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Bundeswehr bildet im Irak ezidisches Peschmerga-Bataillon aus

Ein Meilenstein in der Befreiung Shengals oder ein Versuch, die Jesiden zu vereinahmen?

Die Bombardements des türkischen Militärs auf Stellungen der PKK im Nordirak und im Südosten der Türkei beherrschten vor kurzem die Berichterstattung. Immer deutlicher kam zutage, dass Staatspräsident Erdogan und die AKP nicht dem IS den Kampf angesagt haben, sondern der PKK und der linken türkisch-kurdischen Oppositionsbewegung - mit der Unterstützung der NATO und der Bundesrepublik. Ungeachtet dieser brisanten Situation gehen die Angriffe des IS auf Shengal weiter.

Am Montag, den 27.7.2015, konnten ezidische (jesidische) Widerstandskämpfer, YPG und Peschmerga gemeinsam einen Angriff auf ein Grenzdorf im Norden Shengals erfolgreich abwehren [1].

Am vergangenen Montag, den 3.8, jährte sich der Genozid an den Eziden zum ersten Mal. Bundesweit fanden viele Gedenkfeiern statt. Die Angehörigen der ezidischen Glaubensgemeinschaft haben in den letzten 12 Monaten das 74. Massaker ihrer Geschichte erlebt: Männer, Frauen und Kinder wurden vom IS ermordet, versklavt oder verkauft, mit dem Ziel der Auslöschung des ezidischen Glaubens und der Konversion oder Ermordung seiner Anhänger. Damit handelt es sich nach internationalem Recht um einen Genozid [2].

Geflüchtete Eziden auf dem Berg Sindjar mit einem USAID-Vertreter, 13. August 2014. Foto: USAID [3]/gemeinfrei

Ein Jahr nach Beginn des Mordens und des tatenlosen Zusehens der Bundesregierung erscheinen nun Meldungen [4] über die Ausbildung ezidischer Einheiten durch die Bundeswehr. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wer diese Unterstützung im Shengal (in der deutschen Presse auch oft als Sinjar bezeichnet) erhält. Es ist momentan sehr schwierig, genaue Informationen aus der Region zu erhalten.

Nach internationalem Recht, wie auch aufgrund der Selbstdarstellung der Auszubildenden, scheint es sich dabei um ezidische Peschmerga-Einheiten unter dem Kommando des Peschmerga-Ministeriums der südkurdischen/nordirakischen Regionalregierung von Präsident Masud Barsanî von der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) zu handeln.

Ausbildung im "Kurdistan Training Coordination Center" und Konflikte zwischen Eziden und Peshmerga

Nun ist die PDK eine Kraft, die in den Augen vieler Eziden jegliche Legitimität verloren hat. Nach Angaben [5] des Volksratssprechers von Shengal, Seid Hesin, wird die große Mehrheit der Verteidigungskräfte von Shengal, welche sich in der YBȘ organisieren, nicht mit einbezogen; möglicherweise deshalb, weil sich diese Kräfte am multiethnischen und multireligiösen, basisdemokratischen Modell der "Demokratischen Autonomie" von Rojava orientieren.

Durch die Unterstützung der ezidischen Peschmerga werden dagegen die feudalen Kräfte der KDP unterstützt und gegen fortschrittliche Kräfte ausgespielt.1 [6] Zusammen mit Soldaten der multinationalen Koalition werden angeblich im "Kurdistan Training Coordination Center" 250 Eziden ausgebildet. Sie sollen der "Sinjar-Brigade der Peschmerga" unterstehen.

Zu diesem Bataillon sollen vier Kampfkompanien und eine Stabs- und Versorgungskompanie gehören. Auf der Internetseite [7] der Bundeswehr wird ein ezidischer Offizier zitiert [8], der erklärt:

Wir fühlen uns als Peschmerga und wir sind Peschmerga im gemeinsamen Kampf gegen das Terrorregime des IS - und wir werden siegen!

Allerdings gibt es keinen Quellenhinweis, geschweige denn eine Erklärung darüber, aus welchen ezidischen Kämpfern dieses Bataillon angesichts der verschiedenen existierenden Einheiten rekrutiert wurde. Diese Information wäre wichtig, da von Menschenrechtsorganisationen sowohl den Peschmerga als auch der Regionalregierung schwere Menschenrechtsverletzungen von Folter über "ethnische Säuberung" bis hin zu politischen Morden vorgeworfen [9] werden.

Es ist auch wichtig, weil der größte Teil der ezidischen Bevölkerung den Peschmerga sehr skeptisch gegenübersteht, nicht zuletzt deshalb, weil sie beim Überfall des IS auf den Shengal im August 2014 die Eziden alleine gelassen haben. Die Verteidigung des Shengal haben anfänglich nicht die Peschmerga übernommen, sondern die Guerilla der PKK (HPG) und die YPG/YPJ [10]. Diese hatten einen Korridor nach Rojava freigekämpft, durch den die Eziden flüchten konnten. Dies ist durch zahlreiche Presseberichte und Filmdokumente ausführlich belegt.

