Britischer Innenminister verordnet Speicherung von Internet-Verkehrsdaten
Notfallgesetze zur Terrorbekämpfung stellen Bürger auch im Vereinigten Königreich unter Generalverdacht
Auch im Vereinigten Königreich werden nun rasch Notfallsgesetze zur Bekämpfung des Terrorismus eingeführt. Diese tragen die Handschrift von Hardlinern in Strafverfolgungskreisen, namentlich des National Criminal Intelligence Service (NCIS). Im Vorjahr war ein Bericht des NCIS durchgesickert, wonach die bei der Internetkommunikation anfallenden Log-Files, die sogenannten Verbindungsdaten, der gesamten Bevölkrung für mehrere Jahre gespeichert werden sollen. Im Rahmen der von Innenminister Blunkett gestern vorgestellten Maßnahmen zur Terrorbekämpfung soll dem NCIS dieser Wunsch nun erfüllt werden.
Die Verbindungs- oder Verkehrsdaten geben zwar nicht Aufschluss über die Inhalte der Kommunikation, jedoch darüber, wer mit wem E-Mails austauscht, wer welche Newsgroups nutzt und welche Websites abruft. Laut der in UK derzeit geltenden Direktive für den Datenschutz in der Telekommunikation aus dem Jahr 1996 ist den Internet Service Providern das flächendeckende Speichern der Verkehrsdaten aller ihrer User verboten. Nur die Telegfonnummer, von der aus sie sich einwählen, darf für Abrechnungszwecke und zur Verhinderung von Betrugsfällen gespeichert werden.
Hastig erlassene Anti-Terrorgesetze, weltweit das Gebot der Stunde, sollen dieses generelle Speicherungs-Verbot nun aushebeln. Innenminister David Blunkett hielt sich bei seiner gestrigen Ankündigung im Unterhaus des Parlaments allerdings noch bedeckt, wie das gesetzlich genau geregelt werden soll, bzw. ob überhaupt eine Gesetzesänderung erfolgen wird. Diplomatisch geschickt sprach er von "Maßnahmen, die es Kommunikationsdienstleistern ermöglichen, die Daten aufzubewahren, die bei ihrer Tätigkeit anfallen, insbesondere die Aufzeichnungen aller gemachten Anrufe und ähnlicher Daten - nicht deren Inhalte", ganz so, als ob das im Interesse der Provider wäre.
Caspar Bowden von der Foundation For Internet Policy Research FIPR, die sich im Kampf gegen das umstrittene RIP-Gesetz einen Namen gemacht hatte, beruft sich auf eine Quelle aus dem Innenministerium, derzufolge die Regierung Ausnahmeregelungen im Namen der "nationalen Sicherheit" anwenden könnte, um Provider dazu zu zwingen, die Verbindungsdaten aufzubewahren. Das hätte aus Regierungssicht den Vorteil, dass die Provider unter Anwendung der Ausnahmeregelungen nicht in Konflikt mit nationalem Datenschutzrecht und der EU-Datenschutzdirektive kommen würden.
Sind die Daten aber ersteinmal gespeichert, dann gäbe es keine gesetzlichen Hürden mehr zu ihrer Auswertung, meint Bowden. Die konkrete Überwachung der Inhalte der E-Mail-Kommunikation einer bestimmten Person benötigt immer noch die Unterschrift des Ministers. Doch die gespeicherten Verbindungsdaten könnten nach dem Regulation of Investigatory Powers Act 2000 für ein breites Spektrum an Ermittlungen durch die Polizei und Nachrichtendienste herangezogen werden, sogar für Fälle, bei denen es um Steuern, Ordnungsverstöße und leichte kriminelle Vergehen ginge, analysiert FIPR.
Das heißt, mit der Legitimation der Terrorbekämpfung käme ein weites Feld von Daten in Reichweite von Polizei und Geheimdiensten, die dann nichts mehr daran hindern würde, riesige Datenbanken mit detaillierten Persönlichkeitsprofilen anzulegen. Die Analyse der Verkehrsdaten ist ein Instrument, das sich vor allem dazu eignet, anlassunabhängig Verdachtsmomente über Gruppen und Personen aufzubauen. Sie stellt eine Form der Massenüberwachung dar, die im Widerspruch zu den Bürgerrechten steht, die Innenminister Blunkett zugleich zu schützen verspricht. Ob diese Art der Ermittlungen helfen kann, Terroristen zu fassen, ist hingegen zweifelhaft.
Bisherige Ermittlungen des FBI weisen darauf hin, dass die vermutlichen Flugzeugentführer vom 11.09. Web-E-Mail-Dienste von Rechnern in Bibliotheken und anderen öffentlichen Orten aus nutzten (Fahndung im Internet). Wer von wechselnden Accounts bei Freemail-Providern aus operiert, ist mit den vorgeschlagenen Neuregelungen wohl nicht zu erfassen. Ähnlich liegt der Fall bei Mobiltelephonen. Das National Criminal Intelligence Service weiß selbst nur zu gut aus den Erfahrungen bei der Drogenbekämpfung, dass Dealer Handys mit Prepaid-Karten nutzen, die sie häufig wechseln. Hingegen ist es wahrscheinlich, dass bei diesen Ermittlungsmethoden unschuldige Bürger in den Raster der Polizei gelangen und Informationen über sie in Datenbestände gelangen, die dann auf unbestimmte Zeit gespeichert werden dürfen. "Es ist absolut nicht überzeugend zu argumentieren, dass der Schutz der Privatsphäre im Namen des Kampfes gegen den Terror geopfert werden muss, wenn diese Maßnahmen in Wirklichkeit gar nicht erfolgversprechend sind," sagte Caspar Bowden.
Die Notfallgesetze zur Terrorbekämpfung enthalten darüber hinaus u.a. neue Mittel zur Kontrolle verdächtiger Finanzströme, zur schnelleren und effektiveren Kooperation mit anderen Polizeikräften in der EU, ein Verbot zur Anstiftung religiös motivierten Hasses und zur Anstiftung von Terrorismus im In- und Ausland, Abbau von Informationsbarrieren zwischen Zoll und Strafverfolgern, Ausbau der Flughafensicherheit und beschleunigte Abschiebeverfahren bei unter Terrorismusverdacht stehenden Asylsuchenden.