Bundesrechnungshof: Bundestagsfraktionen finanzierten illegal ihre Parteien
Vor allem die Gewährung von Mitteln für Öffentlichkeitsarbeit macht den Missbrauch einfach
Ende der 1960er Jahre wollte das Bundesverfassungsgericht der direkten Parteienfinanzierung aus dem Steuersäckel Grenzen setzen. Danach explodierten die Ausgaben für Abgeordnetenmitarbeiter, Fraktionen und Stiftungen, weil sich die deutschen Parteien zunehmend indirekt darüber finanzierten. Von den Ausgabenerhöhungen für diese Bereiche bekam die Öffentlichkeit auch deshalb praktisch nichts mit, weil Erhöhungen bei Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeitern und Parteistiftungen über bloße Änderung von Titeln im Gesamthaushalt versteckt und nicht im Gesetzblatt veröffentlicht wurden. Und die Oppositionsparteien hatten als Mit-Nutznießer regelmäßig wenig Interesse daran, dass Bürger darüber debattieren.
Im Falle der Fraktionen hat dieses offene Geheimnis nun auch der Bundesrechnungshof bestätigt. Er kommt in einem gerade veröffentlichten Bericht zum Ergebnis, dass im von ihm untersuchten Jahr 2013 ausnahmslos alle damals im Bundestag vertretenen Parteien Steuergeld, das theoretisch ausschließlich der Finanzierung der Fraktionsarbeit dienen sollte, zu ihrer eigenen Finanzierung einsetzten.
Veranstaltungen, Druckwerke und Webauftritte
Durch die von ihren Abgeordneten selbst erlassenen und sehr schwammigen Vorschriften machten es sich die Parteien sehr leicht, das für die Fraktionsarbeit gewährte Steuergeld zur Verbesserung der eigenen Wahlchancen einzusetzen. So dürfen die Fraktionen damit nicht nur Veranstaltungen, sondern auch Druckwerke und Webauftritte finanzieren. Weit entfernte Grenzen setzt ihnen dabei im wesentlichen nur die ältere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die der Bundesrechnungshof heranzog, um Verstöße zu diagnostizieren.
Die damals noch nicht so eng wie heute mit den Parteien verflochtenen alten Bundesverfassungsrichter urteilten nämlich am 19. Juli 1966, dass den Fraktionen als Teilen des Bundestages Staatsorgancharakter zukommt, weshalb sie bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit beachten müssen, dass sich die Willensbildung in Demokratien vom Volk hin zur Staatsgewalt (und nicht in umgekehrter Richtung) vollzieht (Aktenzeichen 2 BvF 1/65). Eine 21 Jahre nach den Erfahrungen mit der Gleichschaltung im Dritten Reich ausgesprochene fundamentale Erkenntnis, die heute, 53 Jahre später, in den Köpfen vieler deutscher Politiker und Medienmachthaber in Vergessenheit geraten zu sein scheint.
Gravierende Konsequenzen nicht zu erwarten
Besonders negativ fiel dem Bundesrechnungshof die im Herbst 2013 aus dem Bundestag ausgeschiedene FDP-Fraktion auf. Sie gab gleich 40 Prozent ihres Gesamtbudgets für "Öffentlichkeitsarbeit" aus, finanzierte damit sogar Kinospots und beauftragte eine auffällig teure Medienagentur. Die Akten der nach der Wahlniederlage "in die Liquidation überführten" Fraktion (aus denen sich möglicherweise noch umfassendere Verstöße ergeben hätten) wurden bei der Auflösung der Büros vernichtet. Für ihr millionenschweres Defizit in der Bilanz musste die FDP nicht haften.
Dass die vom Bundesrechnungshof aufgedeckte illegale Parteienfinanzierung für sie oder die ebenfalls betroffenen Parteien ernsthafte Konsequenzen haben wird, ist nicht zu erwarten. Über diese Konsequenzen entscheidet nämlich die Bundestagsverwaltung, die faktisch dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble untersteht, der dort die personellen Weichen stellt. Entscheidungen, die sich negativ auf Schäubles CDU auswirkten, wären deshalb karrieretechnisch eher kontraproduktiv - und Strafen nur gegen andere Parteien ließen sich juristisch schwer mit dem Gleichheitsgrundsatz in Übereinkunft bringen.
"Bürgerferne Staatsparteien"
Für die Parteien noch bedeutender als das Geld für die Fraktionen ist das für die Abgeordnetenmitarbeiter. Sie fungieren der Einschätzung des Verwaltungswissenschaftlers Hans-Herbert von Arnim nach inzwischen als "eigentliches organisatorisches Rückgrat der Parteien", was nicht zuletzt an den vielen Parteifunktionären sichtbar wird, die in den Büros der Parlamentarier auf Steuerzahlerkosten angestellt sind. Bei der Einführung der Abgeordnetenmitarbeiterspesen 1969 hatten Vertreter der Parteien noch hoch und heilig versprochen, mit dem Geld niemals Funktionäre bezahlen zu wollen.
Problematisch ist die verschleierte Parteienfinanzierung Arnim zufolge nicht nur wegen der grundgesetzwidrigen Benachteiligung von Parteien, die nicht oder nur mit wenigen Mandaten in Parlamenten vertreten sind, sondern auch, weil sie die Parlamentsparteien seiner Ansicht nach von "Mitglieds- und Bürgerparteien" zu "bürgerfernen Staatsparteien" werden lässt, was dem "Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien widerspricht" und für eine "zunehmende Lücke zwischen Politik und Bürgern mit verantwortlich" ist.
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