Bund schießt gegen bunt
"Der Bundeswehrstand wurde von der re:publica geworfen" und so ähnlich rauschte es am 2. Mai durch die sozialen Medien und schuf Aufruhr und Verwirrung
Ein Stand der Bundeswehr auf der re:publica? Wer vor Ort war, hatte so einen Stand nicht bemerkt, wohl aber den Wagen mit mobilem Infostand der Armee vor den Toren des Veranstaltungsortes. Über den gab es einige Beschwerden, die Uniformierten dort sollen sich aufdringlich und provokativ verhalten haben.
Gegen 14 Uhr versuchte die Bundeswehr, auf der Facebookseite "Bundeswehr Karriere" aufzuklären, was los sei: "Nachdem die #Bundeswehr im vergangenen Jahr keinen Stand haben durfte, weil die Anmeldung angeblich zu spät erfolgt sei, konnten die Organisatoren diese Begründung in diesem Jahr nicht anführen."
Also dieses Jahr wurde ein Stand genehmigt? Die Formulierung legt es nahe. Weiter heißt es dort: "Nun verweigern sie unseren #Soldaten aber den Zutritt in #Uniform. Die vorgebliche Toleranz der Konferenz hat also ihre Grenzen - Uniformen sind unbequem." Wenn der Zutritt nun aber verweigert wird, dann ist das natürlich gegen die Absprache, wenn doch ein Stand genehmigt war!
Später wurde dann angeprangert. dass sogar der Presse der Zugang verweigert wurde, die über den Fall berichten wollte - es handelte sich dabei konkret um Mitarbeiter von Radio Andernach, einer Art deutscher Version von BFBS, das deutsche Soldatinnen und Soldaten verbinden soll.
Tatsächlich war aber alles völlig anders, wie die Organisatoren der Konferenz mittlerweile ausführlich und transparent aufbereitet schildern. Die Bundeswehr wollte schon 2017 einen Stand in der Halle der re:publica haben, es gab aber Diskussionen über die Form der Beteiligung der Armee, bis schließlich alle zur Verfügung stehenden Plätze vergeben waren.
Für 2018 erhielt die Bundeswehr für einen Stand und Anwesenheit in Uniform dann eine ausdrückliche Absage. Schließlich ist die re:publica eine zivilgesellschaftliche Konferenz mit beschränktem Platzangebot für Stände. Und da sie auch noch international ist und jedes Jahr auch zahlreiche Menschen aus totalitären Regimen und Diktaturen teilnehmen, würde ein Stand mit uniformierten Soldaten zumindest Irritationen auslösen.
Ob eine andere Form der Beteiligung - ohne Uniform - möglich gewesen wäre, sei dahin gestellt, da die Bundeswehr ein Erscheinen ohne Uniform nicht für möglich hielt. Dabei sagt die Ziffer 113 der "Kleiderordnung für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr", dass zivile Kleidung im Dienst erlaubt ist, sofern der oder die Vorgesetzte es genehmigt.
Dass schließlich ein Wagen von "Bundeswehr Karriere" vor dem Veranstaltungsort aufgestellt und von dort aus Infomaterial verteilt wurde, war jedenfalls weder abgesprochen noch vorhersehbar. Dass Veranstalter und Publikum der Konferenz durch das Auftreten provoziert werden sollten, liegt auf der Hand.
Im Facebook-Posting dann zu sagen: "Die Provokation gegen unsere #Parlamentsarmee nehmen wir zum Anlass, die Veranstalter an ihr eigenes Motto zu erinnern", erinnert an etwas, das ich mal als "Russische Rhetorik" gelernt habe: Wirf dem Gegner als erstes das vor, was Du selber planst, dann klingen seine Beschwerden wie billige Retourkutschen.
"Fake News" und "Alternative Facts" kommt einem da in den Sinn. Was soll das? Braucht die Bundeswehr tatsächlich Halbwahrheiten und derart plumpes Guerilla-Marketing, um Personal zu werben? Oder ist das Ganze eine Nebelkerze? Versucht man, von irgendetwas abzulenken?
Reaktionen auf den Vorfall aus der Politik - unter anderem von Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, für die FDP im Verteidigungsausschuss, kamen so prompt und unisono, dass ein Briefing vor der geplanten Eskalation nahe liegt.
Wollte die marode Bundeswehr mehr Aufmerksamkeit?
Am 2. Mai wurden tatsächlich die Eckwerte des Bundeshaushaltes vorgestellt. Eckwerte, welche die Bundeswehr und ihre Einsatzfähigkeit durchaus betreffen. Und das hat internationale Dimensionen.
Der Blogger, Journalist und Bundeswehrbeobachter Thomas Wiegold wurde dazu im Deutschlandfunk interviewt. Zur aktuellen Bündnisfähigkeit der Bundeswehr, also der Fähigkeit, die zugesagten NATO-Leistungen zu erfüllen, sagte er:
Sie ist noch nicht in Gefahr, aber es droht, dass sie in Gefahr gerät. […] Zum Beispiel hat Deutschland [...] zugesagt, drei einsatzbereite Divisionen zu stellen. Davon ist die Bundeswehr weit entfernt. Im Moment wird Material zusammengesammelt, um eine Brigade fit zu machen für die Schnelle Eingreiftruppe der NATO, wo Deutschland im kommenden Jahr in der Pflicht ist, und es sieht einfach so aus, dass jetzt in diesem Jahr der Verband, der dann in diese Bereitschaft geht, dass der sich überall im Heer seine Ausrüstung zusammenleihen muss.