Es gibt deutliche Indizien dafür, dass es sich bei den ezidischen Peschmerga um Überreste der Verteidigungskräfte des Shengal, HPȘ handelt, welche vor seiner zeitweiligen Festnahme (und Erpressung?!) durch die PDK, von den deutschen Staatsbürgern Haydar Sheisho und Qasim Sheisho geführt worden waren. Vor seiner Freilassung durch die KDP Regierung hatte Haydar Sheisho, der Anführer der ezidischen Verteidigungskräfte des Shengal, HPȘ, zwar einerseits das Fortbestehen der Einheiten betont, aber andererseits den Angehörigen seiner Miliz die Möglichkeit eingeräumt, sich dem Peschmerga-Ministerium anzugliedern [11].

Nach Angaben [12] des Volksratssprechers von Shengal, Seid Hesin, löste sich nach der Sheiso-Festnahme die HPȘ praktisch auf. Ihre Mitglieder gingen nach Europa zurück oder unterstellten sich dem Peschmerga-Ministerium. Auch nach Angaben von Ezidipress [13] handelt es sich bei den ausgebildeten Peschmerga u.a. um Personen unter der Führung von Qasim Sheisho.

Pikant ist dies auch deshalb, weil in Europa eine Kriminalisierungswelle gegen "Internationalisten" begonnen hat, die den Kampf gegen den IS in den Reihen der YPG/YPJ führen. Sowohl in Spanien, als auch in England kam es deswegen zu mehreren Festnahmen nach dem Antiterrorgesetz. Man verfährt nämlich nach der Gleichung die YPG/YPJ kooperiere mit der PKK und sei deswegen eine Terrororganisation auf der gleichen Stufe wie der IS (Sind YPG-Kämpfer gegen den IS Terroristen? [14]).

Selektive Anwendung der Antiterrorgesetzgebung

Die Bundespolizei in Deutschland geht sogar noch weiter: Die Aktivistin Sofie K. von "Young Struggle", die an einem Krankenhaus in Kobanî Aufbauarbeit leisten wollte, wurde am Flughafen in Düsseldorf festgehalten, von Staatsbediensteten stundenlang verhört und bedroht. Anschließend wurde ihr der Pass entzogen und sie erhielt ein Ausreiseverbot [15].

In gewohnter bundesdeutscher Tradition werden somit die angeblich gegen Dschihadisten verabschiedeten Gesetze direkt gegen linke, zivile Oppositionelle angewandt. Würde man diese Kriterien, welche auf linke Aktivisten angewandt werden, auch auf die Peschmerga im Shengal anwenden, die auf eine enge Zusammenarbeit mit HPG und YBȘ angewiesen sind, dann müssten diese ebenfalls als Terroristen klassifiziert werden - und ihre Ausbildung würde formal eine Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129b darstellen.

Das Gleiche gilt für die Peschmerga an vielen anderen Orten in Südkurdistan [16]. Präsident Barsanî war am 14.08.2014 sogar gezwungen, Kommandanten der PKK Guerilla HPG in Maxmur zu treffen und ihnen dafür zu danken, dass sie den Vormarsch des IS auf Erbil gestoppt [17] hatten.

Die Terrorargumentation wird, wie in der Geschichte der Antiterrorgesetzgebung angelegt, aus politischen Interessen sehr selektiv angewendet. Die "Guten", die vom Westen und der Regionalmacht Türkei abhängigen Kurden unter der PDK Führung, bekommen Waffen, die "Bösen", die linken Kurden, die für eine basisdemokratische Selbstverwaltung und eine antikapitalistische Alternative einstehen, bekommen gar nichts. Die Vorbedingung für die Ausbildung der ezidischen Einheiten unter Qasim Sheisho und anderer Milizen war wahrscheinlich ihre Unterordnung unter das Peschmerga-Ministerium.

Ziel der selektiven Unterstützung ist es einerseits durch waffentechnischen Fortschritt den Ruf der Peschmerga in Shengal wiederherzustellen. Andererseits sollen alternative Selbstverwaltungsmodelle im Shengal verhindert werden. Schließlich liegt das Übergreifen des Modells der Demokratischen Autonomie in Rojava (Das Modell Rojava [18]) weder im Interesse des Westens, noch der Regionalmächte, noch der PDK. Anscheinend nimmt man dafür auch gerne in Kauf, dass noch mehr Eziden nach Europa fliehen, weil sie angesichts ihrer negativen Erfahrungen mit den KDP-Strukturen kein Vertrauen mehr haben, sich selbst im Shengal verteidigen zu können.

Schon jetzt liegt die Hauptlast der Kämpfe mit dem IS bei den Einheiten der YBȘ und der Guerilla der PKK (HPG). Die von der Bundeswehr ausgebildeten Peschmerga-Einheiten scheinen bis jetzt eher virtuell zu existieren und haben die Sollstärke von 6.000 Kämpfern bei Weitem nicht erreicht. Jedenfalls bleiben die eigentlichen Befreier des Shengal-Gebirges, die nordsyrische YPG/YPJ, die HPG (PKK-Einheiten) und die unabhängige ezidische Volksverteidigungsarmee YPŞ bei der Ausbildung außen vor.

Ein politisches Spiel der Bundesregierung und der Peschmerga-Kommandos

Am 03.07.15 nahmen die Verteidigungskräfte YBȘ und YPJ-Ș (Frauenverteidigungskräfte des Shengal) Stellung zu diesem Projekt der Bundesregierung und des Peschmerga-Kommandos, ein neues ezidisches Heer aufzubauen und erklärten:

Auf dem Șhengal gibt es schon eine Verteidigungskraft, welche aus Eziden besteht. Die gemeinsamen Pläne von Deutschland und dem Peschmerga-Kommando stellen ein politisches Spiel dar.

