Brüssel will weiter Öl- und Gaskonzerne subventionieren
EU-Kommission will erneut Importe aus der Fracking-Förderung unterstützen. Einfuhren von US-Flüssiggas steigen schnell an
Mitte Februar sollen die Abgeordneten im EU-Parlament pauschal ein besonderes Förderprogramm absegnen. Mithilfe der "Vorhaben im gemeinsamen Interesse" hat die Kommission in den vergangenen Jahren bereits Milliarden von Steuermitteln an Öl- und Gasunternehmen weitergeleitet. Zu einem großen Teil handelt es sich um Gelder, mit denen der Import von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus Übersee angekurbelt werden soll.
Zwischen dem 10. und dem 13. Februar will die Kommission nun die vierte Auflage der Förderliste durch das Parlament bringen. Umweltaktivisten fanden darauf allein 55 Erdgas- und mindestens zwei Ölprojekte, die aus Steuermitteln unterstützt werden sollen. Andy Gheorghiu, Politikberater der NGO Food & Water Europe, hält das Vorgehen für einen einzigen Skandal.
Der Aktivist verweist etwa auf das geplante LNG-Terminal im irischen Shannon. Das Projekt sorgt seit mehr als zehn Jahren für Proteste. Ursprünglich wollte das texanische Unternehmen Hess Corporation dort ein neues Terminal für LNG-Importe errichten. Klimaaktivisten und Anwohner erreichten im Jahr 2014 bereits, dass die Planung zwischenzeitlich eingestellt wurde.
Die Kritiker führen an, dass Irland durch das Projekt zu einem wichtigen Einstiegspunkt für US-amerikanisches Fracking-Gas in die EU würde. Ein laufendes Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Verlängerung der vorläufigen Plangenehmigung für den neuen Betreiber New Fortress Energy ist immer noch nicht abgeschlossen
Dies hindert die Zuständigen in der Kommission jedoch nicht daran, Shannon zu einem Projekt von angeblich "gemeinsamem Interesse" zu deklarieren. Das Projekt beweist laut Andy Gheorghiu, wie die EU-Kommission zugunsten der Gas-Lobby alle Grundsätze über Bord wirft. So wurde weder für Shannon noch für andere Projekte auf der Liste jemals die vorgeschriebene Prüfung der Klimaverträglichkeit durchgeführt:
Schon aus formalen Gründen ist diese Liste ein Skandal. Neben den Klimaaspekten besteht außerdem die Gefahr, dass hier gescheiterte Investitionen, stranded assets, geschaffen werden, für die sogar Schadensersatzklagen fällig werden können.
Andy Gheorghiu
Klimadebatte in den USA
Obwohl die EU-Staaten inzwischen allerlei Selbstverpflichtungen unterzeichnet haben, mit denen sie sich darauf festlegen, nur noch Technologien zu unterstützen, die klimaneutral sind, subventionieren sie mit den Infrastrukturen für gefracktes und verflüssigtes Erdgas einen der gefährlichsten Emittenten von klimaaktiven Gasen.
Selbst die New York Times, bislang eher als unkritische Begleiterin des Fracking-Booms aufgefallen, veröffentlichte kürzlich eine aufwändige Reportage über den massiven Gasschlupf in der amerikanischen Gasindustrie. Darin beschreiben die Autoren die seit 2007 steigenden Methanwerte in der Atmosphäre. Die Fracking-Erdgasproduktion, die sich ebenso wie der Anstieg der atmosphärischen Methanwerte beschleunigte, ist der Hauptverdächtige, so die späte Erkenntnis der New York Times.
Der EU-Kommission scheinen derartige Fragen unbekannt. Weiterhin sponsert sie quer durch die EU und bis in die Ukraine Infrastrukturen, die es ermöglichen sollen, Erdgas aus Übersee einzuspeisen. Die aktuelle Förderliste enthält LNG-Projekte in Polen, Griechenland und Kroatien. Zahlreiche andere Projekte enthalten Infrastrukturen für LNG-Terminals, die bereits in der Vergangenheit subventioniert wurden.
So plant eine Projektgesellschaft "LNG Croatia" vor dem kroatischen Ferienparadies Krk ein riesiges schwimmendes LNG-Terminal zu verankern. Die bereits beschlossenen Zuschüsse zeigen, wie weitgehend die EU-Kommissare den Investoren etwaige Risiken abzunehmen bereit sind. Allein für das Terminal hatte der EU-Steuerzahler mit 100 Millionen Euro aus der letzten PCI-Liste schon mindestens ein Drittel der Investitionssumme übernommen.
Zusätzlich garantiert die kroatische Regierung dem Betreiber ein "Versorgungssicherheits-Entgelt", für den Fall, dass die Einnahmen aus den Nutzungsgebühren die Betriebskosten nicht decken. Nun, mit der aktuell vierten PCI-Liste, will die EU-Kommission den Betreibern auch noch die Kosten für einen Pipeline-Anschluss nach Ungarn abnehmen.
Verkehrte Welt in Brüssel
Wer glaubt, im vergangenen Jahr 2019 habe es einen Durchbruch für das kritische Bewusstsein beim Thema Klima gegeben, findet sich in Brüssel in einer verkehrten Welt wieder. Unverdrossen folgen die Energiekommissare der Kommission den Lobbyisten der Öl- und Gasindustrie. Aus ihrer Perspektive können sie dabei durchaus Erfolg verbuchen.
