Brüssel hält die Augen auf
Die EU hat nicht nur die Speicherung aller Daten von Telekommunikationsverbindungen im Visier
Sind die Brüsseler Mühlen erst einmal in Gang gekommen, mahlen sie unerbittlich. Das gilt auch für die länderübergreifende "Bekämpfung des Terrorismus". Zwar konnten sich die Innen- und Justizminister der EU auf ihrem Treffen am Donnerstag und Freitag nicht auf das flächendeckende Ausspionieren von Telefonaten einigen. Bis Oktober aber soll die europaweite Speicherung aller Daten von Telekommunikationsverbindungen Gesetz sein.
Die britische Regierung hat das Vorhaben auf die Agenda ihrer halbjährigen Ratspräsidentschaft gesetzt. Konkret geht es darum, europaweit alle Anbieter von Telekommunikations- und Multimediadiensten zur so genannten verdachtslosen Speicherung sämtlicher Bestands-, Verbindungs-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten auf Vorrat für die Mindestfrist von einem Jahr zu verpflichten. Der Datenbestand soll dann "bei Bedarf" den Strafverfolgungsbehörden, der Polizei und dem Geheimdiensten zur Verfügung gestellt werden. Nicht vorgesehen ist allerdings die Speicherung der Kommunikationsinhalte selbst.
Im Juni waren die Briten im Europaparlament mit eben jenem - gemeinsam mit Frankreich, Irland und Schweden ausgearbeiteten - Vorschlag durchgefallen. Die Abgeordneten hatten "erhebliche Zweifel sowohl an der Wahl der Rechtsgrundlage als auch an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme". Schon einfachste Manipulationen, wie die Nutzung öffentlicher Telefonzellen, die Veränderung von IP- und Email-Adressen oder die Nutzung außereuropäischer Provider, würden die ungeprüften Daten nutzlos machen. Verwiesen wurde auch auf "die Möglichkeit einer Verletzung (...) der Europäischen Menschenrechtskonvention".
Im englischen Newcastle machten nun auch die deutschen Minister Otto Schily (Inneres) und Brigitte Zypries (Justiz) ihre Vorbehalte deutlich. Allerdings nicht grundsätzlich: Sie forderten Ausnahmeregelungen und Nachbesserungen beim Kosten-Nutzen-Verhältnis. Gerade den großen Aufwand hatten die Telefongesellschaften moniert und ihr Mitspielen verweigert. Aus ganz anderen Gründen dagegen lehnt der deutsche Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar das Spähvorhaben ab. Er hält die Erfassung von "Millionen von Datensätzen völlig unschuldiger und unverdächtiger Nutzer von Telekommunikationsdiensten quasi auf Vorrat" für rechtlich bedenklich. Im Zusammenhang mit den jüngsten Beratungen der EU-Innen- und Justizminister forderte Schaar, Daten nur im Zusammenhang mit Terrorismus zu speichern.
Aber nicht nur der Rat, in dem die Vertreter der Staaten sitzen und die wichtigsten Entscheidungen treffen, ist nach den Anschlägen von London in Aktionismus verfallen. Auch die Kommission will offensichtlich an der Terrorflanke massiv mitmischen. Allein in den vergangenen beiden Monaten legte die EU-Zentrale drei zentrale Dokumente vor, mit denen die Abwehr terroristischer Angriffe gestärkt werden soll.
So hat die EU-Kommission Anfang August beschlossen, ein Forschungsprojekt zu finanzieren, mit dem eine "Systemarchitektur für ein Anti-Terrorismus-Sicherheitssystem" im Verkehrswesen entwickelt werden soll. Damit sollen insbesondere Zugreisende besser vor chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Anschlägen geschützt werden. Das Projekt soll dazu Informationen von Sensoren, ferngesteuerten oder autonomen Kameras, Bodeneindringradar und Line-Scannern zusammenführen. Insgesamt 15 Millionen Euro stellt Brüssel für das Vorhaben bereit.
Bereits Mitte Juli hatte die EU-Kommission eine schärfere Kontrolle von allen Materialien und Chemikalien, die zum Bombenbau benutzt werden könnten, angeregt . Dazu gehört die Regelung für kommerzielle Explosivstoffe (einschließlich der Meldepflicht für "verdächtige Transaktionen") ebenso wie die Kennzeichnung von Explosivstoffen oder die Markierung und Verfolgung von Sprengstoffen. Empfohlen wird sogar, den Kauf von speziellen Düngemitteln künftig genehmigungspflichtig zu machen.
Auf die finanziellen Ressourcen des Terrors zielt dagegen ein Verordnungsvorschlag, der grenzüberschreitende Überweisungen in der EU nachvollziehbarer machen soll. Nach dem Willen der Kommission sollen Geldüberweisungen künftig mit der genauen Angabe des Auftraggebers, einschließlich Name, Anschrift und Kontonummer, versehen werden. Auf Anforderung der "zuständigen Behörden" müssen Banken diese Angaben herausgeben. Spätestens im Dezember soll die Verordnung in Kraft treten.
Damit wäre der Zeitplan zu halten, den der britische Innenminister Charles Clarke am Freitag in Newcastle noch einmal bekräftigte: Das gesamte Maßnahmepaket soll bis Jahresende unter Dach und Fach sein. Ob sich mit der symptomatischen Bekämpfung der Terror ausmerzen lässt, steht jedoch auf einem anderen Blatt.