Bring them home now!
Gegen die Besetzung des Irak und Rückzug aller US-Truppen - Jetzt sind es sogar Soldaten und ihre Angehörigen, Reservisten und Veteranen, die die Bush-Regierung offen kritisieren
Mit der US-Besatzung des Irak und den zahlreichen Anschlägen, denen beinahe täglich amerikanische Soldaten zum Opfer fallen, sucht sich die Anti-Kriegsbewegung in den USA neue Aktionsschwerpunkte. Gegen die Besetzung des Irak und Rückzug aller US-Truppen heißt das neue Programm. Für den Abzug von Soldaten hat sich auch das Haushaltsbüro des Kongresses ausgesprochen, weil der personalintensive Einsatz im Irak die weltweite Militärpräsenz der USA gefährdet.
Jetzt sind es sogar Soldaten und ihre Angehörigen, Reservisten und Veteranen, die die Bush-Regierung offen kritisieren. Unter der Parole "Bring them home now" fordern sie "ein Ende der Besatzung des Irak und anderer fehlgeleiteter militärischer Abenteuer und eine sofortige Rückkehr aller US-Truppen".
Eine entsprechende Kampagne wurde Mitte August ins Leben gerufen. Zu den Gründern gehören die Organisation Military Families Speak Out, in der Kriegsgegner organisiert sind, die Verwandte beim Militär haben, sowie die Veteranen für den Frieden. Die Parole "Bring them home" ist eine Anspielung auf den Ausruf "Bring 'em on - Lasst sie kommen" von George W. Bush. Mit Blick auf die Angriffe auf US-Soldaten im Irak hatte der Präsident am 2. Juli auf einer Pressekonferenz gesagt:
Es gibt einige, die meinen, die Bedingungen wären günstig, uns anzugreifen. Meine Antwort ist: Lasst sie kommen.
Der demokratische Präsidentschaftskandidat Dick Gephardt kritisierte diese Sätze umgehend als "Macho-Rhethorik". "Was wir brauchen, sind ernsthafte Versuche, einen Plan für den Nachkriegs-Irak zu entwickeln, und keine Schieß-aus-der-Hüfte-Sprüche." Und auch für die Angehörigen der Soldaten klingen die Sätze des Präsidenten wie Hohn. Als Anfang August die "Bring them home now"-Kampagne der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, griffen Angehörige, darunter der Vater eines im Irak getöteten Soldaten, die Bush-Regierung scharf an, wie die Zeitschrift "The Nation" auf ihrer Internetseite berichtete. "Rumsfeld und Bush sorgen sich um die Truppe genau so wie sich [der amerikanische Geflügel- und Rindfleischproduzent] Tyson Foods um Hühnchen sorgt", so ein Veteran der "Special Forces", dessen Sohn im Irak eingesetzt ist.
Die Kampagne bezweifelt zudem, dass des Pentagon die Zahl der Toten und Verletzten korrekt angibt:
Die militärischen Verluste der USA durch die Besetzung des Irak sind mehr als zwei Mal so hoch wie man den meisten Amerikanern glauben machen will, und zwar wegen der außerordentlich hohen Zahl von Unfällen, Selbstmorden und anderen Todesfällen außerhalb des Gefechts, über die in den Medien weitgehend nicht berichtet wird. Die andere Kriegsfolge, die die US-Soldaten zu tragen haben und über die nicht berichtet wird, ist die Zahl der verwundeten Amerikaner - offiziell 827 seit Beginn der Operation Iraqi Freedom (inoffizielle Zahlen gehen in die Tausende). Die Hälfte davon wurde verletzt, seit Bush Anfang Mai auf dem Flugzeugträger USS Lincoln triumphierend verkündet hat, dass die größeren Kampfhandlungen vorbei sind.
Mit dieser Skepsis stehen die Besatzungsgegner nicht allein. Der Filmemacher Ashwin Raman wies in der tageszeitung ebenfalls darauf hin, wie widersprüchlich die Angaben über verletzte US-Soldaten sind. Während das Pentagon 827 Verletzte zähle, berichte das US-Militärhauptquartier in Katar von 926 Verletzten. Oberstleutnant Allen Delane von der Andrews Air Base in den USA habe sogar von über 4000 Soldaten gesprochen, die auf seiner Air Base in Behandlung seien. Hinzu kämen Verletzte, die aus Platzmangel woanders verlegt worden seien. Insgesamt schätzte Delane die Zahl der Verletzten auf rund 8000 Soldaten.
Doch noch hat die Bush-Administration größere Probleme als den Protest von Kriegsgegnern. Nach einer Studie des "Congressional Budget Office" (CBO) ist zwar die Schätzung des Pentagon, wonach die Besetzung des Irak 3,9 Milliarden Dollar im Monat kostet, zu hoch gegriffen. Trotzdem können es sich die USA nach Einschätzung des Kongressbüros nicht leisten, ständig 180.000 Soldaten im Irak zu haben, ohne ihre weltweite Gefechtsbereitschaft einzubüßen.
Entweder müsse die Zahl der Soldaten bis zum Winter 2004/2005 auf 38.000 bis 64.000 reduziert werden, oder Truppen müssen aus anderen Teilen der Welt abgezogen werden. Ebenfalls möglich sei, Einheiten wie Marinekorps, Special Forces oder Nationalgarde einzusetzen, die bislang nicht zum Peacekeeping herangezogen wurden. Mit 19 Milliarden Dollar Besatzungskosten im Jahr wäre das zumindest billiger als die Personalstärke der Armee zu erhöhen und zwei neue Divisionen aufzustellen, was die Besatzungskosten nach CBO-Schätzungen auf 29 Milliarden hochtreiben würde.
Die Bush-Regierung will jetzt ein weiteres Mal versuchen, ein neues Mandat des UN-Sicherheitsrates zu bekommen, das einige Länder verlangen, bevor sie Soldaten in den Irak schicken. Diesmal wollen die USA selbst einen Resolutionsentwurf im Sicherheitsrat einbringen. Ziel der Bush-Administration ist es dabei, die Truppenstärke in einem Zeitraum von 18 bis 24 Monaten zu reduzieren, so dass die Besatzung des Irak nicht aufwendiger ist als die Besatzung in Bosnien oder Kosovo, berichtete die "New York Times". Was die US-Regierung den Ländern anzubieten hat, die auf eine neue Resolution bestehen, ist noch unklar. Auch wenn Washington jetzt die UNO stärker einbezogen will, so soll doch das Oberkommando in jedem Fall weiter bei den USA verbleiben.
Kritik an der Besatzungspolitik kommt jetzt auch aus dem Militär. Wie die "Washington Times" berichtete, räumen die Vereinigten Stabschefs in einer geheimen Studie ein, dass die Pläne für die Zeit nach dem Krieg völlig überstürzt ausgearbeitet wurden und fehlerhaft seien. Die Planer hätten nicht genügend Zeit bekommen, "Phase IV", den Wiederaufbau, vorzubereiten. Aus dem Report namens "Operation Iraqi Freedom Strategic Lessons Learned" geht auch hervor, dass der Irak-Krieg bereits im August 2002 beschlossene Sache war.