Thomas Wiegold
Von den sechs Unterseebooten der Marine ist derzeit keines einsatzbereit, Piloten droht der Verlust ihrer Fluglizenzen, weil zu wenige Flugzeuge intakt sind, um die vorgeschriebenen Trainingsstunden zu absolvieren. Dieses Armutszeugnis beruht einzig auf Einsparungen im Verteidigungshaushalt, durch die beispielsweise kaum noch Ersatzteile beschafft werden können.
Zwar werden im Haushaltsplan rund 5% (1,5 Milliarden Euro) mehr für die Bundeswehr eingeplant, aber auch diese 5% sind angesichts der auf die Bundeswehr zu kommenden Tariferhöhungen und allgemeinen Preissteigerungen nicht mal im Ansatz ausreichend zur Sanierung der maroden Waffensysteme. Wurde also gegen die re:publica gepoltert, um davon abzulenken, dass die Bundeswehr zur reinen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geworden ist?
Die Bundeswehr wollte angeblich nur über ihr Engagement "im Bereich Cyber und Digitalisierung" informieren
Die Pressestelle des Verteidigungsministeriums versucht, steif und mit kognitiven Dissonanzen die merkwürdige Aktion zu rechtfertigen, weigert sich aber, auf konkrete Fragen einzugehen. Die Bundeswehr, heißt es in der abschließenden Antwort auf alle Presseanfragen, wolle auf der re:publica "wie auf vergleichbaren Veranstaltungen" über ihr Engagement "im Bereich Cyber und Digitalisierung" informieren.
Warum ausgerechnet eine Einheit namens "Bundeswehr Karriere" über "Cyber und Digitalisierung" informieren sollte und welche vergleichbaren Veranstaltungen gemeint sind, das bleibt geheim.
Immerhin gesteht die Pressestelle der re:publica zu, selber zu entscheiden, wer alles als Partner mit einem Stand teilnehmen darf, um dann zu kritisieren, dass die Bundeswehr es wegen der Uniformen nicht durfte. "Mit der Plakat-Aktion und in den Gesprächen wollte die Bundeswehr die Veranstalter und die Besucher auf den Charakter dieser Messe hinweisen - und auf das Thema Toleranz: Denn "zu bunt gehört auch grün", schrieb sie weiter.
Die re:publica als Messe und nicht als Konferenz zu verstehen, ist nicht unbedingt ein Zeichen davon, dass man sich mit ihr befasst hat. Aber die ausdrückliche Intention, mit dem Wagen vor der re:publica auf den "Charakter der Konferenz" hinweisen zu wollen, ist juristisch interessant. Die Anwältin Dr. Miriam Vollmer führt das in ihrem Blog aus.
Grundsätzlich dürfen staatliche Stellen nämlich nur im Rahmen der Aufträge tätig werden, die ihnen vom Gesetzgeber erteilt wurden. Als Helmut Schmidt 1962 als Regierender Bürgermeister von Hamburg Unterstützung der Bundeswehr anforderte, um Menschen vor der Sturmflut zu retten, war klar, dass die Armee rechtlich gesehen überhaupt nicht helfen durfte ("Der Verfassungsbruch hat Leben gerettet").
Anwältin Vollmer schreibt daher: "Ist etwas keine Aufgabe der Verwaltung, dann ist sie auch nicht befugt. [...] Ob dies hier der Fall war, ist ausgesprochen zweifelhaft. Welche Aufgabe soll das sein, die die Bundeswehr erfüllt, wenn sie sich öffentlich beschwert, dass ein privater Veranstalter ihr keinen Stand vermietet?"
Und nicht nur in dieser Hinsicht hat die Bundeswehr anscheinend ihre Befugnisse überschritten und rechtswidrig gehandelt. Auch der Slogan "Zu bunt gehört auch grün", der eigentlich olivgrün meint, ist als öffentliche Äußerung von Soldatinnen und Soldaten rechtlich fragwürdig.
"Bunt" bezieht sich auf das diesjährige Motto der re:publica und den Code of Conduct: "Es versteht sich für uns von selbst, dass niemand aufgrund seines Alters, Geschlechts, Aussehens, seiner sexueller Orientierung, körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung, Hautfarbe, Herkunft oder Religion benachteiligt wird."
"Unseren Code of Conduct sehen wir natürlich als politisches Statement, jetzt nicht als links, denn was wir da vorgeben, sollte die Grundlage einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft sein" sagt Andreas Gebhard.
Darf militärisches Personal nun im Dienst öffentlich Stellung zu politischen Themen beziehen? § 15 des Soldatengesetzes sagt dazu eindeutig: "Im Dienst darf sich der Soldat nicht zu Gunsten oder zu Ungunsten einer bestimmten politischen Richtung betätigen."
Abgeschlossen ist das Thema jedenfalls noch lange nicht. Ob die Veranstalter der re:publica juristisch gegen die Bundeswehr vorgehen, ist noch offen. Und auch der Bundestag wird sich noch damit befassen. Anke Domscheit-Berg kündigte auf Twitter eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linken an die Bundesregierung an.