Britische Regierung will harte, aber faire Sparmaßnahmen einleiten

Schon nach den ersten Hinweisen auf dem Parteitag der Konservativen gehen Schockwellen durch das Land

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Vom 3. bis zum 6. Oktober fand in Birmingham der Parteitag der britischen Konservativen statt. Es hätte ein triumphales Ereignis werden sollen, schließlich sind die Tories zum ersten Mal seit 1997 wieder an der Regierung, auch wenn sie sich dies mit den Liberaldemokraten teilen müssen. Am Ende reduzierte sich alles auf einen Versuch in Sachen Schadensbegrenzung mit Ausblick auf eine stürmische Zukunft.

Die Inszenierung des Parteitags der Konservativen ist konservativ, das Emblem im Hintergrund lässt Großbritannien ziemlich gerupft erscheinen. Bild: conservatives.com

Schuld daran ist der konservative Finanzminister George Osborne. Dieser verkündete am Dienstag Morgen im Radio neue Pläne für das Kindergeld. Familien, in denen mindestens ein Elternteil über 44.000 Pfund verdient, sollen ab 2013 kein Kindergeld mehr bekommen. Dies wird vor allem Familien treffen, in denen nur ein Elternteil arbeitet, das traditionelle Herzland der konservativen Wählerschaft.

Finanzminister George Osborne bezeichnete diese und andere Initiativen in seiner am 5. Oktober gehaltenen Rede als "harten aber fairen Ansatz". Dazu gehört auch, staatliche Sozialleistungen auf 500 Pfund pro Woche beschränken zu wollen. Dies alles ist Bestandteil eines riesigen Projektes: Das 109 Milliarden schwere strukturelle Staatsdefizit soll bis 2015 vollständig getilgt werden.

Premierminister David Cameron versuchte in seiner Rede am Mittwoch Abend gute Laune zu verbreiten und die zur Defizitreduzierung nötigen Maßnahmen patriotisch und progressiv zu verpacken. Alles findet im Rahmen der "big society" statt. Die konservativ liberale Regierung kämpfe gegen die Pfründe eines Politestablishments aus Politikern, Gewerkschaften und Quangos, so Cameron. Quangos sind von der Blair/Brown-Regierung eingeführte semi-private Körperschaften, die öffentliche Dienstleistungen wie beispielsweise Kindergärten organisieren. "Wir sind heute die neuen Radikalen", rief Cameron seiner Partei zu. Für das nationale Interesse müssten die Interessen einzelner Gruppen zurückstehen.

Premierminister David Cameron sieht die Konservativen als die neuen Radikalen. Bild: Screenshot aus dem Video von seiner Rede

Was dies im Einzelnen bedeutet, soll am 20. Oktober in einer Regierungserklärung bekannt gegeben werden. Doch bereits jetzt gehen Schockwellen durch das Land. So wurde bereits am 12. Juli ein White Paper in das britische Unterhaus eingebracht. Dieses Regierungsvorhaben sieht die Zerschlagung des britischen Gesundheitssystems in seiner bisherigen Form vor. Als einziges soll die Bezeichnung "NHS" übrig bleiben, alles andere wird der Privatisierung und somit der Marktkonkurrenz überlassen. Das NHS ermöglicht weitgehend kostenlosen, aus Steuergeldern finanzierten Zugang zu einer umfassenden Gesundheitsversorgung. Damit wird nach dem Willen der Konservativen bald Schluss sein. Stattdessen soll das Gesundheitssystem kleinteilig aufgespalten werden und Krankenhäuser mit einander in den Wettbewerb treten.

Bereits jetzt bereiten sich Stadtverwaltungen in Großbritannien auf das kommende Sparpaket vor. So verschickte die Kommune Birmingham an alle ihre 26.000 Beschäftigten Entlassungspapiere. Die Gewerkschaft UNISON reagierte verärgert, es gab bereits erste Protestdemonstrationen mit teilweise Tausenden Beteiligten. Proteste gegen kommunale Entlassungswellen gab es auch unter anderem in Bristol, Huddersfield, Leicester und Bolton.

Auch die Renten sind nicht sicher. Donnerstag Früh wurde der so genannte Hutton Report veröffentlicht. In diesem werden weit reichende Einschnitte in die Renten für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes vorgeschlagen. Unter anderem sollen Arbeitnehmer während ihres Arbeitslebens mehr Rentenbeiträge zahlen, was einer Gehaltskürzung gleichkommt. Bereits 2006 versuchte die Labour-Regierung unter Tony Blair ähnliches, musste aber einen Rückzieher machen, nachdem die 5 Millionen Mitglieder schweren Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes einen gemeinsamen Streik androhten.

Koordinierte Streiks der britischen Gewerkschaften gegen das Sparpaket sind seit Ende September auch Beschlusslage beim britischen Gewerkschaftsbund TUC. Dies wurde auf dem TUC-Kongress beschlossen, der vom 13. bis 16. September in Manchester statt fand. Streiks gegen die Auswirkungen des Sparpaketes organisierte bislang vor allem die Transportarbeitergewerkschaft RMT. Zuletzt wurde am 3. und 4. Oktober die Londoner U-Bahn komplett bestreikt, um gegen den Abbau von 800 Stellen im Londoner Underground zu protestieren. Für den 2. und 3. November sind weitere Streiks angekündigt. Am 19. und 23. Oktober werden in London Demonstrationen verschiedener Gewerkschaften gegen das Sparpaket stattfinden.

Am 20. Oktober wird die britische Bevölkerung das gesamte Ausmaß der Sparpläne erfahren. In den danach folgenden Wochen werden die Menschen herausfinden, was diese konkret vor ihrer eigenen Haustür bedeuten. Dann werden die Stadtverwaltungen vor Ort ihre Entlassungspläne bekannt geben, es wird deutlich werden, welche Büchereien, Schwimmbäder und Krankenhäuser geschlossen werden. Die schon bekannt gewordenen Pläne haben bereits Proteste und vereinzelte Streiks hervorgerufen. Eine viel größere Protestwelle steht bevor.