China-Krise nicht zu bändigen
Die Börsen brechen ein, weil die Industrieproduktion gegen die Erwartungen auch im zehnten Monat in Folge gesunken ist
Es war abzusehen, dass die hektischen Notmaßnahmen der chinesischen Planer seit den Abstürzen der Börsen im vergangenen Sommer ihre Wirkung verfehlen würden (Die Angst vor dem Crash wächst). Etwa 30% des Börsenwertes löste sich in nur etwa drei Wochen praktisch in Luft auf. Nach vielen Notmaßnahmen sah es so aus, als könnte die Regierung für Ruhe auf den Parketts sorgen, doch es bedurfte nur einer erneuten Meldung am Montag, dass die reale Wirtschaftsaktivität nicht in die Planungsvorgaben passen wollen, um einen neue Börsenpanik auszulösen.
Die realen Zeichen stehen immer deutlicher auf Krise im Reich der Mitte. Das zeigen fallende Exporte und Importe schon seit längerer Zeit (China geht weiter in die Knie, das Klima freut es). Und nun war es die Meldung, dass die industrielle Aktivität auch im Dezember - also schon im zehnten Monat in Folge - gesunken ist, um erneut Panik ausbrechen zu lassen. Am Montag wurde der Caixin-Einkaufsmanagerindex (PMI) veröffentlicht. Gegen viele Erwartungen sank der Wert im Dezember erneut um 0,4 Punkte auf 48,2. Erwartet worden war allseits, dass er wieder steigen würde. Von Bloomberg befragte Experten hatten einen Wert von 48,9 erwartet. Doch auch das hätte nur bedeutet, dass das produzierende Gewerbe in China weiter schrumpft, denn nur ein Wert von mindestens 50 Zählern zeigt ein Wachstum an. Allerdings hätte der Bloomberg-Wert bedeutet, dass eine Tendenz gebrochen worden wäre.
Da das nicht der Fall war und sich eher bestätigt hat, dass die Wachstumsvorgabe der chinesischen Regierung kaum in der Realität das Wachstumsziel von 7% für 2015 einhalten wird, brach gleich am ersten Handelstag die Panik aus. Die Planer in Peking hatten nicht einmal in ihren Albträumen damit gerechnet, dass ein gerade für die Börsengeschäfte eingeführter Notmechanismus schon am ersten Handelstag im Jahr wirksam werden würde. Schon am Montag musste diese Reißleine gezogen werden.
Zunächst wurde der Handel an den Börsen für 15 Minuten unterbrochen, weil der Hushen 300 Index nach den schlechten Wirtschaftsdaten um mehr als 5% gefallen war, der die wichtigsten Notierungen an den großen Börsen in Shanghai und Shenzhen abbildet. Danach wurde der Handel wieder aufgenommen, nur um ihn kurz danach komplett für den Rest des Tages einzustellen, weil der Index zwischenzeitlich sogar um mehr als 7% in die Knie gegangen war. Wie tief die Kurse gestützt wären, wenn die gerade eingeführte Reißleine nicht schon am ersten Tag gezogen worden wäre, ist unklar.
Tatsächlich wurde die Erholung der Kurse bis zum Jahreswechsel von vielen Anlegern nach der schon bekannten "Taolao"-Strategie genutzt, um bei höheren Kursen angesichts absehbarer Unsicherheiten zu verkaufen. Damit werden Verluste minimieren, die vor allem Kleinanleger längst zu verzeichnen haben, die erst spät in den boomenden Aktienhandel bei hohen Preisen eingestiegen waren, weil sie auch vom Staat zum Aktienkauf gedrängt wurden. Taolao bedeutet, "gefangen" zu sein. Viele Sparer - etwa 80 Millionen Kleinanleger haben einen Teil oder ihr ganzes Geld in Aktien stecken - fühlen sich im Aktienmarkt gefangen und versuchen schon länger, sich geordnet zurückzuziehen.
