Bulgarien: Streit über Wahlmanipulationen

Ex-Ombudsfrau Maja Manolova im Gespräch mit der Presse. Foto: Frank Stier

Der Verdacht kratzt am Nimbus von Bulgariens Wahldominator Boiko Borissov

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Der Sturz des langjährigen Staats- und Parteichefs Todor Schivkov am Tag nach dem Fall der Berliner Mauer läutete für Bulgarien die krisenhafte Transformation vom autoritären Sozialismus zur demokratischen Marktwirtschaft ein. Sie erreichte ihren absoluten Tiefpunkt im Winter 1996/1997 mit dem Zusammenbruch des Bankensystems. Seitdem befindet sich das Balkanland in einem zähen Prozess der Konsolidierung.

Massenemigration, eine überalternde Gesellschaft, ein darniederliegendes Gesundheitswesen und ein mangelhafte Bildungssystem hemmen den Fortschritt. Das Balkanland ist dauerhaft auf den Titel "ärmstes Land der Europäischen Union" abonniert. Soziologischen Untersuchungen zufolge gehört das bulgarische Volk zu Europas unglücklichsten Völkern.

Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov praktiziert aber das positive Denken. Seiner Ansicht nach waren die dreißig Jahre seit der Wende am 10. November 1989 "das Schönste, was Bulgarien in seiner neueren Geschichte widerfahren ist", postet er auf Facebook.

Viel Arbeit und Anstrengung haben Bulgarien verändert, man lebt jetzt in ihm viel besser. Während des Übergangs haben wir eine Reihe von Schwierigkeiten erlebt - Hyperinflation, Bankenpleiten, Löhne und Pensionen in Höhe von ein paar Dollars, leere Geschäfte, die Blockade des ganzen Landes, Hoffnungslosigkeit. Heute sind das aber Erinnerungen an die Vergangenheit. Bulgarien ist Mitglied der NATO und der EU. Wir reisen frei um die Welt. Jedes Jahr wächst das Bruttoinlandsprodukt (BIP), die Arbeitslosigkeit ist auf historisch niedrigem Niveau.

Boiko Borissov

Kaum eine Persönlichkeit von Bulgariens Politik und Gesellschaft ist befugter zu einer Bilanzierung der bulgarischen Transformationsperiode als Boiko Borissov. Er war so gut wie in der gesamten Übergangszeit in exponierter Position.

Boiko Borissov, alternativlos

Zunächst als Leibwächter des in Ungnade gefallenen Todor Shivkovs, dann als Beschützer des aus dem Exil heimgekehrten Zaren Simeon Sakskoburggotski. Als dieser Regierungschef wurde und ihn zum Hauptsekretär im Innenministerium und damit zum obersten Verbrechensbekämpfer ernannte, erwarb sich Borissov trotz mangelnder Aufklärungserfolge die Sympathien vieler Bulgaren.

Sie machten ihn schließlich zum am meisten gewählten Politiker in Bulgariens jüngster Geschichte. Seit er im Herbst 2005 Bürgermeister von Sofia wurde, hat er so gut wie alle Wahlen gewonnen, denen er sich persönlich oder mit seiner rechtsgerichteten Partei Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) gestellt hat. Die Wahlniederlage seiner Kandidatin bei den Präsidentschaftswahlen im November 2016 bestätigte als Ausnahme nur die Regel.

Nun ist Borissovs GERB auch aus der Kommunalwahl Ende Oktober/Anfang November 2019 als Wahlsieger hervorgegangen. Sie konnte landesweit 803.899 Stimmen erringen, fast doppelt so viel wie die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP), die größte oppositionelle Kraft. In den kommenden vier Jahren stellt GERB in siebzehn der siebenundzwanzig Bezirksstädten den Bürgermeister, auch in den vier größten Städten Sofia, Plovdiv, Varna und Burgas.

Allerdings hat Borissovs Partei gegenüber der letzten Kommunalwahl rund neunzigtausend Stimmen eingebüßt und fünf Bezirksbürgermeister verloren. Boiko Borissov sieht dies aber weniger als Wahlverluste, sondern eher als Rückkehr zur Normalität. Schließlich sei es nicht normal, dass eine Partei eine derartige Machtfülle besitze wie die seine in den vergangenen vier Jahren.

Boiko Borissov. Foto: Frank Stier

Boiko Borissov scheint nach einem guten Dutzend gewonnener Wahlen in den vergangenen vierzehn Jahren alternativlos, seine Macht auf unabsehbare Zeit in Beton gegossen. Die geringe Wahlbeteiligung von gerademal 42,1% im zweiten Wahlgang zeugt indes von einer massiven Politikverdrossenheit und relativiert Borissovs Popularität unter den Bulgaren. Unter Bulgariens verhassten Politikern ist er einfach noch der beliebteste.

Seine Nachfolgerin im Amt des Sofioter Bürgermeisters Jordanka Fandukova errang ihr viertes Mandat in der Stichwahl lediglich mit einer knappen Mehrheit von rund 4% der Stimmen. Nicht einmal jeder vierte Sofioter Wahlberechtigte hat sie im Amt bestätigt.

Götterdämmerung: Vorwürfe der Wahlmanipulation

Rückläufige Stimmanteile und verlorene Bürgermeisterämter bei den Kommunalwahlen werten gegenüber Borissov kritisch eingestellte Politikbeobachter als erste Anzeichen einer Götterdämmerung des übermächtigen Regierungschefs. Viele Unregelmäßigkeiten beim Wahlprozess und auffällige Wahlergebnisse in Wahllokalen in Romavierteln stellen zudem die Legitimität der Wahl in Frage. Auch dies kratzt am Nimbus des unkaputtbaren Landesvaters Borissov.