Der YBȘ-Kämpfer Sîpan Êzîdxan erklärte [19]:

Ich bin schon lange bei der YBȘ. Wir sind jetzt sehr weit an den Feind vorgerückt und wir haben viele Gefallene in diesem Kampf. Jetzt erst kommen sie und wollen eine andere aus Eziden bestehende Kraft aufbauen. Wir sind schon eine Kraft hier und diese reicht aus. Viele sagen die einzige Verteidigungskraft von Eziden sind YBȘ und YPJ-Ș. Sie berichten, dass die Eziden von 2003 bis heute betrogen worden sind. Wenn Eziden aus anderen Städten und Ländern den Șengal verteidigen wollen, sollen sie kommen und sich der YBȘ und YPJ-Ș anschließen. Wir kämpfen jetzt an vorderster Front. Wir werden keine andere Kraft akzeptieren.

Diese Ablehnung anderer Kräfte auf dem Shengal hat den Hintergrund, dass YBȘ und YPJ-Ș keine Parteiorganisationen sind, sondern dem Volksrat von Shengal und damit demokratischer Kontrolle unterstellt sind. In der kurdischen Autonomieregion der KDP gibt es dagegen nur Parteimilizen, einen zwischen der PDK und der PUK aufgeteilten Sicherheitsapparat und zwei verschiedene Peschmerga-Armeen mit einer latenten Bürgerkriegsgefahr. Der kurdische Journalist Șerwan Șerwanî beschreibt [20] diese Situation gegenüber dem Deutschlandradio folgendermaßen:

Die Bezeichnung "Peschmerga" wird in Kurdistan wie ein Inbegriff des Patriotismus verwendet. Ich habe lange über diese Truppen recherchiert. Nach meinen Informationen kann man nur einen kleinen Teil der Peschmerga tatsächlich als patriotisch motiviert ansehen. Die größten Gruppen unterstehen den politischen Parteien. Der Kurdisch Demokratischen Partei KDP von Präsident Barzani und der Patriotischen Union Kurdistans PUK von Jalal Talabani. Und selbst innerhalb der KDP-Partei-Milizen gibt es wieder Unterverbände, die einzelnen Personen unterstehen. Etwa Barzanis Neffen Necirvan Barzani. Eine andere Truppe gehört Barzanis Sohn, wieder eine andere Barzani höchstpersönlich. Die Einheit Nummer 70 ist Teil der PUK, der Patriotischen Union Kurdistans, und die Einheit 80 Teil der KDP, der Kurdisch Demokratischen Partei.

Ähnliche Entwicklungen will man in Rojava und im Shengal-Gebiet verhindern.

Shengal als Spielball der Interessen der Regionalmächte

Shengal ist eine seit langem zwischen kurdischer Regionalregierung und irakischer Zentralregierung umstrittene Region. Insbesondere dieser Interessengegensatz, unter dem die Bevölkerung schon lange litt, und die strategische Position von Shengal führten immer wieder zu schweren Angriffen auf die Menschen der Region.

Die ezidische Religion gehört nach islamischer Perspektive nicht zu den anerkannten abrahamitischen Buchreligionen. Daher haben Eziden aus der Perspektive der Dschihadisten, wenn überhaupt, nur die Möglichkeit der Konversion oder sie werden ermordet und Kinder und Frauen werden versklavt. Unter dem Deckmantel der Religion wurde immer wieder um die Hegemonie auf dem Shengal und die Vertreibung der ezidischen Bevölkerung gekämpft.

Vor Juni 2014 waren dort etwa 85% der Bevölkerung - etwa 400.000 Menschen - ezidischen Glaubens. Doch schon zuvor war es auch in jüngerer Geschichte zu Massakern an der ezidischen Bevölkerung gekommen. So explodierten am 14.08.2007 mit Sprengstoff beladene Tanklastwagen in ezidischen Dörfern des Shengal und töteten mindestens 500 Menschen. Viele Hinweise deuteten auf einen Zusammenhang mit dem damals angekündigten Referendum um die Zugehörigkeit der Ölmetropole Kirkuk zu Südkurdistan an.

Damals sollten die türkischen Interessen, (gegen einen Anschluss des Gebietes an Südkurdistan) mit Hilfe der turkmenischen Minderheit in der Region betrieben werden. MIT-Agenten förderten den Aufbau der extrem völkischen, nationalistischen ITC (Turkmenische Front). Es kam zu mehreren Anschlägen u.a. turkmenischer Gruppen, bei denen deutliche Hinweise auf Unterstützung durch den türkischen Geheimdienst MIT bestanden.

Zuvor hatte der "Islamische Staat im Irak", damals noch unter dem Dach von al-Qaida am 9. und 13. Mai Anschläge in Hewler (Erbil) und im Flüchtlingslager Maxmur durchgeführt, das von aus Nordkurdistan geflohenen Kurden in Selbstverwaltung organisiert wird. Die Mehrheit der Bevölkerung von Maxmur unterstützt die PKK und wurde auch deshalb als Angriffsziel ausgewählt.