Schockwelle aus China
Dass es zu neuen starken Abwärtsbewegungen in dieser Woche kommen würde, war zu erwarten. Denn eine der vielen Notmaßnahmen, die seit vergangenem Sommer aufgelegt wurden, sollte am kommenden Freitag auslaufen. Um die Aktienmärkte zu stützen und den freien Fall der Kurse aufzuhalten, hatte die Regierung verfügt, dass größere Aktienpakete seit Juli nicht verkauft werden durften. Wer mehr als 5% der Aktien eines Unternehmens besitzt, konnte sie also bisher nicht verkaufen. Die größeren Anleger waren damit noch stärker gefangen. Und da erwartet wurde, dass es bald zu größeren Verkäufen und damit zu Kursrutschen kommen würde, kamen kleinere Anleger angesichts der neuen Hiobsbotschaft für die chinesische Wirtschaft dem zuvor und versuchten, ihr Geld in Sicherheit zu bringen.
Und die Schockwelle aus China zeitigte entsprechende Wirkungen an den Kapitalmärkten weltweit. Vor allem der deutsche Leitindex Dax ging ebenfalls zum Start ins neue Jahr am Montag mit einem Minus von fast 4,3% deutlich zurück. Das war das schlechteste Ergebnis zum Jahresbeginn seit mehr als 25 Jahren. Das weist auch im Exportland Deutschland auf Turbulenzen für das neue Jahr hin. Und angesichts der Verluste in Deutschland und Europa legte Leitindex in den USA den schlechtesten Start ins neue Jahr seit 1932 hin. Seit der großen Depression war der Dow Jones am Jahresanfang in der ersten Handelsstunde um 2,6% abgesackt. Allerdings wurden die Verluste im Laufe des Handelstags wieder teilweise abgebaut, weshalb der Dow Jones nur mit einem Verlust von knapp 1,6% aus dem Handel ging.
Das sorgte zunächst auch am frühen Dienstag für Erleichterung an den europäischen Börsen. Doch nach Gewinnen im frühen Handel gingen an praktisch allen Börsen in Europa die Indizes wieder ins Minus. Offenbar wurden einige Anleger durch die stark gesunkenen Kurse zum Kauf ermutigt. Doch nachhaltig war das nicht. Insgesamt macht sich weiter Pessimismus breit, auch weil es den Chinesen nur gelungen war, am Dienstag die Verluste zu begrenzen.
Trotz neuer Stützungsmaßnahmen gab es in China keine Erholung, wenngleich der Absturz erneut abgefangen werden konnte. In Shanghai ging der Composite Index nur mit einem schwachen Verlust von 0,3% aus dem Handel. Zuvor hatte die chinesische Zentralbank die Geldschleusen aber wieder stark geöffnet, um die Anleger zu besänftigen. Die People's Bank of China (PBoC) pumpte frisches Geld im Umfang von etwa 19,9 Milliarden US-Dollar in Form von siebentägigen "Reverse Repos" mit einem für China sehr günstigen Zinssatz von 2,25% in den Markt, um die Liquidität zu erhöhen.
Wie schwierig die PBoC die Lage einschätzt, wird darüber klar, dass es sich um die größte Geldspritze seit vergangenem September gehandelt hat. Zudem habe die Zentralbank die chinesische Währung gestützt und staatliche Banken damit beauftragt, Dollar zu verkaufen und Yuan anzukaufen, berichten Insider.
Noch Asse im Ärmel?
Es kann auch davon ausgegangen werden, dass die Großanleger nicht ab Freitag aus der Gefangenschaft befreit werden. Denn um weitere Kursstürze zu vermeiden, hat sich die zuständige chinesische Aufsichtsbehörde nun zu Wort gemeldet. Die Börsenaufsicht will sicherstellen, dass die Notfallmaßnahmen nicht wie geplant am Freitag auslaufen, um Chaos zu vermeiden. Nichts Genaues weiß man nicht. Es sieht nun alles danach aus, dass es Beschränkungen geben soll, damit nicht riesige Aktienmengen in den Handel gelangen, die nächste Woche neue Kursstürze auslösen und zu neuen Panikreaktionen führen können.
