City of Gold
Dubai - Morgenröte und Götterdämmerung am Persischen Golf
Das war 2007: Der Taxifahrer, nach den Benzinpreisen in Dubai gefragt, gibt lakonisch zurück: "How much did you pay for this bottle of water?" Eine KFZ-Steuer existiert nicht in Boomtown am Persischen Golf. Der Spritpreis liegt umgerechnet bei 34 Cent. Dubai, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dubai, das gelobte Land. Der weltweit höchste Wolkenkratzer im Emirat Dubai sollte über einen Kilometer in den Himmel ragen. Doch die Finanzkrise machte dem Königreich erst mal einen Strich durch die Rechnung. Der Enthusiasmus ist gebremst. Ist er gebremst?
Noch vor fünf Jahren erschien die Verkehrssituation in der Hauptstadt quälend aussichtslos, endlose Staus prägten den Alltag der Autofahrer. Die Straßen waren von nervigem Dauerhupen erfüllt. Heute weist Dubai, trotz Finanz- und Wirtschaftskrise, ein Straßenbild auf, das auf den Hauptverkehrsadern in jeder Richtung mindestens vier, auf der Sheikh Zayed Road (der Straße der Wolkenkratzer) sechs Fahrbahnen bietet, die einen repektablen Verkehrsfluss gestatten. Abzweigungen, Gabelungen, Über- und Unterführungen erlauben einen flotten Fahrstil - ohnehin ein Merkmal der ansässigen Taxifahrer.
Dubai, distinguiertes Mitglied im exklusiven Club der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) am Persischen Golf, hat längst erkannt, dass es vorrangig um die Realisierung der Infrastruktur gehen muss, will man die hochgesteckten Bauziele verwirklichen. Niemand hier will im Dauerstau stecken, niemand will über lange Zeiträume Baustellen sehen und den damit verbundenen Dauerfrust ertragen. Wichtigstes Element sind die Straßen, die in generöser Gestaltung heute nicht nur den Kern der City durchziehen, sondern in einem Radius von um die 50 Kilometer eine Erschließung komplett neuer Wohnviertel ermöglichen. So kommt es, dass man die Stadt verlässt und zunächst noch jene nach urbaner Wüste aussehenden Gegenden durchfährt, bevor man wieder auf ein im Bau befindliches Wohnareal oder die Ansiedlung von Gewerbegebieten stößt. Das Straßennetz hat oberste Priorität.
Auffallendes Indiz der Infrastrukturmaßnahmen ist auch die neue Metro. Der fertig gestellte erste Streckenabschnitt verläuft parallel zur Hauptverkehrstrasse: Über eine Stunde zügige Fahrt von der Start- bis zur Endstation. Zwei weitere Strecken befinden sich im Bau.
Dubai, das war noch vor wenigen Jahrzehnten nicht viel mehr als ein verschlafenes Fischerdorf. Perlentaucher tummelten sich in den Gewässern vor der Golfküste. Erst der Ölboom - Petrodollars und eine höchst liberale Wirtschaftspolitik - brachte Geld ins Land, damit auch Investoren aus aller Herren Länder und das damit zusammenhängende Nachspiel. Der Bauboom der letzten Jahre wurde jäh gebremst durch die Finanzkrise, aber das Bild des Emirats am Golf bleibt schillernd und widersprüchlich.
In anderer Weise, als die Weltpresse und ihre Leitmedien es pauschal oft darstellten, entwickelt sich die Region dabei nach eigenen Gesetzmäßigkeiten. In den vergangenen zehn Jahren wurden allein in Dubai mehr als 200 Wolkenkratzer gebaut, die eine gigantische Skyline schufen. Das heute höchste Wohngebäude der Welt, das Burj Khalifa im Stadtteil Downtown mit sagenhaften 828 Metern Höhe, markiert die neue Ära. Dazu gehört eine Vielzahl an architektonischen Glanzstücken, die jeden, der der Moderne nicht ablehnend gegenüber steht, mehr als beeindrucken muss. Das Burj Khalifa gilt dank seiner Rekordmaße seit 2008 weltweit als vorläufiger Höhepunkt des Booms. Mit Verspätung wurde der Wolkenkratzer im Januar 2010, nach insgesamt sechs Jahren Bauzeit, mit seinen imposanten 189 Stockwerken bezugsreif.
