Bundestagsgutachten: Gegenpräsident in Venezuela ohne Legitimation

Guaidó, wie er sich am 23. Januar 2019 selbst den Amtseid abnimmt. Bild: Telesur

EU erkennt den von Berlin bislang unterstützten Oppositionellen Juan Guaidó nicht mehr als Gegenspieler von Präsident Maduro an. Außenamt kaschiert Scheitern

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat die Anerkennung einer Gegenregierung in Venezuela durch die Bundesregierung erneut in Frage gestellt. Zugleich bestätigen die Parlamentsjuristen, dass der selbsternannte Übergangspräsident des südamerikanischen Landes, Juan Guaidó, keinen Anspruch mehr auf die Regierungsführung hat.

Damit attestiert das Rechtsgutachten Guaidó nicht nur das Scheitern seiner Strategie zum Sturz des amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro, sondern auch den Misserfolg seiner internationalen Unterstützer. Das Auswärtige Amt bestätigte auf Telepolis-Anfrage indes, den Botschafter der Maduro-Regierung in den vergangenen zwei Jahren durchgehend als offiziellen Vertreter des Landes anerkannt zu haben.

Die Bundesregierung hatte Guaidó Anfang Februar 2019 als "Übergangspräsidenten"anerkannt, nachdem die US-Führung unter Donald Trump ihre Unterstützung des bis dahin weitgehend unbekannten Oppositionspolitiker signalisiert hatte.Forciert wurde dieser im Auswärtigen Amt nicht unumstrittene Tabubruch – Bundesregierungen erkannten bis dahin lediglich Staaten, jedoch keine Regierungen an – von Außenminister Heiko Maas (SPD).

In Folge erkannten gut 50 Regierungen, in ihrer Mehrheit Nato-Mitgliedsstaaten und rechte lateinamerikanische Führungen, den Gegenspieler Maduros an, obgleich Guaidó niemals Regierungsgewalt erlangen konnte und mit mehreren Putschversuchen scheiterte.

In dem Bundestagsgutachten, das Telepolis vorlag, moniert der Wissenschaftliche Dienst diese Venezuela-Politik der Bundesregierung nun erneut. Schon im Februar 2019 hatten Juristen des Parlaments die Anerkennung eines ausländischen Gegenpräsidenten ohne Regierungsgewalt als "völkerrechtlich fragwürdig" bezeichnet. Problematisch sei in erster Linie "die (vorzeitige) Anerkennung eines Oppositionspolitikers als Interimspräsidenten, der sich im Machtgefüge eines Staates noch nicht effektiv durchgesetzt hat", hieß es damals.

Gutachten: Regierungsmacht weiterhin eindeutig bei Maduro

Nach der jüngsten Einschätzung der Bundestagsexperten hat Guaidó, der bis zuletzt maßgeblich aus dem Ausland unterstützt wurde, spätestens seit den Parlamentswahlen am 6. Dezember vergangenen Jahres keinen machtpolitischen Einfluss mehr. Die Regierungsgewalt liege weiterhin eindeutig bei Maduro. "Das Wahlergebnis hat zur Folge, dass die Opposition mit der Nationalversammlung ihre letzte Machtinstitution verloren hat und es Juan Guaidó bislang nicht gelungen ist, sich gegen den autoritär regierenden Staatschef Nicolás Maduro durchzusetzen", heißt es in dem Papier.

Durch Guaidós Verlust des Amtes des Parlamentspräsidenten entfalle auch die Begründung für seinen Anspruch auf die Regierungsführung, auch wenn er sich auf das "Prinzip der verfassungsmäßigen Kontinuität" berufe. Dies sei auch vor dem Hintergrund zu sehen, "dass die ihn unterstützenden Oppositionskräfte offenbar schwinden", konstatieren die Autoren des Gutachtens. Maduro habe weiterhin Kontrolle über den Staatsapparat, zudem stünden die Sicherheitskräften auf seiner Seite.