"Die Regierung hat mit der Organisation und der Manipulation dieser Wahlen den Tiefpunkt erreicht", kommentierte die in der Sofioter Stichwahl knapp gegen Fandukova unterlegene Maja Manolova. Die frühere Sozialistin und bisherige Ombudsfrau war von einem parteienunabhängigen Initiativkommittee für die Wahl nominiert worden.

Sie wirft ihrer Konkurrentin Fandukova vor, von Stimmenkäufen nicht nur in Romavierteln, sondern auch in Wohngebieten ethnischer Bulgaren profitiert zu haben. Obwohl sie der Staatsanwaltschaft Wahlverletzungen angezeigt habe, sei diese untätig geblieben, klagt Maja Manolova.

Tatsächlich war die irritierende Tatsache, dass die Zahl der Wahlberechtigten bei der Stichwahl in Sofia um rund 101.000 kleiner war als im ersten Wahlgang, nur eine von vielen Merkwürdigkeiten dieser Wahl. Die zuständige Wahlkommmission erklärte sie mit einem "technischen Fehler". Am vergangenen Montag hat Ex-Ombudsfrau Manolova die Wahl vor der hauptstädtischen Wahlkommission offiziell angefochten.

Sofias Bürgermeisterin Jordanka Fandukova. Foto: Frank Stier

"Wenn einer glaubt, in Sofia könnten Wahlen mit gekauften, Stimmen gewonnen werden, so ist das absurd", konterte Fandukova den Verdacht, ihre Wahlhelfer könnten ihren unverhältnismäßig hohen Stimmanteil in den Wahllokalen der Roma mit unlauteren Mitteln erwirkt haben. Dafür, dass über 90% der abstimmenden Roma in Fakultäta für sie gestimmt haben, lieferte sie eine Erklärung.

Die dortige Schuldirektorin sei GERB-Mitglied und bei den Roma sehr beliebt. Mag solch eine Eklärung eventuell den Einzelfall begründen, so reicht sie gewiss nicht aus, zu plausibilisieren, warum insgeamt 85% der abstimmenden Sofioter Roma Frau Fandukova gewählt haben, wo dies doch nur 49,98% der Gesamtheit abstimmender Sofioter getan haben.

"Sie haben Recht, Boiko zu lieben"

Nicht nur in Sofia erzielte GERB auffallend hohe Stimmanteile unter den Roma, auch in Plovdiv, Varna und anderen Gemeinden. Varnas Bürgermeister Ivan Portnich erhielt ihren Zuspruch gar zu 92,3%. Die überaus große Popularität seiner Kandidaten unter den Roma erklärte Boiko Borissov mit seiner eigenen Beliebtheit: "Es wurde gesagt, die Zigeuner lieben Boiko sehr. Sie haben recht, Boiko zu lieben. Sie erfreuen sich an mir, weil ich ihnen Arbeit gebe, weil ich 50.000 ihrer Kinder in die Schule zurückgebracht habe, damit sie anständig lernen und nicht klauen lernen."

Sowieso sei es nur normal, dass Wahlverlierer versuchten, die Legitimität der Wahl in Frage zu stellen. "Die riesige Anzahl ungültiger Wahlbulletins in der ersten Wahlrunde und die vielen Signale zu gekauften Stimmen kompromitieren das Vertrauen in den Wahlprozess", kommentierte Staatspräsident Rumen Radev den Verlauf der Kommunalwahlen kritisch.

Von Borissov und seinen Parteigängern zog er sich dafür den Vorwurf zu, seine Neutralitätspflicht zu verletzen. Wahlen seien immer nur legitim, wenn Radev sie gewinne, ätzte Borissov. "Ich will auch die Präsidentenwahl anfechten, aber sein Mandat geht schon zuende", klagte er.

"Die Makler sind immer erfinderischer, die Käufer immer skrupelloser"

Der primär über repräsentative Funktionen verfügende Präsident Radev hat sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren zu einer Art kritisches Korrektiv der Exekutive entwickelt. Immer wieder verweigert er von der Regierungsmehrheit beschlossenen Gesetzen seine Unterschrift, wenn er sie nicht für rechtmäßig hält.

Zuletzt versagte er auch dem vom Kabinett Borissov unterstützten neugewählten Generalstaatsanwalt Ivan Geschev die Ernennung. Als möglich gilt, dass General Borissov bei der nächsten Präsidentschaftswahl im Jahr 2021 gegen den Luftwaffengeneral Radev antreten wird.

Der bulgarische Korrespondent der Deutschen Welle, Jassen Bojadzhiev, hat sein Fazit zum Verlauf der Kommunalwahlen folgendermaßen formuliert:

Die Makler sind immer erfinderischer, die Käufer immer skrupelloser, die Verkäufer immer mehr verlumpt. Es gibt Orte, da stimmt bereits der kleinere Teil der Wahlklientel kostenlos ab. Dort ist die Wahlbeteiligung am höchsten.

Jassen Bojadzhiev

Ob die Wahlen zu den Gemeindeparlamenten und Bürgermeisterämtern nun Regierungschef Boiko Borissov und seine Partei GERB gestärkt oder geschwächt haben, dürfte sich in den kommenden Monaten erweisen.