zurück zum Artikel

Bundeswehr meldet größeres Interesse und mehr Einstellungen 2016

400 Rekrutinnen und Rekruten legen ihr Gelöbnis am 20. 6. 2016 ab.Bild: Bundeswehr/Sebastian Wilke

Ein Blick auf die Zahlen, die Personalstrategie und den Bericht des Bundeswehrbeauftragten lassen daran zweifeln, auch in Großbritannien sinken die Rekrutierungszahlen

Der Bundeswehr will es bei allen Bemühungen, den militärischen Dienst attraktiver zu machen oder für ihn wie mit der angeblich gut ankommenden Video-Serie "Die Rekruten" [1] zu werben, nicht gelingen, ihr Personalziel zu erreichen. Am 20. Januar meldete [2] die Bundeswehr, dass "177.608 aktive Soldaten und Soldatinnen" bei ihr tätig seien, darunter 9.266 Freiwillig Wehrdienstleistende (FWDL). Die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten lag mit 168.342 über der von 167.940 im November, aber die von der Bundesverteidigungsministerin von der Leyen bis Ende 2016 anvisierten 170.000 Soldaten wurden nicht erreicht.

Vergleicht man den Stand mit dem im Dezember 2015 [3], wo die Bundeswehr 177.069 aktive Soldaten und Soldatinnen meldete, so lässt sich trotz einem kleinen Plus von 500 eine Stagnation feststellen. Das trifft auch auf die FWDL zu. Thomas Wiegold hält auf seinem Blog die Zahlen parat, auf der Bundeswehrseite werden die jeweils vorhergehenden Daten überschrieben, so dass sich keine Vergleiche erstellen lassen. Schaut man auf den Januar 2015, wo es mit 181.755 um die 4.000 mehr aktive Soldaten und Soldatinnen gab, dann geht der langfristige Trend wohl eher nach unten.

Nun könnte man sagen, das Ziel wurde nur knapp verfehlt. Allerdings soll die Bundeswehr nach der Ministerin personell eigentlich noch stärker werden. Im Mai hatte von der Leyen die "Trendwende Personal" vorgelegt und angekündigt, dass die Bundeswehr bis 2023 zusätzliche 7000 Soldaten mehr umfassen - auf der Grundlage der jetzt verfehlten 170.000. Benötigt würden eigentlich 14.300 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten - und 4.400 Mitarbeiter im zivilen Bereich, wo es aber keine größeren Schwierigkeiten geben dürfte.

Erforderlich ist die Personalerhöhung wegen der zunehmenden Belastung durch Auslandseinsätze, gerade wurde der Einsatz in Mali weiter aufgestockt, und weil Deutschland "mehr Verantwortung" in der Welt militärisch zeigen soll, was mit dem nach Brexit und der Wahl von Donald Trump als US-Präsident ausgehendem Ruf nach stärkerer militärischer Kooperation der EU-Länder bis hin zu einer Europäischen Armee noch verstärkt wird. Dazu kommen der Ausbau des Cyberkommandos und die Überalterung der Bundeswehr.

Werbung der Bundeswehr

Hauptfaktor, die Zahl der Soldaten halten zu können, ist die Einbeziehung der Frauen, die bei der Bundeswehr wie in anderen Armeen die rückläufigen Zahlen bei den Männern zumindest ein Stück weit kompensieren. Überlegt wird etwa in der im Dezember 2016 veröffentlichten Personalstrategie [4] für eine "demografiefeste Bundeswehr", ob man nicht die Anforderungen an die körperliche Fitness senken bzw. an Aufgabenfelder wie im IT-Bereich anpassen kann (s.a.: Weißbuch: Bundeswehr soll bunter werden [5] und Wie die Bundeswehr als Arbeitgeber für die "besten Köpfe" attraktiver werden will [6]).