Klar ist, dass es China nicht wirklich gelingt, die gefährlich Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Versuche, durch die mehrfache Abwertung der eigenen Währung die Exportwirtschaft zu stützen, sind misslungen. Das hat auch damit zu tun, dass China spät in den Währungskrieg eingestiegen ist, den zum Beispiel Japan und die Europäische Zentralbank (EZB) mit einer ultralockeren Geldpolitik weiter so richtig anfachen, was allerdings vielen Geld-Junkies noch zu wenig ist (Geld-Junkies entsetzt über die EZB).
Es ist deshalb damit zu rechnen, dass auch China weiter an der Währungsschraube drehen wird, um den schwächelnden Export zu stärken. Allerdings wird auch immer klarer, dass die "Beggar-Thy-Neighbor Policy" immer deutlicher an seine Grenzen stößt, eine Konjunkturbelebung auf Kosten anderer Währungs- und Wirtschaftsräume zu erreichen. Vor dem Jahreswechsel wurden zudem schon von den Verantwortlichen eine "flexiblere Währungspolitik" und ein höheres Defizit angekündigt. Denn auch mit noch höheren Staatsausgaben soll die Konjunktur wieder in Schwung gebracht werden, um die vorgegebenen Wachstumsziele zu erreichen. Schon 2015 dürfte es deutlich wegen der Probleme gestiegen sein. 2014 lag das Haushaltsdefizit noch bei 1,8% der jährlichen Wirtschaftsleistung.
Es wird auch über die angekündigte "aktivere Steuerpolitik" weiter steigen, denn durch Steuersenkungen soll die Wirtschaft angekurbelt werden, wurde in einem Dokument zur Wirtschaftskonferenz der kommunistischen Partei unumwunden zugegeben. Darüber soll Firmen im Exportwettbewerb unter die Arme gegriffen werden. Offiziell werden alle diese Maßnahmen in China, die wir aus den Krisenjahren hier gut kennen, als "Asse im Ärmel" bezeichnet. Sie sind jedoch der Ausdruck einer massiven Krise.
China kämpft mit einem weiteren großen Problem. Denn die Kapitalflucht ist enorm. Allein im November wurden in China Dollarreserven im Umfang von gut 87 Milliarden Dollar aufgelöst. Das US- Finanzministerium schätzt, dass sogar eine halbe Billion Dollar in den ersten acht Monaten 2015 aus China abgeflossen sind. In den drei folgenden Monaten (Dezember noch ausgenommen), sollen es weitere 200 Milliarden gewesen sein, damit hätte die Kapitalflucht sogar noch weiter an Fahrt aufgenommen.
Genau deshalb hatte China versucht, alles zu tun, um die US-Notenbank von der Zinswende abzubringen. Die Erhöhung des Leitzinses in den USA fiel im Dezember mit 0,25 Punkten zwar gering aus, verstärkt aber den Druck auf Schwellenländer wie China. Schon in der Nullzinsphase ist viel Kapital aus den Schwellenländern wieder zurück in die USA geflossen. Mit der Zinserhöhung dürfte es noch stärker abfließen, weshalb diesen Ländern zunehmend Geld fehlt. Das Reich der Mitte hatte deshalb schon im Sommer drohend den Finger erhoben und Druck auf die US-Notenbank gemacht. Die Chinesen verstiegen sich sogar zur Behauptung, dass die erwartete Zinserhöhung für Verwerfungen an den chinesischen Finanzmärkten im Sommer verantwortlich sei. Weil das für die geplante Erhöhung im September noch Wirkung zeigte, versuchte China es im Dezember erneut, scheiterte aber.