Nach Angaben von örtlichen Quellen der kurdischen Zeitung Özgür Gündem waren diese Angriffe in Zusammenarbeit zwischen dem Islamischen Staat im Irak/Al-Qaida und dem Geheimdienst MIT verübt worden. Weiterhin sollte eine Zuspitzung der religiösen Widersprüche zwischen Sunniten und Eziden geschaffen werden. Bei diesen Anschlägen spielten turkmenische Einheiten mindestens unterstützende Rollen. Auch beim Anschlag 2007 in Shengal gab es diesen Verdacht, denn schon damals gab es Verbindungen zwischen der AKP-Regierung und Al Qaida.2 [21]

Regionalpolitisch können wir in dieser Phase von einem engen Verhältnis der Regime Erdogan und Bashar al-Assad sprechen. In einem Treffen zwischen Assad und Erdogan wurde 2006 vereinbart, dass die Anbindung von Kirkuk an die KRG um jeden Preis zu verhindern sei. Das Regime Assad hatte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls enge Beziehungen zur al-Qaida im Irak. Auffällig ist, dass für den Anschlag mehrere Bekenntnisse vorliegen, eines einer "Türkischen Rachebrigade", welches sich auf die Lage der Turkmenen in Kirkuk bezieht und ein weiteres dschihadistisches Bekennerschreiben.

Wie man das Massaker auch einordnet, man kann feststellen, dass das eine Folge konkurrierender Regionalpolitiken war und Teil einer Entvölkerungspolitik ist. Man hat turkmenische Minderheiten für die Umsetzung außenpolitischer Belange der Türkei benutzt, um diese später durch die Unterstützung von ISIS und al-Qaida spätestens ab 2011 und auch nach deren Einmarsch in den Irak fallen zu lassen.

Die PDK hatte nach dem Massaker von 2007 Kontingente in der Region stationiert. Politisch verhinderte sie allerdings wegen ihrer eigenen Machtansprüche die Organisierung jenseits der PDK. Allerdings berichtet die ezidische Bevölkerung ebenfalls von systematischer Diskriminierung als Nichtmuslime durch die sunnitisch dominierte kurdische Regionalregierung.

"Verhindert, dass sich die Eziden als Verteidigungskräfte organisieren und ihnen die Waffen weggenommen"

Die ezidische Bevölkerung war schon damals sehr misstrauisch gegenüber der kurdischen Regionalregierung. Deshalb begannen Eziden sich schon im Zuge des deutlich absehbaren Vorrückens des IS auf Mossul und Tell Afar - im Osten des Shengal-Gebirges zu bewaffnen und zu organisieren. Ezidische Soldaten waren aus der irakischen Armee mit schwerem Gerät nach Shengal zur Verteidigung desertiert.

Allerdings verhinderte die PDK, die seit dem Massaker von 2007 Kontingente im Shengal stationiert hatte, diese Bewaffnung, indem sie die Waffen beschlagnahmte. Der Volksratssprecher von Shengal Seid Hisen erklärt dazu:

Vor dem Angriff wurde die Gefahr, die vom vorrückenden IS ausging erkannt, vor allem auch im Westen bei Mossul und Tell Afar, wo ebenfalls Eziden lebten. Deshalb wurden die PDK-Peschmerga, die dort stationiert waren und die südkurdische Regionalregierung darüber informiert. Die Warnungen wurden aber ignoriert und sie haben sogar verhindert, dass sich die Eziden als Verteidigungskräfte organisieren und ihnen die Waffen weggenommen. Sie wussten ganz genau, dass, wenn der IS im Shengal einmarschiert, sie den Eziden Schreckliches antun würden.

So berichtete [22] sogar das - einer Nähe zur kurdischen Bewegung gewiss nicht verdächtige - Deutsch-Türkische Journal, dass es etliche Anzeichen gäbe, dass die Peschmerga nicht nur über Nacht aus dem Shengal geflohen seien, sondern vorsätzlich abgezogen sind, sie dokumentierten Aussagen von Augenzeugen wie:

Wir haben die fliehenden Peschmerga um ihre Waffen gebeten, sie angefleht, uns wenigstens Munition da zu lassen. Wir baten darum, dass sie uns zumindest die kürzlich vom den irakischen Kräften zurückgelassenen Waffen geben. Alles wurde nicht nur abgelehnt, uns wurden sogar auch noch unsere eigenen Waffen abgenommen.

Seid Hesin bewertet [23] dieses Verhalten folgendermaßen:

Es gab auf jeden Fall eine Absprache zwischen IS und Peschmerga. Mit Abzug der Peschmerga ist der IS einmarschiert. Der Hintergrund ist ein religiös politischer. Eziden gelten als Ungläubige, deren Tod Vorteile bringt. …der PDK war klar, dass wir als Eziden Freiwild für den IS sein würden. Das Ziel war es, die Eziden komplett auszurotten, aus Shengal zu verjagen. Es gibt auch den Konflikt zwischen Regional- und Zentralregierung im Irak: durch die Belagerung des IS, erhoffte sich die PDK, sich gegen den IS zu wenden und damit den Sengal zu annektieren, um zu erklären: wir haben Shengal befreit.