Überlegt wird auch, die Bundeswehr für Willige aus anderen EU-Ländern zu öffnen, was aber bislang nicht auf große Begeisterung stieß und auch bedeuten würde, dass die Streitkräfte der EU-Länder in Wettbewerb gegeneinander, nicht nur mit den zivilen Arbeitsmärkten geraten würden. Quereinsteiger und Schulabbrecher sollen nun auch Chancen erhalten, auch Über-30-Jährige will man aufnehmen, so die neue Personalstrategie, die auf Öffnung für "neue Zielgruppen" und Vielfalt setzt. An einem "Gesetz zur nachhaltigen Stärkung der personellen Einsatzfähigkeit der Bundeswehr" wird gearbeitet. Beschlossen sein dürfte, dass die besondere Altersgrenze "normalisiert" wird, also Zeitsoldaten länger arbeiten können, während das Pensionsalter auf 62 Jahre angehoben werden soll.

"Die Bundeswehr als Ganzes wird im Moment rasant älter"

Der gerade veröffentlichte Bericht [7] des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels macht das Problem deutlich:

Die Bundeswehr leidet nach wie vor unter dem erheblichen Personalmangel in einer Reihe von Laufbahnen und Verwendungen. Angesichts der demographischen, wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen sowie der besonderen Anforderungen, die die Bundeswehr im Hinblick auf ihre Auftragserfüllung an viele Verwendungen stellen muss, wird es keine einfachen Lösungen für dieses Problem geben.

Jahresbericht 2016

Zum Teil sind die Sollstellen nur halb oder weniger besetzt, beispielsweise im Fliegerischen Dienst oder bei den Unteroffizieren des Heers. Auch bei der Elektronischen Kampfführung oder bei Luftwaffe und Marine klaffen Lücken. Und dazu kommt eben: "Die Bundeswehr als Ganzes wird im Moment rasant älter", was heißt, es besteht dringender Bedarf an neuen Soldaten und Soldatinnen. Etwa die Hälfte des jetzt aktiven Personals wird bis 2030 die Bundeswehr verlassen haben. Die Personalstrategie setzt dabei stark auf Werbung, in der neben den Karrierechancen vor allem der "Sinn" - also "Mach, was wirklich zählt" etwa - in den Vordergrund geschoben werden soll, was auch der Serie "Die Rekruten" zugrundeliegt: "Die Bundeswehr gestaltet die Kommunikation der Arbeitgebermarke Bundeswehr zielgruppenorientiert und bedarfsgerecht und baut diese aus, um sich dauerhaft als sinnstiftender und qualifizierender Arbeitgeber zu positionieren."

Aus "Die Rekruten". Bild: Bundeswehr

Die Bundeswehr malt freilich ein anderes Bild. Zum Ende der YouTube-Serie "Die Rekruten" (Soldaten wie Du und Ich [8]) wird erklärt [9], es sei "eines der erfolgreichsten Social-Media-Projekte in Deutschland" gewesen, in "nur drei Monaten haben knapp 270.000 Menschen den Kanal abonniert, über 45 Millionen Mal wurden die Videos angeschaut". Und die Serie habe auch den gewünschten Effekt gehabt.

Nicht nur sei das Interesse an der Bundeswehr als Arbeitgeber gestiegen, sie haben 2016 auch 10 Prozent mehr Soldaten als 2015 einstellen können, die Bundeswehr wachse damit wieder: "Wir freuen uns vor allem über deutlich mehr Einstellungen in den Bereichen der hart umworbenen Fachkräfte: 60 Prozent mehr Einstellungen bei den IT'lern und 30 Prozent mehr Einstellungen bei den Feldwebeln im Rettungsdienst sind ein großer Erfolg", sagte Dirk Feldhaus, Beauftragter für die Kommunikation der Arbeitgebermarke Bundeswehr.

