Bundesinnenministerium will Gefährderbegriff EU-weit vereinheitlichen
In Deutschland gibt es keine Legaldefinition für "Gefährder". Sie werden für Taten verfolgt, die sie noch nicht begangen haben. Die Bundesregierung will nun europaweit mehr Daten über die Personengruppe austauschen
Eigentlich soll die Polizei Verdächtige oder Beschuldigte einer Straftat verfolgen. Zu ihren Aufgaben gehört zudem die Unterbindung einer "konkreten Gefahr", wie sie etwa von im Polizeijargon "Störer" genannten Personen ausgeht. Mit den "Gefährdern" schleicht sich seit zwei Jahrzehnten eine dritte polizeiliche Zielgruppe in das deutsche Recht, wie es Heiner Busch in der Zeitschrift CILIP ausgedrückt hat. Damit begann eine neue Etappe der Verlagerung der Strafverfolgung in das Vorfeld: Es werden Bedrohungen verfolgt, die noch gar nicht eingetreten sind.
Vor den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 wurden vor allem linke AktivistInnen oder auch Fussballfans als "Gefährder" bezeichnet, inzwischen wird die Kategorie meist im Zusammenhang mit Terrorismus verwendet. Einen Rechtsbegriff gibt es dafür nicht, es handelt sich vielmehr um einen Arbeitsbegriff, den die Leiter der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes 2004 vage umrissen haben. Ein "Gefährder" ist demnach eine Person, bei der "bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung" begehen wird.
Fragebogen an alle Mitgliedstaaten
Eine für alle Polizeibehörden des Bundes und der Länder verbindliche Legaldefinition des Gefährderbegriffes könnte nur nach vorheriger Änderung des Grundgesetzes erfolgen, schreiben die Wissenschaftlichen Dienste im Bundestag in einem Sachstand. Vorher müsste dem Bund die Gesetzgebungsbefugnis für das gesamte Polizeirecht übertragen werden.
Trotz der rechtlichen Unbestimmtheit will die Bundesregierung den Begriff jetzt auf EU-Ebene etablieren und damit die Verfolgung dieser Personengruppe erleichtern. Im Rahmen des deutschen EU-Vorsitzes hat das Bundesinnenministerium Schlussfolgerungen entworfen, die derzeit in der Ratsarbeitsgruppe "Terrorismus" diskutiert werden. Sie basieren auf einem Fragebogen, den das Ministerium im Sommer an alle Mitgliedstaaten verteilt hatte.
Der Entwurf vermeidet den Versuch einer EU-weiten Definition von "Gefährdern", da dies wie in Deutschland zunächst im Polizeirecht vieler Mitgliedstaaten verankert werden müsste. Jedoch sollen die Schlussfolgerungen "ein gemeinsames Verständnis und gemeinsame Kriterien" für die Einstufung als "Gefährder" entwickeln. Mit Beschluss des Entwurfs soll der amtierende Ratsvorsitz (bis Jahresende ist dies noch Deutschland) aufgefordert werden, Vorschläge für diese Kriterien auszuarbeiten und diese dem Ständigen Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit zur Billigung vorzulegen.
"Bedrohungen früher erkennen, Straftaten verhindern"
Auf Englisch werden "Gefährder" in EU-Dokumenten als "Personen, die eine potentielle terroristische oder gewalttätige extremistische Bedrohung darstellen", bezeichnet ("persons considered a potential terrorist or violent extremist threat"). Ihre Daten sollen dem Vorschlag zufolge verstärkt in europäische Datenbanken und Informationssysteme eingegeben werden. Damit sollen die Behörden der Mitgliedstaaten befähigt werden, "Bedrohungen früher zu erkennen, Straftaten zu verhindern und Ressourcen besser gezielt einzusetzen".
Auch Geheimdienste können die Informationen nutzen. Im Rahmen der "Counter Terrorism Group" unterhalten die Inlandsdienste aller Schengen-Staaten ein Echtzeit-Informationssystem über "islamistischen Terrorismus" in Den Haag, über das Informationen zu einzelnen Personen übermittelt werden. Dabei dürfte es sich in weiten Teilen um den Kreis handeln, den das Bundesinnenministerium nun europaweit mit "Gefährdern" bezeichnen will.
Europäische Polizeibehörden und Geheimdienste schreiben Personen, die als "potentielle terroristische oder gewalttätige extremistische Bedrohung" anzusehen sind, insbesondere im gemeinsam betriebenen Schengener Informationssystem (SIS II) zur verdeckten Beobachtung aus. Diese heimlichen Fahndungen nehmen vor allem in Frankreich jedes Jahr deutlich zu. Möglich wäre, die Speicherung zukünftig mit einem Marker "Gefährder" zu versehen. Eine ähnliche Kategorie wurde im SIS II erst kürzlich als "Aktivität mit Terrorismusbezug" eingeführt.
Erfolgskontrolle durch Europol
In den geplanten Schlussfolgerungen werden die Mitgliedstaaten zunächst aufgerufen, die bestehenden Instrumente für den Austausch von Informationen über "Gefährder" in vollem Umfang zu nutzen. Die EU-Kommission soll dies in Absprache mit Europol und dem Koordinator für die Terrorismusbekämpfung überprüfen und Verbesserungsvorschläge machen.
Nur in einem Satz erwähnt das deutsche Papier, wie die Behörden schließlich mit "Gefährdern" umgehen sollen. Demnach soll der Ministerrat in seinen Schlussfolgerungen auch den "potentiellen zusätzlichen Nutzen von operativen Treffen" betonen. Für grenzüberschreitende Verabredungen von Maßnahmen gegen die Betroffenen soll Europol ein verschlüsseltes Kommunikationssystem zur Verfügung stellen.