Brexit auf Halloween verschoben
Das Vereinigte Königreich muss an der EU-Parlamentswahl teilnehmen, wenn das Westminster-Parlament bis dahin nicht Mays Deal oder einer anderen Ausstiegsoption zustimmt
Gestern Nacht einigten sich die britische Premierministerin Theresa May und die Staats- und Regierungschefs der anderen 27 EU-Mitgliedsstaaten darauf, den 2016 in einer Volksabstimmung beschlossenen Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU auf den 31. Oktober 2019 zu verschieben. Da an diesem Tag das Halloween-Fest gefeiert wird, sind Soziale Medien heute voll von Ankündigungen britischer Nutzer, sich dieses Jahr als Politiker zu verkleiden. Besonders hoch im Kurs stehen neben May ihre Konkurrenten Jacob Rees-Mogg und Boris Johnson sowie Jean-Claude "Drunker".
Um dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron die Angst davor zu nehmen, die Briten könnten durch eine Blockade seiner Vorhaben im EU-Rat Druck ausüben, um eine einseitige Ausstiegsoption aus dem umstrittenen Backstop zu erwirken, wurde May im Verlängerungspapier dazu verpflichtet, sich "verantwortungsvoll" zu verhalten und "Ziele der EU" nicht zu "gefährden". Außerdem sollen im Juni die Fortschritte bei der Suche nach einer Lösung überprüft werden.
Juncker: Britische Blockade "nichts Neues"
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dessen Amtszeit am 1. November endet, meinte zu der von Mays Konkurrenten Jacob Rees-Mogg ins Spiel gebrachten Blockade, es sei ja "nichts Neues", dass die Briten Brüsseler Vorhaben blockieren (vgl. Yes Minister Explains the EEC). Außerdem seien die Möglichkeiten, über eine Blockade Druck auszuüben, "begrenzt", weil für viele wichtige Entscheidungen wie etwa die Bestätigung der neuen EU-Kommission eine qualifizierte Mehrheit reiche.
Dem EU-Ratspräsidenten Donald Tusk zufolge ist der Terminaufschub nicht fix, sondern "flexibel". Einigt sich das britische Unterhaus vorher auf eine Mehrheit für Theresa Mays Deal oder eine andere Ausstiegsoption, kann er bereits kurz danach rechtskräftig werden. Das will May dazu nutzen, um Druck auf die Abgeordneten in Westminster auszuüben. Ihr Bildungsstaatssekretär Nadhim Zahawi warnte, eine Teilnahme an der Europawahl sei für die Tories wie ein "Abschiedsbrief".
Damit spielt er darauf an, dass viele Briten diese Wahl wie eine Art Wiederholungsreferendum nutzen könnten, bei dem sie dann nicht für die in der Frage eines Ausstiegs gespaltenen Tories stimmen, sondern für solche, die ihnen eine klare Position dazu anbieten: Für die unter dem Namen "Change UK" antretende Remainer-Abspaltung aus ehemaligen Tories und Labour-Abgeordneten, für die UKIP, oder für die Brexit-Party, die deren ehemaliger Vorsitzender Nigel Farage extra für den Fall einer Austrittsverschleppung gegründet hat.
Farage will Zwei-Parteien-Struktur ein Ende machen
Am Samstag den 13. April stellt er in Birmingham seine Kandidaten vor. Einen Slogan hat er schon: "We are the party for 17,4 million" - jene 17,4 Millionen Briten, die am 23. Juni 2016 für einen Austritt aus der EU stimmten. Und neben der Durchsetzung dieses Ausstiegs hat er ein zweites Ziel ausgegeben: "To cause a revolution in British politics - and to end the two-party structure as we know it."
Ob ihm das gelingt, ist allerdings insofern offen, als die in Umfragen ermittelten Wahlabsichten für das Westminster-Parlament deutlich von denen für das Europaparlament abweichen. Ebenso wie die Ergebnisse der Europawahl 2014 (bei denen die UKIP stärkste Partei wurde) stark von denen der britischen Unterhauswahlen davor und danach abwichen. Das hängt auch mit dem Wahlrecht zusammen: Bei der Europawahl gilt ein verhältnisorientierteres Wahlrecht, bei einer Unterhauswahl ein First-Past-the-Post-Mehrheitswahlrecht, bei dem es Sinn ergibt, einen Kandidaten zu wählen, dem Umfragen eine realistische Chance zubilligen, die meisten Stimmen einzusammeln.
Labour in Umfrage fast 15 Punkte vor Tories
Hinzu kommt, dass das Unterhaus in Westminster eine Legislaturperiode lang die wesentlichen Entscheidungen trifft, während die Abstimmungen in Straßburg und Brüssel für die Briten nur mehr bedingt relevant sein werden, wenn der Ausstieg einmal vollzogen ist. Das vermindert den Anreiz, keine Experimente zu machen, und vermehrt die Verlockung, die Europawahl dazu zu nutzen, um "ein Zeichen zu setzen". Deshalb dürfte auch Farages alte UKIP-Partei eine Chance haben, der sich inzwischen die Social-Media-Stars Paul Joseph Watson und Milo Yiannopoulous angeschlossen haben. Ob sie bei der Europawahl auf der Kandidatenliste der Partei stehen werden, steht noch nicht fest.
Einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage zu den Europawahlabsichten nach würden Mays Tories bei einer Teilnahme am 23. Mai bei 23 Prozent landen. Das wären 14,8 Punkte weniger als die 37,8 Prozent, mit denen Jeremy Corbyns Labour Party rechnen darf. Sie will ihre Kandidatenliste am 17. April bekannt geben.
Farage läge mit 10,3 Prozent für seine Brexit Party deutlich vor seiner alten UKIP, die nur bei siebeneinhalb Prozent gemessen wird. Für Change UK würden mit 4,1 Prozent in etwa so viele Wähler stimmen wie für die schottischen Separatisten von der SNP und die Grünen. Die Liberaldemokraten, deren Position zu EU der von Change UK ähnelt, können mit 8,1 Prozent mit einem etwa doppelt so hohen Stimmenanteil rechnen. Alle vier Brexit-kritischen Parteien würden davon profitieren, dass die abgefragte Wahlbeteiligung unter Brexit-Gegnern mit 47 deutlich höher wäre als unter Brexit-Befürwortern, von denen nur 38 Prozent vorhaben, zur Urne zu gehen.
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