Rekrutierung nicht gesichert

Die Probleme hat nicht die Bundeswehr alleine, die Rekrutierung junger Menschen ist für die meisten Berufsarmeen schwieriger geworden, die sich alle "öffnen", um die demografischen Trends und die Unlust an militärischer Disziplin und Hierarchie auszugleichen. Mit zunehmenden Auslandseinsätzen dürfte die Attraktivität allerdings noch weiter sinken, wenn nicht höhere Arbeitslosigkeit den Soldatenberuf wieder anziehender macht.

Ähnliche Probleme wie die Bundeswehr gibt es auch bei den britischen Streitkräften [10]. So ist dort die Zahl der aktiven Soldaten um 4 Prozent im letzten Jahr gemessen an den Anforderungen gesunken, ebenso sank die Zahl der Neueinstellungen 2016 im Vergleich zu 2015 um 3,1 Prozent. Im Dezember fehlten 6.210 Soldaten und Soldatinnen.

Aber auch wenn man den geplanten Personalaufwuchs beiseite lässt, ist 2016 das Personal um 1.4 Prozent oder 1.910 Soldaten und Soldatinnen geschrumpft. Am stärksten betroffen ist die Luftwaffe, am wenigsten neue Bewerber gibt es bei der Armee. Insgesamt ist das Personal jedoch um 340 Stellen größer geworden (0,2 %), auch die Zahl der freiwilligen Reservisten ist leicht angestiegen, während die der Future Reserves 2020 um 20 Prozent zurückgegangen ist. Earl Howe, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, erklärte [11], man könne nicht davon ausgehen, dass die Rekrutierung in Zukunft gesichert sei, nachdem nur 6.910 neue Soldaten eingestellt wurden bei einem Bedarf von 9.850, das sind 28 Prozent zu wenig, auch 2015 war der Trend ähnlich. Verantwortlich machte er eine starke und wachsende Wirtschaft und einen nationalen Arbeitskräftemangel.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3608319

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.youtube.com/DieRekruten
[2] https://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/start/streitkraefte/grundlagen/staerke/!ut/p/z1/hZBPS8QwEMU_i4dcO2nqn1UQSVcQpUIXi7a5yOx2TKsxKUla_fhm2aMuzm3ee_zmMaCgBWVxGTXG0Vk0ae_U-Wu5qppKXArR1Otbfv9YlGW-EeLuOYeX_wIq2fzISA5PPUGXGBfHGM0mhUCBescFv7PJ-WgoZrjbN4RuQNsbqt1OHoQHUNq47aG6tNtipUF5eiNPPpt9kocYpyvGGcdZk9XksSecQ2YpMj7antKRYboJ1zX5sH9CiCxfFyyXp_6D_sIOLkRof-Ng-my_eHFmlkqe_ABdok4C/dz/d5/L2dBISEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_B8LTL2922TPCD0IM3BB1Q22TQ0
[3] http://augengeradeaus.net/2016/02/personalstaerke-der-bundeswehr-fortschreibung/
[4] https://www.bundeswehr.de/resource/resource/VVl2QnR1MjcvczE5S1gvNHJBbVRIaFdGUk5DL041T1Z6T25aSWZObmxxMHk4anE4QnlVY1E1M1JhZDZ1UTVvckUrSGwvcmlXOTFiTjBQQzU1ejd3bUVJKy84WXFwbzNsbyt3ekpKdDBUUmM9/Personalstrategie%20der%20Bundeswehr.pdf
[5] https://www.heise.de/tp/features/Weissbuch-Bundeswehr-soll-bunter-werden-3269815.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Wie-die-Bundeswehr-als-Arbeitgeber-fuer-die-besten-Koepfe-attraktiver-werden-will-3534232.html
[7] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/109/1810900.pdf
[8] https://www.heise.de/tp/features/Soldaten-wie-Du-und-Ich-3460805.html
[9] http://www.presseportal.de/pm/116137/3544598
[10] https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/584256/Monthly_service_personnel_statistics-_December_2016.pdf
[11] http://www.eastlothiancourier.com/news/15043253._Recruitment_cannot_be_taken_for_granted__as_Army_misses_target_for_new_troops/