Chinas brave neue Internet-Welt
Aus für Internet-Cafés, Verhaftung von Web-Dissidenten, verschärfte Zensur und eine Teppich mit versteckten Kameras.
Technischer und wirtschaftlicher Fortschritt kommt der chinesischen Führung gerade recht. Der Geist der Freiheit, den sie damit rief, bereitet den Machthabern allerdings einiges Kopfzerbrechen. Hier eine kleine Nachlese zu den jüngsten Versuchen, die neue Welt in den Griff zu bekommen.
Einschlägige Meldungen aus dem Reich der Mitte tauchen in Europa nur vereinzelt auf und sind ebenso schnell wieder vergessen. Oder können Sie sich erinnern, dass erst vor zwei Tagen Razzien in 45 chinesischen Cybercafés gemeldet wurden? Wie - das haben Sie glatt verpasst? Zu Ihrer Beruhigung - dies berichtete die South China Morning Post, die nicht unbedingt zur Pflichtlektüre eines Europäers zählen muss.
Den Hintergrund zu dem Vorfall in der chinesischen Provinz Fujian bildet eine neue Verordnung, die den Betrieb von Internet-Cafés im Umkreis von 200 m einer Schule verbietet, weil sich einige in PC-Spielhöllen verwandelt hätten und auf Jugendliche wie Drogen wirken würden. Tatsächlich werden die meisten dieser Cafés von jungen gebildeten Leuten betrieben und genutzt. Chatten, online Zeitung lesen und E-Mail-Versand zählen zu ihren Hauptbeschäftigungen. Das aufmerksame Verfolgen von Börseninformationen gehört für viele ebenso zur Cyberkultur wie die Beteiligung an diversen Online-Spielen. In Shanghai waren erst Februar d.J. weit über hundert Internet-Cafes dicht gemacht worden, zumal die Obrigkeit befand, dass sie die "Moral der jungen Menschen korrumpieren und eine Gefahr für die Staatssicherheit darstellen" würden.
In direktem politischen Zusammenhang steht die Verhaftung des Aktivisten Huang Qi, der eine Website im Zeichen der Menschenrechte betreibt. Der Vorwurf der chinesischen Behörden lautet Subversion. Im Juni d.J. sandten die "Reporter ohne Grenzen" (RSF) ein entsprechendes Protestschreiben an den chinesischen Justizminister. Der Betrieb der Website wurde zwar weiter aufrecht erhalten, die Spuren des Übergriffs sind aber unübersehbar. Die Artikel zum 11. Jahrestag des Massakers am Tiananmen Square Juni 1989 mußten gelöscht werden. Die LeserInnen werden aufgefordert, keine allzu scharfen politischen Kommentare zu posten. Nur mittels einer virtuellen Abstimmung kann man Protest oder Zustimmung zum Vorgehen der chinesischen Führung kundtun. (Selbstredend, dass die Mehrheit der Nutzer bisher zugunsten Huang Qi's stimmte). RFS berichtet desweiteren, dass am 30. Mai ein Verfahren gegen einen anderen "Webdissidenten" wegen Subversion begann. Ihm drohen bis zu fünf Jahren Gefängnis.
Die Zeichen scheinen in China dieses Jahr auf Sturm zu stehen. Bereits im Januar wurden neue gesetzliche Richtlinien bekannt gegeben. Danach müssen Website-Betreiber alle Inhalte den Behörden vorlegen. Außerdem soll die Software zur verschlüsselten Übertragung von Daten künftig strengeren Kontrollen unterzogen werden. Neu sind derartige Zensurversuche freilich nicht im Land der Mitte.
In einer wissenschaftlichen Arbeit für das Soziologische Institut der Universität Zürich beschrieb Roland Specker bereits 1997 die Strategie der chinesischen Regierung:
"Genauso wie im Bereich der Printmedien die Information selbst und nicht die Leserschaft kontrolliert wird, zielen die Bemühungen der Regierung darauf, die unerwünschten Online-Informationen selbst zu zensurieren, bzw. diese für die chinesischen Benützer erst gar nicht erreichbar zu machen. Entsprechende Filter-Software kündigten die Behörden bereits im Februar 1996 an und im September wurden ohne weitere Ankündigung der Zugang zu über 100 Web-Sites blockiert. Betroffen sind fünf Kategorien von Informationen: 1) Nachrichten westlicher (v.a. US-amerikanischer) Medien wie z.B. Wall Street Journal, Los Angeles Times, Economist, Washington Post und CNN 2) Chinesischsprachige Informationen der taiwanesischen Regierung und taiwanesische Medien 3) Informationen chinakritischer Presseorgane und Publikationen aus Hongkong 4) Informationen aus dem Ausland von Dissidenten und Menschenrechtsgruppen, insbesondere solchen, die die Unabhängigkeit Tibets und Xinjiangs propagieren 5) Pornographische Publikationen wie z.B. Playboy."
In den Abschlußbemerkungen resümiert Specker nochmals die Situation: "Wie in vielen westlichen Ländern hat der Internet-Boom, mit einiger Verspätung zwar, 1995 auch China erreicht. Zwischen dem ersten nationalen Netzwerk 1987 (China Academic Network) und der Errichtung der ersten internationalen offiziellen Internet-Verbindung von China in die USA 1993, sind in China eine Vielzahl von Netzwerken entstanden. Der immer unübersichtlicher werdenden Situation schob die chinesische Regierung im Februar 1996 mit den 'Bestimmungen über die Kontrolle des Internets' einen Riegel vor. Ihr Ziel ist es, dadurch eine einheitliche und staatlich kontrollierbare Gesamtplanung der Internet-Entwicklung in China zu gewährleisten. Dies soll unter anderem dadurch erreicht werden, dass die internationalen Leitungen nur noch über das öffentliche Telekommunikationsnetz des Ministeriums für Post und Telekommunikaton (MPT) geschaltet werden dürfen. Auf der Anwender-Seite verpflichtet die Regierung die Internet-Benutzer, sich polizeilich registrieren zu lassen."
Offensichtlich hat die Regierung aber die Eigendynamik des Cyberspace unterschätzt. Wie sonst könnte man die jüngsten Angriffe auf die Meinungsfreiheit und der Regierung unliebsame Webaktivisten erklären. Selbst angesehene Zeitungen gerieten bereits in die Mühlen der Zensur. Mal sind es publizierte Wirtschaftsdaten, mal politische Berichte, die nicht genehm sind. Was die chinesische Führung will, ist eindeutig: Den wirtschaftlichen Aufschwung durch neue Technologien forcieren und davon profitieren. Ein gesellschaftlicher Wandel hingegen soll dadurch nicht begünstigt werden. Kein Wunder also, dass das offizielle China in Überwachungstechnologien investiert und zuweilen recht makabre Erfindungen feiert. Jüngste Errungenschaft: Ein Teppich mit versteckten Kameras. "Bei ungebetenen Gästen werde die Polizei benachrichtigt. Der intelligente Teppich wurde an der Technischen Universität der Provinzhauptstadt Harbin entwickelt und sei für 'Sicherheitszwecke' gedacht. Ein Teppich sei für diese Aufgabe besonders geeignet, da er 'zu herkömmlich' sei, um Verdacht zu erregen", berichtet Spiegel-Online. Fotografiert wird von unten, was sozusagen eine tief angesiedelte, schräge Optik beschert. Insbesondere Frauen würden eine solche Gerätschaft eher in der Abteilung "Spanner" vermuten, denn in renommierten Forscherstuben.