"Stadt aus dem Nichts"
Ehrgeizige Projekte haben wohlklingende Namen. Das gilt vor allem für Dubai. Allerdings ist nicht jeder vom Glamour der Weltstadt am Golf restlos überzeugt. Der kalkuliert ins Werk gesetzte Reichtum ist auf den ersten Blick faszinierend, aber er hinterlässt auch einen zwiespältigen Eindruck.
Das aktuell größte Bauvorhaben ist wohl DubaiLand südlich von Dubai Stadt, gedacht als gigantischster Freizeitpark des Planeten. Auf insgesamt 140 Quadratkilometern ehemaliger Wüste soll das Dorado nach seiner Fertigstellung täglich bis zu 200.000 Besucher anziehen. Natürlich steht hier auch das größte Riesenrad der Welt (Great Dubai Wheel): Aus 30 Gondeln und 185 Metern maximaler Höhe sollen die Fahrgäste die phänomenale Aussicht genießen, rund 50 Kilometer weit. Vorerst herrscht jedoch Baustopp. Teil von DubaiLand ist auch der Wasserpark Aqua Dubai. Als maßstabsgetreue Repliken wird man in der Falcon City of Wonders die sieben antiken Weltwunder nebst einigen modernen Errungenschaften, darunter den Pariser Eiffelturm, im Abbild bestaunen können.
Wer in Dubai landet, begegnet einer Architektur der Unterwerfung schon auf den ersten Blick: Ein Superlativ ist schon das peinlich sauber gepflegte, heute als größtes überdachtes Gebäude der Welt geltende Flughafengebäude. Die im 2-Minuten-Takt einfliegenden Jets entlassen Trauben von Menschen, die sich, immer häufiger aus Europa kommend, einer fremdartigen Welt ausgesetzt sehen. Dubai International Airport (DIA) registriert soeben ein weiteres Rekordjahr; 2010 erreichte der Passagierverkehr mit 47,2 Millionen einen nationalen Rekord (Steigerung um 15,3 Prozent gegenüber 2009 und mehr als ursprünglich prognostiziert). Wer möchte, kann etwa vom Rhein-Main-Flughafen Frankfurt aus die Reise per Hin- und Rückflug kurzfristig schon für um die 500 Euro antreten. Mehrere zehntausend Deutsche (2004: rund 65.000) gehören zu den jährlich aus Europa Anreisenden. Seit November 2010 gibt es eine Direktflugverbindung Berlin-Dubai.
Außerhalb der Stadt liegt die Dubai Silicon Oasis; sie wurde 2004 als die erste Produktionsstätte des Landes für Chips, CDs, DVDs und Software gegründet. Südlich der Sheikh Zayed Road entstehen die Jumeirah Lake Towers, südöstlich davon nimmt die grüne Siedlung Emirates Hills Gestalt an: Assoziationen an den US-Millionärshügel Beverly Hills stellen sich ein. Mit Dubai Marina und Culture City wachsen komplett neue Stadtteile. Ein weiterer Stadtteil in Planung ist Mohammed bin Rashid Gardens.
Weltruhm genießt schon der auffällige Burj al Arab, die unterkühlte Visitenkarte der Stadt. Das 321 Meter hohe Hotelgebäude in Form eines Segels steht auf der ersten der künstlichen Palmeninseln; der prägnante Entwurf wird durch den im 28. Stock zur Küste hin liegenden Hubschrauberlandeplatz und durch das in 200 Metern Höhe seeseitig abstehende Restaurant komplettiert. Eine wohltemperierte Nacht in der Luxussuite kostet 9.000 Euro.
Nicht zuletzt infolge der großen Inselprojekte wird das Emirat Dubai am Ende mit dem rund Zehnfachen seiner jetzigen Küstenkilometer dastehen. In Form jeweils einer Palme entstehen jene Kunstinseln, auf denen Prachtvillen, Yachthäfen, Hotels und Golfareale Luxus pur verheißen. Aus der Luft nimmt sich freilich alles doch anders aus als aus der Perspektive mit Bodenhaftung; man spricht nicht gern über Planungsfehler in Boomtown. "Objektbesessenheit und Raumvergessenheit kennzeichnen den 'Städtebau' des neuen Dubai" konstatieren Elisabeth Blum und Peter Neitzke 2009 kritisch in einer Buchveröffentlichung und nennen die Metropole "Stadt aus dem Nichts" (Dubai - Der Schein von Stadt). Dubai – am Ende nur ein Schein von Stadt?
