte ihr das gelingen, muss das nicht heißen, dass auch ihr Deal eine Mehrheit bekommt. Das ist auch deshalb offen, weil die nordirische Protestantenpartei DUP Berichte des Telegraph und des Spectator dementiert hat. Die beiden Zeitungen hatten gemutmaßt, diese Partei sei bereit, Mays Deal zuzustimmen, wenn sie Vertreter zu Verhandlungen für eine Dauerlösung der Nordirlandgrenzfrage entsenden darf, wegen der die EU auf den umstrittenen "Backstop" besteht.
Zustimmung gegen Rücktritt?
Würde die DUP zustimmen, müsste May für eine Mehrheit aber immer noch die "Brexiteers" in ihrer eigenen Partei überzeugen, die einen Ausstieg zu WTO-Konditionen dem Risiko eines faktischen Dauerverbleibs des ganzen Vereinigten Königreichs in der EU durch die Backstop-Regelung für Nordirland vorziehen. Den Informationen des Fernsehsenders ITV nach soll sie Jacob Rees-Mogg, Boris Johnson und anderen Bevorzugern eines "harten" Ausstiegs dafür am Wochenende die Nennung eines Termins angeboten haben, an dem sie als Premierministerin zurücktritt. Dass diese anbissen, scheint angesichts des aktuellen Fortgangs der Ereignisse unwahrscheinlich - wenn es das Angebot überhaupt gab.
Ohne die Stimmen der "Brexiteers" wäre May auf eine entsprechende Zahl von Unterstützern aus der Opposition angewiesen. Deren Führer Jeremy Corbyn scheint jedoch trotz schlechter Umfragewerte immer noch auf vorgezogene Neuwahlen zu setzen, die mit einer Annahme von Mays Deal weniger wahrscheinlich würden. Auch dann, wenn May den Posten zugunsten eines anderen Tory-Politikers abgibt, kann sich dieser bis zum nächsten regulären Wahltermin 2021 Zeit lassen.
Lidington und Gove dementieren Ambitionen
Als potenziellen Nachfolger Mays handelte die Londoner Times am Wochenende nicht mehr Johnson oder Rees-Mogg, sondern ihren Stellvertreter David Lidington, der entsprechende Ambitionen jedoch relativ umgehend bestritt. Auch der von der Mail als möglicher Nachfolger genannte Umweltminister Michael Gove verlautbarte, es sei "jetzt nicht die Zeit, den Kapitän des Schiffs auszuwechseln", sondern "den richtigen Kurs zu setzen" und Mays Deal zuzustimmen.
Legt Theresa May den Deal noch einmal vor (und bekommt er eine Mehrheit im Westminster-Parlament), haben die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel Ende letzter Woche eine Verlegung des Ausstiegstermins auf den 22. Mai vereinbart. Lehnt ihn das britische Unterhaus ab, soll es einen Ausstieg zu WTO-Konditionen am 12. April geben. Vorher geäußerte Behauptungen des scheidenden christdemokratischen Brexit-Beauftragten Elmar Brok, der italienische Innenminister Matteo Salvini werde einer Verlängerung nach einer Übereinkunft mit dem britischen Brexit-Vater Nigel Farage nicht zustimmen, erwiesen sich als unzutreffend. Möglicherweise hatte sich der schnauzbarttragende Studienabbrecher hier von einem gewitzteren britischen Europaparlamentskollegen foppen lassen.
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