IWF-Chefin: Wachstum der Weltwirtschaft ist "enttäuschend"
Die derzeitige Lage unter Kontrolle zu bringen, ist, davon können Japan, die USA oder auch Spanien ein Lied singen, angesichts einer geplatzten Immobilienblase sehr schwierig. Die Probleme in China zeitigen längst deutliche Wirkungen rund um den Globus. Das zeigt die Lage in Australien zum Beispiel schon sehr deutlich. Aber auch Kanada ist schon in die Rezession abgerutscht. Da China nicht mehr praktisch alle Rohstoffe vom Markt saugt, sind die Rohstoffpreise massiv in den Keller gegangen, allen voran der Ölpreis, woran aber auch die Fracking-Industrie in den USA einen großen Anteil haben. Das wiederum hat massive Auswirkungen auf die Entwicklung in den Schwellenländern, die wie Russland oder Brasilien massive Probleme haben (Warnung vor Gefahren in Schwellenländern).
So darf man auch angesichts der Worte der Schönrednerin Christine Lagarde aufhorchen. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) meint nun ebenfalls, dass das Wachstum der Weltwirtschaft "enttäuschend" ausfallen wird. In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt wies sie gerade darauf hin, dass es neben den wirtschaftlichen Problemen in China noch andere Schwierigkeiten gibt. Sie sieht Probleme auch für die Weltwirtschaft aus den zahlreichen Kriegen und zunehmenden Spannungen, was zu einer stärkeren wirtschaftlichen Schwankungsanfälligkeit rund um den Globus führe, schrieb die Französin.
Sie macht dafür auch zu erwartende weiter steigende Zinsen in den USA verantwortlich, wobei stark bezweifelt werden kann, dass es dazu tatsächlich kommt. Jedenfalls meint Lagarde, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer vor große Probleme gestellt würden, die Konjunkturprogramme in einem erheblichen Anteil mit Dollar-Krediten finanziert hätten. Denn mit einem durch die Zinspolitik steigenden Dollar, wachsen auch damit ihre Schulden. Deshalb drohten bei einem weiteren Anstieg Zahlungsausfälle von Unternehmen, die zudem Banken und Staaten infizieren könnten.
Sie verwies auch auf die Flüchtlingskrise, die Spannungen in Nahost und in Nordafrika, die zu weiteren politischen Unsicherheiten beitrügen. Was sich derzeit im Verhältnis zwischen dem Iran und Saudi Arabien entwickelt, passt jedenfalls sehr gut zu dieser Einschätzung. Lagarde stellt fest, dass sich das Wachstum des Welthandels deutlich verlangsamt habe. "Ein Grund, warum die Weltwirtschaft derart lahmt, ist, dass auch sieben Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers die Finanzstabilität noch immer nicht gewährleistet ist." Die Risiken finden sich nicht nur in Schwellenländern. In der Eurozone säßen die Geldinstitute noch immer auf faulen Krediten im Volumen von rund 900 Milliarden Euro, stellte Lagarde fest. Würden sie abgebaut, könnten die Banken die "Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte" ausweiten und darüber die "Wirksamkeit der lockeren Geldpolitik erhöhen, die Wachstumsaussichten verbessern und das Vertrauen der Märkte stärken", schrieb sie.
Das riecht regelrecht danach, erneut die faulen Kredite auf den Steuerzahler abzuwälzen. Das kann auch locker geschehen, wenn gegen alle positiven Prognosen der EU-Kommission, der OECD, des Sachverständigenrats oder der deutschen Forschungsinstitute die Weltwirtschaft eher in die Knie geht. Dass auch wir angesichts der Probleme in China wieder in die Rezession zurückfallen können, wird bisher gänzlich ausgeblendet. Ein Frühindikator dafür ist der Welthandel, den auch Lagarde angesprochen hat. Im letzten OECD Economic Outlook schrieb Chefvolkswirtin Catherine Mann, dass er seit Ende 2014 zu stagnieren scheine oder sogar schrumpfe. Und das hat bisher stets bedeutet, dass es zu einer globalen Rezession kam. Man kann also nur ein frohes neues Jahr wünschen.