Nachdem die Peschmerga über Nacht die Stadt Sinjar verlassen hatten und mit all ihrem Gerät den Rückzug angetreten hatten, brach Panik unter der ezidischen Bevölkerung aus: Hunderttausende flohen in die Berge, die Bilder zurückgelassener Autos gingen um die Welt. Eine kleine Einheit der HPG begann die Verteidigung der umzingelten Berge. Die Situation war dramatisch, da sich etwa 250.000 Menschen zu diesem Zeitpunkt vom IS eingekreist im Shengal-Gebirge aufhielten. Tausende waren bereits in Gefangenschaft des IS geraten.

Von Rojava aus überschritten nun Einheiten der YPG/YPJ die irakische Grenze und kämpften einen Fluchtkorridor frei, der Hunderttausenden das Verlassen des Shengal ermöglichte. Interviews mit vielen Flüchtlingen bestätigen [24] dies. Der Volksratssprecher Seid Hisen berichtete, - wie auch etliche Überlebende des Überfall des IS auf Shengal, mit denen wir ebenfalls Gelegenheit hatten zu sprechen -, dass die Peschmergas nicht nur davongelaufen sind, sondern sich auch geweigert hätten, den Eziden Waffen zur Selbstverteidigung zu überlassen. Nur so konnte es zu diesem grausamen Massaker im August 2014 kommen.

Ein Flüchtling, der das Massaker überlebt hat, berichtet auf der Veranstaltung mit dem Volksratssprecher Seid Hisen am 2.7.2015 in Berlin: "Sie haben uns nicht nur verlassen, sie haben uns auch entwaffnet." Diese Erfahrung sitzt tief, das Misstrauen gegenüber der KDP von Kurdenpräsident Barzani im Nordirak ist groß: "Leute, die noch für die KDP sind, sind das, weil sie etwas humanitäre Hilfe bekommen" meint ein Augenzeuge. Denn gegen Rojava, wie auch gegen das Shengalgebiet gibt es ein Embargo der KDP, d.h.: Die Gebiete des ezidischen Volksrats werden nicht mit humanitären Hilfsgütern versorgt, sondern nur die Gebiete, die sich eindeutig zur KDP bekennen.

Die Bundesregierung setzt nun gerade auf die Kräfte, die schlimmstenfalls aus politischem Kalkül, bestenfalls aus militärischem Unvermögen die Bevölkerung des Shengal schutzlos dem IS ausgeliefert haben. Damit unterstützt sie indirekt die Ambitionen der regierenden KDP im Nordirak, die alleinige Kontrolle über das Shengalgebiet zu erlangen - gegen den Willen der dortigen ezidischen Bevölkerung.

Eziden: Vorbild Rojava und die Rolle der Frauen

Die hatte nämlich am 14.1.2015 am Fuße des Shengal-Gebirges den Rat der Eziden von Shengal, "Meclîsa Êzidiyên Şengalê", nach dem Vorbild der 3 Kantone von Rojava gegründet. Die KDP Barzanis boykottierte diese Versammlung.

Dabei hatten die Kommandeure und Stammesführer im Shengal beschlossen, die HPŞ werde zusammen mit der YBŞ die zukünftige Miliz der Eziden in Shengal stellen. Der Beschluss sieht außerdem vor, dass die Eziden in Shengal sich keiner politischen Partei oder Armee unterwerfen werden. Hintergrund des Beschlusses war ein Streit zwischen der YPG, einzelnen verbliebenen Peschmergas und der HPŞ im Herbst 2014, welche Fahne in Sherfêdin nach der Befreiung gehisst werden dürfe. Angesichts der stetigen Kämpfe aller Einheiten, von YPG/YPJ und HPG bis YBŞ und HPŞ, gegen die IS-Angriffe konnte dieser Streit schnell beigelegt [25] werden.

Der Kommandant der Volksverteidigungskräfte im Shengal, Egit Civyan, erklärte [26] in einem Interview für das Nachrichtenportal ANF am 24.6.15, dass die erfolgreiche Entwicklung in Rojava bei den Eziden zu Enthusiasmus und neuer Hoffnung geführt habe. Er appellierte an die nordirakischen Parteien KDP (Barzani) und PUK (Talabani), eine nationale kurdische Einheit zu bilden gegen den IS:

Without a doubt, the most challenging resistance is made in Rojava, which inflicts heavy blows on ISIS gangs and liberates many settlements. This boosts the morale of the peoples in the region, including Kurds, Arabs, Turkmens, Assyrians, etc. This is why the victorious developments in Rojava create hope and enthusiasm among Ezidi people, who have been subjected to the brutal attacks and massacres of ISIS gangs since August 3, 2014. The Ezidi people are more hopeful with regards to returning to their own lands.

Er kritisiert [27] die Haltung der KDP, den Einsatz der Guerillaeinheiten der HPG nicht zu akzeptieren und zu würdigen und tritt für eine gemeinsame Haltung aller Verteidigungseinheiten für die kurdische Frage ein. 3 [28] Und er fordert Präsident Barzani auf, die Autonomiebestrebungen der Eziden ernst zu nehmen und nicht für eigene politische Interessen zu instrumentalisieren.4 [29]

Ähnlich argumentiert der Vorsitzende des ezidischen Zentralrats [30] aus Shengal, Seid Hisen:

Mit der Bildung des Volksrats Shengal ist eine Grundlage geschaffen worden. Wir nehmen diplomatische Kontakte in Europa auf und sammeln verschiedene Sichtweisen. Wenn wir die nötige Unterstützung bekommen, dann werden wir das tun. Dies würde auch der irakischen Verfassung entsprechen und wir sind guter Dinge, dass wir die Selbstverwaltung bald ausrufen können. Wir wollen das gleiche Modell wie in Rojava aufbauen. In der Stadt Sinjar ist Krieg, daher konnten dort noch keine autonomen Strukturen aufgebaut werden, da dort niemand wohnt und nur Kämpfer von HPG und YPS sind, Peschmerga sind weit weg.