Das Projekt Dubai Waterfront allein etwa wird flächenmäßig zweimal so groß wie Hong Kong Island. "An entirely new city", heißt es auf der aufwändig gestalteten Website. Hier sollen einmal 1,5 Millionen Menschen leben und arbeiten, die Anbindung erfolgt auch durch die neue Metro. Die Bilder sprechen eine utopische Sprache.
Fast vollendet sind die Jumeirah Inseln – 50 an der Zahl mit jeweils 16 Villen. Am erweiterten Dubai Creek - dem natürlichen Meeresarm, der die Stadt durchzieht - entstehen die Inseln The Lagoons. Das Quartier, aus mehreren Inseln gebildet, soll auch ein Opernhaus erhalten. Um die Eingriffe in den Ökohaushalt des Meeres auszugleichen, düngt man hier die Meeresflora, füttert die Fauna und versucht auf die Weise, die ökologischen Schäden einzugrenzen.
Nicht nur das Meer wird in Dubai umgestaltet, auch die Wüste hat ihr Großprojekt: Dubai Bawadi, das geplante Las Vegas Dubais, will mit 51 Hotels aufwarten. Eins davon strebt mit 6.500 Zimmern den Rang als größtes Hotel der Welt an. Im Emirat rechnet man vor, dass sich die Anzahl der Touristen von 8 Millionen 2008 bis zum Jahr 2015 fast verdoppeln wird - auf dann rund 15 Millionen.
Natürlich steht auch eines der weltgrößten Einkaufszentren der Welt in Dubai, die Dubai Mall und, um das Shoppen noch zu toppen, die Mall of Arabia (Arabian Center). Die moderne Version von Tausendundeiner Nacht? Die Mall of Arabia präsentiert sich derzeit noch als im Bau befindliches Einkaufszentrum der Superlative. Gelegen am Rande der City of Arabia, wächst hier auf 2 Millionen Quadratmetern Gesamtfläche (die Hälfte davon als Verkaufsfläche gedacht) der Welt größtes Shopping-Center. Der Komplex wird damit etwa doppelt so groß wie die im November 2008 eröffnete Dubai Mall östlich des Burj Khalifa. Dubai, The City of Gold: Wohl in keinem Shopping Guide fehlt das Einkaufszentrum Deiraim in Al Dhagaya, es lockt Touristen wie Einheimische; hier handeln mehr als 300 Firmen und Geschäfte mit Gold, Silber, Platin und Edelsteinen.
Wohl in keinem anderen Land der Welt wird derart verschwenderisch mit Ressourcen, die ohnehin schon mehr als knapp sind, umgegangen. Der Wasserverbrauch beträgt ein Vielfaches dessen, was wir in Europa kennen. Auch die Anschaffung von Autos mit Hubräumen, die einem Lastwagen alle Ehre machen, zeugt nicht unbedingt von Umweltbewusstsein. Was soll’s, wird sich mancher Bürger im Emirat sagen. Solange das Benzin unter 35 Cent pro Liter kostet, wird gefahren, als sei der Sprit nicht mehr wert als Wasser.
Auch die allerorts sichtbare Bewässerung jedes noch so kleinen Fleckchens Grün mag Besucher aus dem Westen irritieren. Die opulente Beleuchtung der Wolkenkratzer, die über Dutzende Kilometer links und rechts der Stadtautobahn angebrachte großzügige Laternenausleuchtung, die selbst bis in die Wüste führt - all dies ist (noch) dem Erdöl zu verdanken. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass Dubai - bei allen Fehlern, die in einer Boomphase gemacht wurden - schnell hinzulernt und bestrebt ist, zusammen mit Abu Dhabi im Bereich der "new green technologies" zu einem führenden Forschungsstandort aufzurücken. Wie ernst es den Gebietern im Golfstaat damit letztlich ist, wird sich allerdings erst noch herausstellen müssen.
Die stellen sich offiziell keineswegs taub gegen die Vorwürfe des ökologischen Missbrauchs. Sämtliche Fahrzeuge des Emirats, alle Taxen und Polizeifahrzeuge werden planmäßig bis ins Jahr 2012 durch Hybrid-Fahrzeuge ersetzt. Alles paletti? Gleichzeitig soll das Straßennetz um weitere 500 Kilometer ausgebaut werden. Trinkwasser? Kein Problem. In teuren, riesigen Aufbereitungsanlagen wird Meerwasser in Süßwasser umgewandelt; ein ausgeklügeltes Leitungsnetz versorgt die Parks, die großteils üppige Pflanzenwelt und die stetig anwachsenden Grünflächen. Hier wird in anderen Dimensionen gedacht.