Cannabis verjüngt bei älteren Mäusen das Gehirn
Forscher wollen Medikament gegen Demenz entwickeln
In der Fachzeitschrift Nature Medicine haben deutsche und israelische Wissenschaftler die Ergebnisse einer gemeinsamen Studie unter Leitung des an der Universität Bonn beschäftigten Neurowissenschaftlers Andreas Zimmer veröffentlicht, die das Potenzial hat, den Ruf von Cannabis deutlich zu verbessern: Danach sorgt nämlich der Wirkstoff THC in regelmäßiger niedriger Dosierung bei älteren Mäusen für eine bessere Gedächtnisleistung.
Ein Ausgangspunkt der Studie war die Beobachtung, dass die THC-Rezeptoren im Gehirn, an denen die Cannabis-Wirkstoffmoleküle andocken können, im Alter weniger werden. Als die Forscher zwölf und 18 Monate alten Mäusen regelmäßig kleinere Dosen THC verabreichten, stellten sie fest, dass sie anschließend Erkennungsaufgaben wieder so gut bewältigen konnten wie zwei Monate junge Tiere. Da Mäuse nur eine Lebenserwartung zwischen eineinhalb und zwei Jahren haben, entspricht dieses Alter dem, in dem man am leistungsfähigsten ist. Nachdem die Forscher die Gehirne der mit THC "verjüngten" Mäuse untersuchten, stellten sie fest, dass die Zahl der Verbindungen zwischen den Nervenzellen zugenommen hatte. Bei einer Kontrollgruppe, der man ein Placebo verabreichte, zeigte sich weder dieser Effekt noch eine verbesserte Gedächtnis- und Lernfähigkeit.
Klinische Studie mit Patienten soll noch 2017 beginnen
Zimmer zufolge zeigten die bisherigen Forschungen, dass im Zusammenhang mit Cannabis "praktisch alles, was in der Maus funktioniert, auch im Menschen funktioniert". Er gibt sich daher "vorsichtig optimistisch, dass die Ergebnisse vielleicht übertragbar sind" und dass sich in einer klinischen Studie, die noch in diesem Jahr beginnen soll, Demenzerscheinungen bei Menschen mit THC mildern lassen. Darauf, dass dieser Effekt eintreten könnte, deuten auch die positiven Nebenwirkungen hin, die der 2014 verstorbene israelische Professor Itai Bab an alten Patienten beobachtete, deren Beschwerden er mit Cannabis zu lindern versuchte: Sie hatten nicht nur mehr Appetit und konnten besser schlafen, sondern wirkten auch geistig reger.
Bevor man nun, wie es Ruth Schuster in Ha'aretz formuliert, "Omas Tee aufmotzt", sollte man die Ergebnisse dieser klinischen Studie abwarten - sonst würde man das THC mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch (und wahrscheinlich zu hoch) dosieren. Die Menge, mit denen die alten Mäuse ihre Gedächtnis- und Lernleistungen verbesserten, war den Angaben der Forscher nach so gering, dass sie zu keinem Rauschzustand führt, wurde dafür aber sehr regelmäßig verabreicht.
Großer Forschungsbedarf
In der Vergangenheit hatten sich Forscher vor allem auf mögliche negative Auswirkungen von Cannabis auf das Gehirn konzentriert. 2012 postulierten beispielsweise der an der University of Ottawa forschende Neurowissenschaftler Xia Zhang und Giovanni Marsicano von der Universität Bordeaux, dass sich THC bei Ratten über die Astrozyten-Gliazellen negativ auf synaptische Verbindungen im Hippocampus und damit auf das Gedächtnis auswirkt. Ihre Studien müssten nun mit unterschiedlichen Altersgruppen und stärker differenzierten Mengen wiederholt werden.
Ebenfalls Forschungsbedarf besteht bezüglich der Auswirkungen von THC auf Embryos: 2014 veröffentlichte ein Team um die Mediziner Giuseppe Tortoriello und Tibor Harkany eine Studie, die anhand von Modellsystemen zum Nervenwachstum mutmaßt, Cannabis könne über das Protein Stathmin-2 das Risiko für spätere neuropsychiatrische Erkrankungen eines Kindes erhöhen, wenn werdende Mütter es während der Schwangerschaft zu sich nehmen. Eine Kausalität dafür blieben die Wissenschaftler allerdings schuldig, wie sie selbst einräumten.
Im letzten Jahr widerlegte eine Zwillingsstudie unter Leitung des kalifornischen Forschers Nicholas J. Jackson die verbreitete Vorstellung, dass Marihuanakonsum den Intelligenzquotienten beim Menschen senkt: Die in vorhergehenden Studien errechnete Korrelation zwischen niedrigem Intelligenzquotienten und Marihuanakonsum liegt Jackson zufolge nicht an direkten Auswirkungen der Substanz, sondern muss andere Ursachen haben, weil sich die Intelligenz bei Zwillingen, von denen einer Marihuana konsumierte und der andere nicht, gleich entwickelte. In Frage dafür kommen zum Beispiel familiäre, soziale oder kulturelle Faktoren, die zu psychischen Problemen führen, gegen die Cannabis als Selbstmedikation eingesetzt wird.
Seit 2012 haben inzwischen sechs US-Bundesstaaten - unter ihnen der Bevölkerungsriese Kalifornien - Cannabis als Genussmittel legalisiert. In Kanada steht eine solche Legalisierung kurz bevor, in Uruguay wurde sie bereits durchgeführt. Zahlreiche weitere Staaten - darunter Portugal, Spanien, fast alle lateinamerikanischen Länder und Russland - haben den Besitz kleiner Mengen Cannabis entkriminalisiert. Als Arznei ist die Substanz inzwischen auch in Deutschland und Österreich zugelassen, wird aber streng reguliert.
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