Briten wurden blonder und blauäugiger
Genetische Untersuchungen lassen indirekte Rückschlüsse auf die Physiognomie von Vorfahren zu
Bislang untersuchte man Veränderungen der Physiognomie von Menschen eher über längere Zeitspannen hinweg. Eine neue Methode, die mit der statistischen Analyse von Gensequenzen arbeitet, erlaubt nun einen Einblick in die Veränderungen innerhalb von zweitausend Jahren. Die Methode macht sich den Effekt zunutze, dass Allele, die von der Selektion bevorzugt werden, heute häufiger auftauchen als in der Vergangenheit und früher weniger weit verbreitet sein mussten. Aus diesem Grund ist ihre Variabilität statistisch geringer.
Mit dem daraus entwickelten Singleton Density Score (SDS) untersuchte ein Team um den Stanford-Genetiker Jonathan K. Pritchard die Entwicklung der Einwohner Großbritanniens anhand der Genomdaten von 3.195 Personen aus dem UK10K-Projekt. Den jetzt auf dem Preprint-Server bioRxiv veröffentlichten Ergebnissen nach sind die Briten in den letzten 2000 Jahren insgesamt blonder, blauäugiger und größer geworden.
Letzteres war zwar schwierig zu ermitteln, weil dieses Maß von einer relativ großen Zahl unterschiedlicher Gene abhängt, aber keine große Überraschung, weil sich die historische Entwicklung Körpergröße anhand von Vergleichen der Skelettfunde aus Gräbern schon früher relativ einfach und zuverlässig ermitteln ließ. Anders sieht es bei der Haar- und Augenfarbe aus: Sie war Historikern vor den heute zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der genetischen Hilfswissenschaften lediglich indirekt zugänglich - über Beschreibungen und Abbildungen.
Beschreibungen haben jedoch den Nachteil, dass sie oft nicht aus erster Hand kommen und dass nicht immer klar ist, ob ein antiker Autor ein Eigenschaftswort so verwendet, wie es heute verstanden werden kann. Abbildungen wiederum unterlagen oft verzerrenden Einflüssen wie einem Stil oder der künstlerischen Freiheit des Malers oder Bildhauers - und wenn es keine Mosaike waren, dann veränderten sich die Farben auf Bildern. Auf Statuen verschwanden sie so vollständig, dass sie erst in jüngster Zeit über winzige und für das menschliche Auge unsichtbare Pigmentreste rekonstruiert werden können.
Vor 2.000 Jahren lebten in Großbritannien Kelten und Pikten. Römer kamen erst 43 nach Christus als dauerhaft bleibende Eroberer auf die Insel. Pikten beschreiben die Römer vor allem als blau bemalt, zu ihrer Physiognomie liefern die Quellen praktisch keine Hinweise. Kelten schildern antike Autoren als gelb- oder rothaarig. Allerdings sprechen die Quellen auch davon, dass sich die Kelten ihre Haare mit Kalk bleichten und aufstellten. Der griechische Historiker Diodorus von Sizilien beschrieb das wie folgt:
Ihre Haare sind nicht bloß von Natur gelb, sondern sie suchen diese eigentümliche Farbe durch künstliche Mittel noch zu erhöhen. Sie salben nämlich das Haar beständig mit Kalkwasser und streichen es von der Stirne zurück gegen den Scheitel und den Nacken, so dass sie fast wie Satyrn und Pane aussehen. Denn durch diese Behandlung wird das Haar so dick, dass es völlig einer Rossmähne gleicht.
Ab dem 5. Jahrhundert eroberten Angeln, Sachsen und Jüten den Süden und Osten der Insel. Die Kelten und Keltoromanen, die dort lebten, flohen zum Teil ins gebirgige Wales oder unterwarfen sich - was mit sich brachte, dass sie sich nur eingeschränkt fortpflanzen durften. Das ist ein Grund, warum sich Waliser und Engländer noch heute genetisch unterscheiden.
Anhand von Proben unter englischen, walisischen, norwegischen und friesischen Männern konnte das ein Forscherteam um Michael E. Weale bereits 2002 in der Fachzeitschrift Molecular Biology and Evolution nachweisen: Die Gene der Engländer und der Friesen wiesen Gemeinsamkeiten auf, die bei den Walisern fehlten. Später fand der Oxford-Professor Peter Donnelly heraus, dass die Gene der Waliser denen der Iren und der Franzosen ähneln - Gegenden, die ebenfalls keltisch geprägt sind.
Eine andere Einsicht, die Pritchard und sein Team mit der SDS-Methode gewannen, ist, dass sich die vor etwa 7.500 Jahren entstandene Genvariante, die das problemlose Verdauen von frischer Kuhmilch erlaubt, auch in den letzten 2.000 Jahren weiter durchsetzte. Ein heute größerer Kopf bei Kindern deutet ihrer Ansicht nach darauf hin, dass auch Gehirne in diesem Zeitraum größer geworden sein könnten. Hier besteht seinen Worten nach aber noch weiterer Forschungsbedarf, um diese Annahme zu bestätigen oder zu widerlegen.
Wird die SDS-Methode auf andere Gruppen angewendet, könnten sich interessante Aufschlüsse darüber geben, ob und welche Unterschiede es in der Selektion von Eigenschaften in den letzten 2.000 Jahren gab.
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