Wie Analysten von Bloomberg berechneten, verkauften die in den USA aktiven Unternehmen im vergangenen Jahr 2019 den größten Teil ihres verflüssigten Erdgases in die EU. Immerhin 28,8 Millionen Kubikmeter LNG sollen die EU-Häfen erreicht haben, zeigt eine Verfolgung der LNG-Tanker.
Im selben Beitrag beschreiben die Autoren die massiven Austritte von Methan entlang der gesamten Produktionskette. An den Bohrstellen, über den gefrackten Flächen, beim LKW-Transport, im Verflüssigungsprozess, bei der Verladung: Überall kommt es zu ungeheuren Verlusten des Gases, das weitaus klimaschädlicher ist als etwa das berüchtigte CO2. Die Gruppe aus acht LNG-Terminals in Texas-Louisiana stößt potentiell mehr klimaaktive Gase aus als 15 Kohlekraftwerke.
Auch wenn die Erdgasindustrie hartnäckig verbreiten lässt, Gas sei eine saubere Alternative zu Kohle, gilt dies offensichtlich nicht unbedingt, wenn der gesamte Produktionsprozess berücksichtigt wird. Allein die systematische Aushöhlung der Umweltauflagen durch die Regierung von Donald Trump wird laut New York Times in den kommenden Jahren zu massiv verstärkten Emissionen aus der Gasindustrie führen: "Nach den eigenen Berechnungen der EPA würde diese Rücknahme die Methanemissionen bis 2025 um 370.000 Tonnen erhöhen, genug, um mehr als eine Million Haushalte ein Jahr lang mit Strom zu versorgen."
Gleichzeitig stellen sich die Branchenexperten wie Britisch Petroleum und die Internationale Energieagentur darauf ein, dass mit den neuen LNG-Infrastrukturen an Europas Küsten die Einfuhren von US-Gas weiterhin schnell steigen werden. Im Namen der EU-Kommission freute sich kürzlich Handelskommissar Phil Hogan über diese Prognose.
Bei einem Auftritt in Washington beschrieb er die LNG-Exporte aus den USA nach Europa als "Win-Win-Situation". Die transatlantischen Beziehungen seien "erfrischend", so der neue europäische Handelskommissar in seiner Rede zu Handelsbestimmungen und Zöllen. Ausgerechnet die zunehmenden der LNG-Importe führte er als Beispiel an, wie die EU "Ergebnisse" bei einer bilateralen Handelsagenda erziele.
Proteste in Europa
Unterdessen mobilisieren Klimaaktivisten quer durch Europa, um dafür zu sorgen, dass die Abgeordneten Mitte Februar die vierte PCI-Liste ablehnen. Online kursieren zahlreiche Aufrufe, die jeweiligen EU-Abgeordneten anzuschreiben und auf das Problem aufmerksam zu machen. Andy Gheorghiu geht davon aus, dass die Mobilisierung erfolgreich sein könnte.
Bereits bei der letzten Abstimmung über die 3. PCI-Liste sei die Kommission von den heftigen Protesten der Klimaaktivisten überrascht worden. "Wir haben bei der letzten Abstimmung fast ein Viertel der Abgeordneten überzeugt, einem Antrag gegen die Dritte PCI-Liste zuzustimmen."
Viele Abgeordnete im Plenum unterstützen Klimaschutz viel stärker als die Mitglieder im Energieausschuss, so die Kalkulation der Aktivisten. Es gebe noch viele Abgeordnete, die die weitere Unterstützung der EU für fossiles Gas ablehnen.
Deshalb rufen Gruppen wie Food & Water Europe dazu auf, in den nächsten zwei Wochen europaweite Aktionstage gegen eine fortgesetzte EU-Unterstützung für neue fossile Gasinfrastrukturen durchzuführen. In ihrem Aufruf heißt es: "Wir brauchen so viele Menschen wie möglich - Einzelpersonen, Basisgruppen und Nichtregierungsorganisationen -, die mit ihren Abgeordneten Kontakt aufnehmen und sie bitten, die PCI-Liste abzulehnen!"
Andy Gheorghiu sieht aber auch, dass viele Abgeordnete vor einem Dilemma stehen. Dass auch sinnvolle Projekte in der Liste enthalten sind, etwa Smart-Grid-Lösungen für Stromnetze, führe dazu, dass einige Abgeordnete dazu tendieren, pauschal zuzustimmen.
Außerdem betone die Kommission neuerdings, dass dies die letzte fossile PCI-Liste sei. Diese Taktik der Kommission erhöht nach Ansicht von Gheorghiu die Gefahr, dass jetzt langfristig laufenden fossilen Projekten zugestimmt wird, die die überfällige Energiewende grundsätzlich torpedieren.
Wir sehen, dass die Kommission extrem unter Druck steht. Sie versprechen, dass das zukünftig anders wird. Aber die Laufzeiten für die Infrastrukturen, die jetzt beschlossen werden sollen, betragen 30 bis 50 Jahre. Das heißt, die Zukunft wird jetzt entschieden.
Andy Gheorghiu
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