Bundesregierung prüft Maßnahmen gegen unberechtigtes Löschen und Sperren
Beim Problem, dass Facebook zwar eine Empfängeradresse nennt, aber die Annahme dort verweigert, verweist das Justizministerium auf die Möglichkeit der fiktiven Zustellung im Zivilrecht
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat für die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der AfD-Abgeordneten Joana Cotar zum Social-Media-Zensurgesetz NetzDG geantwortet. Die 1973 im damals kommunistischen Rumänien geborene Abgeordnete wollte darin unter anderem wissen, wie Medienberichte über unberechtigte Sperren zu einer Passage in der Begründung zu § 3 Absatz 2 Nummer 5 des NetzDG passen, in der es heißt, diese stelle "sicher, dass ein Nutzer, der gegen die Entfernung oder Sperrung eines für ihn gespeicherten Inhalts vorgehen will, die geeigneten rechtlichen Schritte zur Wahrung seines Rechts auf Meinungsfreiheit zeitnah einleiten kann", damit "niemand [hinnehmen muss], dass seine legitimen Äußerungen aus sozialen Netzwerken entfernt werden".
Dazu verweist die Bundesregierung auf mehrere Gerichtsurteile der letzten Monate und meint, sie kommentiere weder "einzelne Löschentscheidungen sozialer Netzwerke" noch Sachverhalte, die "Gegenstand eines Gerichtsverfahrens" sind, prüfe aber gerade, "ob darüber hinaus die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns besteht". Dazu habe sie am 28. September "mit den beteiligten Kreisen" einen "Zukunftsdialog soziale Netzwerke" angestoßen. Welche Kreise es für beteiligt hält, lässt das Justizministerium sowohl in seiner Antwort als auch auf Nachfrage von Telepolis offen.
Kostenrisiken
Bezüglich Cotars damit zusammenhängender Frage, ob "der Bundesregierung bekannt [ist], in welcher Höhe sich die Kostenrisiken eines privaten Nutzers bewegen, wenn er ein Eilverfahren über zwei Instanzen betreiben muss, um eine Löschung und/oder Sperrung untersagen zu lassen" verweist die Bundesregierung auf § 48 Absatz 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes und § 23 Absatz 1 Satz 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, ohne konkrete Zahlen zu nennen. "Die Bestimmung eines Regel- oder Durchschnittwerts" hält das Justizministerium "angesichts der Vielzahl der möglichen Fallgestaltungen und der unterschiedlichen Rechte, die betroffen sein können", nicht für möglich.
Der mit solchen Fällen befasste Hamburger Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel kann Telepolis dagegen Zahlen nennen: Bei einem Streitwert von € 10.000,00, wie er von mehreren Gerichten für eine Löschung und eine 30-tägige Sperre angenommen wurde, belaufen sich die Kosten seinen Angaben nach der ersten Instanz auf 4090,70 und in der Berufungsinstanz auf 4730,12 Euro.
Zur Frage, warum es unterblieb, das Versprechen in der Begründung des NetzDG, dass niemand die Entfernung legitimer Äußerungen aus sozialen Netzwerken hinnehmen müsse, in eine "eindeutige Anspruchsgrundlage" zu gießen, meint die Bundesregierung, das "Regelungsziel des NetzDG" orientiere sich "problembezogen auf Verbesserungen beim Entfernen von strafbaren Inhalten". Außerdem bestünden zwischen Nutzern und Social-Media-Unternehmen Vertragsverhältnisse, in denen man mehr oder weniger verbieten könne. Einem unlängst gefällten ausführlichen Urteil des Landgerichts Bamberg nach sind Quasi-Monopole wie Facebook dabei aber ähnlich umfassend an die Beachtung der in Artikel 5 des Grundgesetzes geschützten Meinungsfreiheit gebunden wie staatliche Stellen (vgl. Facebooks Quasi-Monopol schränkt Definitionsmöglichkeiten von "Hassrede" ein).
Ungewöhnliche Auslegung verhindert hohes Bußgeld für Facebook
Bei der Konfrontation mit dem Problem, dass Facebook den Zweck der mit § 5 Absatz 1 des NetzDG eingeführten Verpflichtung zur Nennung eines Zustellbevollmächtigten ad absurdum führt, indem es dafür eine Kanzlei nennt, die die Annahme von Schriftstücken verweigert, verteidigt die Bundesregierung die Weigerung des Bundesamtes für Justiz (BfJ), dafür nach § 4 Absatz 1 Nummer 7 des NetzDG ein Bußgeld zu verhängen (vgl. Justizamt entwertet Zustellungsvorschrift im NetzDG) und führt dazu aus:
Nach § 4 Absatz 1 Nummer 7 NetzDG stellt es eine Ordnungswidrigkeit dar, wenn vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 5 NetzDG ein inländischer Zustellungsbevollmächtigter nicht benannt wird ("wer ... nicht benennt"). Der Bußgeldtatbestand knüpft damit insofern nicht an eine etwaige Annahmeverweigerung von Zustellungen durch den benannten Bevollmächtigten an.
Außerdem erinnert sie auf die Zustellungsfiktion in § 179 Zivilprozessordnung, die dann gilt, wenn ein Empfänger eine Annahme "unberechtigt" verweigert. "Ein Zustellungsbevollmächtigter, der alle Zustellungen zurückschickt", ist Steinhöfel nach allerdings "kein Zustellungsbevollmächtigter" und "verstößt gegen Sinn und Zweck der Norm". "Indem die Bundesregierung diesen Gesetzesverstoß durchwinkt", führt sie seinen Worten nach "ihr eigenes Gesetzeswerk ad absurdum".
Ein dritter Bereich der Parlamentarischen Anfrage betrifft die Zahl der Beschwerden wegen nicht gelöschter rechtswidriger Beiträge, die ein Dreivierteljahr nach dem vollständigen Inkrafttreten des NetzDG etwa um das 50-fache niedriger liegt als in den vorherigen Schätzungen des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz. Das dafür abgestellte Personal will das nun nicht mehr von Heiko Maas, sondern von seiner Parteifreundin Katharina Barley geführte Ministerium trotzdem nicht verringern und verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass sich die Bearbeitung der Beschwerden als unerwartet schwierig und zeitintensiv herausgestellt habe.