Tatsächlich hatte Guaidó in den vergangenen Jahren wiederholt versucht, Teile der Armee zu einem Putsch zu bewegen, Kontakte mit rechtsextremen Paramilitärs im Nachbarland Kolumbien unterhalten und die inzwischen abgewählte Trump-Regierung in den USA zu wirtschaftlich und sozial verheerenden Sektorsanktionen gegen die Erdölwirtschaft des Landes ermuntert.

Jeder dieser Schritte hat ihn in Venezuela weiter isoliert und seine ausländischen Unterstützer – auch in der Bundesregierung – in einem schlechten Licht erscheinen lassen.

So findet die Linken-Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel, für die das Gutachten erstellt wurde, dass sich die Bundesregierung "mit ihrem langen Festhalten an Guaidó selbst innerhalb der EU isoliert" hat. "Bis heute hat sich die Bundesregierung nicht von ihrer bisherigen Venezuela-Politik distanziert, obwohl der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bereits zum zweiten Mal diese als völkerrechtswidrig einstuft", so Hänsel gegenüber Telepolis.

Es sei höchste Zeit, dass sich die Bundesregierung endlich für einen konstruktiven Dialog in Venezuela und für ein Ende der Sanktionspolitik einsetzt, "die auch von der UN in ihrem jüngsten Bericht als verheerend für die Bevölkerung beschrieben wird".

Mehrheit der UNO-Staaten unterstützten Regime-Change-Politik nicht

Der Bundesregierung ist nun vor allem daran gelegen, das Scheitern ihrer völkerrechtswidrigen Regime-Change-Politik in Venezuela zu kaschieren. In der Bundespressekonferenz vermied Außenamtssprecher Christoph Burger beharrlich eine Antwort die Frage, wen die Bundesregierung denn nun als Präsidenten anerkenne. "Uns ging es von Anfang an darum, dass die venezolanische Bevölkerung selbst darüber bestimmen kann, wer in Venezuela regiert", so Burger.

Wie dieses Ziel mit der unilateralen Anerkennung eines selbsternannten und nicht in dieses Amt gewählten Gegenpräsidenten in Einklang steht, lässt das Außenamt offen. Natürlich ist man sich aber auch am Werderschen Markt in Berlin bewusst, dass die versuchte Inthronisierung einer von den USA gestützten Parallelregierung vor allem in den Staaten des Globalen Südens aufmerksam verfolgt worden ist.

In Berlin hat man in den vergangenen zwei Jahren stets betont, dass über 50 Regierungen einen demokratisch nicht legitimierten "Präsidenten" in Venezuela anerkennen. Nun bekommt auch das Außenamt zu spüren, dass sich rund 140 Staaten der Weltgemeinschaft den politischen Interventionismus, der hinter der Guaidó-Anerkennung stand, nicht zueigen gemacht haben.

Ex-Bundespräsident Joachim Gauck bei Akkreditierung des venezolanischen Botschafters Maniglio Ferreira Afang 2015. Bild: bundespraesident.de

Für die verantwortlichen Außenpolitiker der Bundesregierung ist all das zwar peinlich, vielleicht aber lehrreich. Immerhin muss die Lateinamerika-Beauftragte des Auswärtigen Amtes, Marian Schuegraf, Venezuelas Botschafter Ramón Orlando Maniglia Ferreira nun nicht mehr im Restaurant Foreign Affairs auf der gegenüberliegenden Straßenseite treffen, um mit ihm nicht im Ministeriumsgebäude zusammenzukommen – was im Moment pandemiebedingt ja eh nicht möglich wäre. Treffen mit Maniglia Ferreira im Dienstgebäude hatte das Außenamt seit Anfang 2019 abgelehnt, weil man mit dem Maduro-Vertreter nur noch "Gespräche auf Arbeitsebene" führe.

Das sollte irgendwie eine Degradierung zum Ausdruck bringen, die von keinem der Beteiligten ernst genommen werden konnte. Das Außenamt jedenfalls bestätigte am Freitag auf wiederholte Telepolis-Anfrage, Maniglia Ferreira sei "der aktuelle Botschafter Venezuelas in Deutschland, akkreditiert seit dem 17.02.2015".

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