Mit dem Schlagwort "Rojava" ist das Modell der "Demokratischen Autonomie" [31] gemeint, welches sich rätedemokratisch in Kantonen organisiert. Diese Kantone sind in sich selbstverwaltet und mit den anderen Regionen föderiert. Zentrum der Selbstverwaltung sind die Räte, wobei die Herausbildung neuer Nationalstaaten keine Rolle spielt und sowohl der irakische, der türkische oder der kurdische Quasi-Nationalstaat im Nordirak/Südkurdistan nicht angetastet werden.

Die im Volksrat von Shengal vertretene Bevölkerung definiert sich als ezidische Kurden, da der ezidische Glaube vor der islamischen Expansion eine der am meisten unter Kurden verbreiteten Religionen gewesen sei.

…eigentlich sind alle Kurden ursprünglich Eziden. Wer sagt, dass Eziden keine Kurden sind, liegt völlig falsch. Das hat etwas damit zu tun, dass wir viele Verfolgungen ausgesetzt waren durch den Islam, auch von islamischen Kurden, das ist eine Reaktion darauf, aber eigentlich ohne Zwangsislamisierung sind alle Kurden Eziden.

Dennoch geht so viel Autonomie den Verfechtern eines autoritären kurdischen National- und Zentralstaats in Hewler zu weit. Präsident Masoud Barzanî, der für eine immer weitergehende Autonomie gegenüber dem Irak bzgl. Südkurdistan einsteht, griff [32] das Projekt eines Kantons Shengal am 17.01.2015 scharf an und rekurriert auf Argumentationsmuster, welche von den zentralistischen Regionalmächten sonst gegen die kurdische Bevölkerung bekannt sind:

Dies ist ein Angriff auf die die Vorherrschaft der Region Kurdistan. Dies ist ein Versuch sich durch Gewalt Akzeptanz zu verschaffen und eine Anstrengung, welche die Teilung des Landes herbeiführt. … Gegenüber dieser falschen und illegalen Politik werden wir nicht schweigen.

Die PDK versucht alles, um ihre Machtposition im Shengal-Gebiet zu festigen und hat diese Region gegen die Ausrufung eines Kantons Shengal nach Angaben des Volkssprechers unter ein Embargo gestellt. So kommen Lebensmittel, Medikamente etc. anscheinend fast ausschließlich über den Kanton Cizire in Rojava in die Shengal-Region, während die Peschmerga der PDK sogar Zelte humanitärer Organisationen beschlagnahmen.

Auf diese Weise wird weiterhin ein Klima der Unsicherheit im Shengal erzeugt, - einer der Gründe warum immer mehr Menschen das Gebiet verlassen. Während der Ezidische Volksrat erklärt, dass Shengal künftig eine Region werden soll, in der Eziden, Christen, schiitische und sunnitische Araber in Frieden zusammen leben können5 [33] schafft die PDK anscheinend Fakten, indem nicht erwünschte Bevölkerungsgruppen vertrieben werden.

Peshmerga und die arabische Bevölkerung

Die Diskriminierung der arabischen Bevölkerung in Südkurdistan ist augenfällig, allerdings wurde anscheinend gerade in der Region um den Shengal ebenfalls auf gezielte Vertreibungen und Dorfzerstörungen gesetzt. So berichtet [34] die Krisenbeauftragte von Amnesty International, Donatella Rovera von Aussagen von Peschmergas bzgl. des zerstörten arabischer Dorfs Barsanke:

Die Zerstörungen dort waren so gewaltig, dass mir klar war: Niemand kann einfach zurückkommen, weil es nichts gibt, wohin man zurückkommen kann. Buchstäblich jedes einzelne Haus war zerstört. Und zwar nicht aufgrund der Kämpfe, sondern die Peschmerga hatten das Dorf anschließend plattgemacht. Vorsätzlich und erst nachdem der IS sich längst zurückgezogen hatte. Die Peschmerga dort erzählten mir ganz offen: Sie hätten Haus für Haus eingerissen, um sicher zu sein, dass die arabischen Bewohner nicht mehr zurückkommen würden.

Weiter berichtete sie aus einer von Kurden und Araber bis 2014 gemeinsam besiedelten Ortschaft, dass Peschmerga sagten:

Wir werden alle arabischen Häuser in die Luft sprengen, damit die Araber nicht zurückkommen. Sie waren dabei, alle leer stehenden kurdischen Läden zu beschriften, damit niemand sie plünderte. Was mit den arabischen geschehen würde, ergab sich aus dem Umkehrschluss. Die Araber sind bisher zu keinem Dorf zurückgekehrt, das die Peschmerga wiedererobert haben. Grundsätzlich hat kein Araber im Augenblick die Möglichkeit, wieder in sein Heimatgebiet zurückzukehren.

Vor diesen Hintergründen ist es sehr problematisch, wenn die Bundesregierung weiterhin auf die Peschmergas setzt und YPG/YPJ, YBS und HPG durch Kriminalisierung und Embargo zu schwächen versucht. Schaut man sich das Ergebnis der von Barzani medienwirksam nach Kobanê/Rojava gesendeten 150 Peschmergas genauer an, so kämpften diese mit ihren besseren Waffen in der 2. Reihe. Im Shengal tauchten sie mit Forderungen auf die Kommandohoheit erst auf, als die größte Katastrophe vorüber war. Als der IS wenige Kilometer vor der kurdischen Hauptstadt Erbil stand, waren es PKK- Einheiten, die sie zurückgedrängt haben.

Frauen in der Truppe

Auch aus einem ganz anderen Blickwinkel wird die Ausbildung der ezidischen Peschmerga misstrauisch beäugt, nämlich aus Sicht der Frauen: Sie fürchten einen Rückschritt in dem erkämpften Emanzipationsprozess.

Ob es bei der Truppe ezidischer Peschmerga auch Frauen gibt, die von der Bundeswehr ausgebildet werden, ist nicht bekannt. Währenddessen kämpfen auf dem Shengal autonome Fraueneinheiten der YBȘ, wie auch der HPG und YPJ. Unter der Führung von HPG, YPG/YPJ lassen sich sie sich an der Waffe ausbilden, um gegen den IS zu kämpfen - aber auch, um eigene Strukturen aufzubauen und um sich als Frauen neu zu positionieren.

Wie soll das funktionieren, wenn Frauen im Kampf gegen den IS auf Augenhöhe mit ihren männlichen Kollegen kämpfen und in den Bergen ihr Leben unter schwierigsten Bedingungen gemeinsam organisieren, wenn sie sich danach wieder in die patriarchalischen Familienverbände integrieren sollen? Auch hier ist ein Effekt, ähnlich wie in Rojava zu spüren: Der Aufbau der Demokratischen Autonomie mit autonomen Frauenräten, kämpfenden Fraueneinheiten und der Frauenfreiheitsideologie der kurdischen Bewegung hat einen transformierenden Effekt auf patriarchal formierte Gesellschaften.

Dies zeigt sich auch in den neuesten Entwicklungen auf der religiösen und sozialen Ebene in der ezidischen Gesellschaft, wo sich deren religiösen Oberhäupter für eine Rehabilitation der entführten und misshandelten Frauen und Mädchen stark machen.

Die Rolle der Frau bei den Peschmerga

Vielleicht ist es im Westen eine marginale, aber im Nahen und Mittleren Osten ist es mittlerweile eine grundlegende Frage: die Rolle der Frau in den militärischen Einheiten und im Alltagsleben. Die Frauen in irakisch Kurdistan, wie auch die seit kurzem existierenden Fraueneinheiten bei den Peschmerga haben keinen expliziten emanzipatorischen Ansatz wie bei der YPJ und HPG(YJA-STAR). Sie führen ein traditionelles Leben in der Familie an Heim und Herd und leisten wie unsere Soldatinnen der Bundeswehr ihren Dienst in gemischten Einheiten.

Frauen bei den Peschmerga waren bislang nur für die Logistik und andere Aktivitäten hinter den Frontlinien zuständig. Seit November 2014 gibt es allerdings das 2. Frauenregiment, das, so Colonel Nahida Ahmed, auch bereit sei, in den Kampf gegen den IS zu ziehen, wenn Präsident Massoud Barzani dies anordne [35]

Im irakischen Kurdistan sind - wie auch bei uns - Frauen in Führungspositionen die Ausnahme und werden als exotisch wahrgenommen. Bei den Fraueneinheiten der YPJ und HPG sieht das ganz anders aus: In regelmäßigen Schulungen werden diese Frauen nicht nur an Waffen, sondern auch in politisch emanzipatorischen Themen ausgebildet. Sie sind auf Augenhöhe mit den männlichen Einheiten der YPG und HPG.

Männer müssen dort genauso kochen, waschen und Verletzte versorgen wie die Frauen. In den politischen Institutionen gibt es in Rojava, aber auch mittlerweile in den kurdischen Gebieten der Türkei eine Doppelspitze bei allen wichtigen Ämtern wie z.B. bei den Bürgermeistern (Kurden erklären Gleichberechtigung der Frauen [36]).

Die Ausbildung durch die Bundeswehr wird sicherlich auch keinen emanzipatorischen Ansatz einbringen, denn dieser fehlt ja auch hierzulande. Deswegen überrascht es auch nicht, wenn auch das "Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr" nach wie vor altbekannte Probleme im Zusammenleben der Geschlechter innerhalb der Bundeswehr beschreibt [37] von sexuellen Übergriffen bis dahin, dass den Frauen nicht zugetraut wird, Führungspositionen einzunehmen und die Frauen dort eher männliche Attribute übernehmen um sich zu behaupten.

Misshandelte Mädchen und Frauen werden in die religiöse Gemeinschaft wieder aufgenommen

Was geschieht mit den vielen misshandelten und vergewaltigten Frauen und Mädchen, die von ihren Peinigern fliehen konnten? Diese Frage stellte sich mir schon im August letzten Jahres, (Rojava macht Schule [38]), denn nach ezidischem Glauben darf eine ezidische Frau keinen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe haben und schon gar nicht mit Männern einer anderen Glaubensrichtung.

Dies, und die Konvertierung zu einem anderen Glauben, auch unter Zwang, galt lange als unverzeihliche Sünde und führte unwiderruflich zum Ausschluss aus der Glaubensgemeinschaft und zum Verstoß aus der Familie. Die Ächtung der betroffenen Frauen durch die Familie führte auch bei den Eziden zu Blutrache und Frauenmorden.

Massenentführungen, Zwangskonvertierungen und Vergewaltigungen ezidischer Frauen und Mädchen durch den IS zwangen auch die soziale und religiöse Führung der Eziden seit August 2014 zu neuen Konzepten für ihr soziales und religiöses Leben. Besonders dringend war die Beantwortung der Frage, wie man die traumatisierten Frauen und Mädchen wieder in die Gemeinschaft aufnehmen könnte. Dies ist die Vorbedingung, damit die Großfamilien ihre Angehörigen ebenfalls wieder aufnehmen können.

Hunderte von Frauen und Mädchen konnten mittlerweile von ihren Peinigern fliehen, wurden aus der Gefangenschaft entlassen oder wurden freigekauft. Sie landeten in Flüchtlingslagern und fühlten sich unrein und stigmatisiert. Khider Domle, ein langjähriger Ezidi-Aktivist und Mediendirektor an der Universität von Dohuk/Nordirak setzte sich beim spirituellen Oberhaupt der Eziden, Khurto Hajji Ismail, bekannt als Baba Sheik, für eine Änderung der Doktrin [39] ein.

Das Ausmaß der Krise und des Leides der misshandelten Frauen und Mädchen führte bei Baba Sheik zur Einsicht, dass Handlungsbedarf bestehe, diese Frauen wieder in die Glaubensgemeinschaft aufzunehmen.

Am 7. September 2014 legte Domle bei einem Treffen mit Baba Sheik einen Entwurf vor, der eine offizielle öffentliche Änderung der alten Doktrin vorsah. Baba Sheik und seine Berater ordneten darauf an, dass die Frauen und Mädchen in ihren Glauben zurück getauft werden können - ein Ritus, der vor ein paar Monaten undenkbar gewesen wäre.

Die leitende UNHCR Schutzbeauftragte Jacqueline Parlevliet in Erbil, die die Gemeinde- und Frauenzentren unterstützen, indem sie den Frauen Rechtsberatung und individuellen Schutz bieten, meinte dazu: "We’ve seen a strong call of support from Yazidi leadership…and this is very valuable."

Auch die leitende Beraterin für Krisenintervention von Amnesty International, Donatella Rovera bezeichnete die Entscheidung der ezidischen religiösen Autoritäten als beispiellos. Nur so könne vermieden werden, dass die Frauen und Mädchen als beschämender Einzelfall angesehen werden.

Das Aufbrechen traditioneller patriarchaler Strukturen und die Ausbildung demokratischer Strukturen im Nahen Osten müsste eigentlich von der Bundesregierung als unterstützenswert eingestuft werden, zumal hier Demokratie nicht von oben verordnet wird, sondern von der Bevölkerung entwickelt und gelebt wird.

Dass dies auch im militärischen Bereich erfolgreich geschieht, müsste Verteidigungsministerin van der Leyen nachdenklich stimmen. Nachdenklich, weil die Selbstverteidigungseinheiten die bundesdeutsche Armee in Sachen Emanzipation überholt haben, und nachdenklich, dass sie durch die Unterstützung der Peschmerga eine feudale, auf traditionellen Familienverhältnissen basierende Machtstruktur unterstützt.


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[5] http://civaka-azad.org/sie-haben-die-eziden-schutzlos-zurueckgelassen/
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[15] http://www.yeniozgurpolitika.org/index.php?rupel=nuce&id=43429
[16] http://www.welt.de/politik/ausland/article133443549/PKK-ist-zur-Schutzmacht-der-Wehrlosen-aufgestiegen.html
[17] http://www.cumhuriyet.com.tr/haber/dunya/105985/ISiD_e_karsi__birlesik_Kurt_cephesi__.html
[18] https://www.heise.de/tp/features/Das-Modell-Rojava-3367894.html
[19] http://ozgur-gundem.com/haber/138086/ybs-ve-ypjden-alman-savunma-bakanina-yanit-zaten-savasan-zid-bir-guc-var
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[26] http://en.firatajans.com/kurdistan/civyan-all-kurdish-forces-must-undertake-their-historical-responsibility
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[31] https://www.heise.de/tp/features/Das-Modell-Rojava-3367894.html
[32] http://www.sabah.com.tr/dunya/2015/01/17/barzaniden-pkkya-kanton-uyarisi
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[34] http://www.deutschlandfunk.de/kurden-im-nordirak-die-fragwuerdigen-methoden-der-peschmerga.724.de.html?dram:article_id=325533
[35] http://rudaw.net/english/kurdistan/13112014
[36] https://www.heise.de/tp/features/Kurden-erklaeren-Gleichberechtigung-der-Frauen-3368474.html
[37] http://www.tagesschau.de/inland/studie-bundeswehr100.pdf
[38] https://www.heise.de/tp/features/Rojava-macht-Schule-3370677.html
[39] http://www.unhcr.ca/news/yazidi-women-welcomed-back-to-their-faith/