Club der toten Medien

"40yearsvideoart.de" sichert das Erbe von 40 Jahren deutscher Videokunst - ein Modell für die Sicherung digitaler Kultur?

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Ein kleiner Maschinenpark steht da im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe herum. Historische Beta-Videorekorder, die so groß sind, dass sie einen mittleren Reisekoffer füllen. Kugelförmige, von der Decke hängende Fernseher und Videorekorder, die mit ihren offenen Bändern aussehen wie Tonbandgeräte. In einer Vitrine liegt die private Videosammlung des West-Berliner Künstlers Michael Geißler, der in den 70er Jahren alles filmte, was für ihn von kultureller Bedeutung war: Performances der amerikanischen Körperkünstlerin Carolee Schneemann ebenso wie 1. Mai-Demonstrationen des DGB vor dem Schöneberger Rathaus. Die Videokassetten, auf denen sie gespeichert sind, haben das Format von Lexika-Bänden. Ein veritabler Club der toten Medien ist da zusammengekommen. Im Gegensatz zu heutigen Datenträgern wie DVD oder USB-Sticks wirkt das alles so klobig und überdimensioniert wie Limousinen aus den 60er Jahren.

Blick in das ZKM_Labor für antiquierte Videosysteme, Foto: Andreas Friedrich/ZKM

Dieses kleine Museum vergessener Aufnahmetechnologien hat man am ZKM zusammengetragen, um die Videobänder zu restaurieren, die Künstler in den vergangenen 40 Jahren in Deutschland produziert haben. Der Gedanke, dass nun auch schon Videos restauriert werden müssen wie alte Meister oder der Kölner Dom, mag zuerst verblüffen. Doch gerade die Video-Bänder der „ersten Generation“ aus den 60er und frühen 70er Jahren, bei denen die Aufnahmen auf Magnetband gespeichert wurden, sind extrem störungsanfällig. Sie demagnetisieren von selbst oder werden durch falsche Lagerung bei zu hoher oder zu tiefer Temperatur oder in der Nähe von einem Fernseher gelöscht. Inzwischen gibt es eigene Experten, die sich nur mit der Rettung der vom Verfall bedrohten Tapes beschäftigen.

Im „Labor für antiquierte Videosysteme“ des ZKM wurden in den letzten Jahren mit Unterstützung der Bundeskulturstiftung Videobänder gerettet und digital gespeichert, bevor sie für immer verschwinden. Aus ihnen hat eine Jury 60 repräsentative Arbeiten ausgewählt, die in vier gleichzeitig stattfindenden Ausstellungen unter dem Titel 40jahrevideokunst.de in Karlsruhe, Düsseldorf, Leipzig und Bremen zu sehen waren. Wichtiger als diese Präsentationen aber dürfte der umfangreiche Katalog und vor allem die DVD-Kollektion sein, die die ausgewählten Arbeiten für Kunstakademien, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen dauerhaft zugänglich macht.

Das entspricht ganz dem Geist gerade der frühen Videobewegung. Denn die Faszination, die das neue Medium Video vor 40 Jahren auf Künstler und Aktivisten ausübte, war gerade die Möglichkeit, vergleichsweise schnell und mobil zu produzieren, die Arbeiten dann aber schnell und weit gestreut verbreiten zu können. Videogeräte waren im Gegensatz zur Fernsehtechnik transportabel und man konnte mit ihnen schnell und unkompliziert aufnehmen und sofort wiedergeben. Auf DVD gebrannt sind diese flüchtigen Arbeiten nun erst mal für die nähere Zukunft dauerhaft erreichbar.

Auch digitale Speichermedien sind keine langfristige Lösung

Digitale Technologien sind freilich nicht notwendigerweise sicherere Speichermedien als analoges Magnetband, wie jeder weiß, dem ein Kratzer schon einmal eine ganze CD oder DVD ruiniert hat. Im Gegensatz zu analogen Technologien, bei denen auch bei Beschädigung meist noch irgendetwas zu sehen ist, ist der Datenverlust durch diese Art von Beschädigung in der Regel total.

Auch die Computer-Festplatte ist als Speichermedium ist eine eher unsichere Technologie. Die Daten, die auf ihr gespeichert werden, können schon durch kleine Erschütterungen oder einen Knacks auf der Platine für immer verloren gehen, wie schon eine Reihe von Netz- und Computerkünstler schmerzhaft erfahren mussten. So zum Beispiel die Macher des Internetprojekts „Internationale Stadt“, das Mitte der 90er Jahre eines der wegweisenden Netzkunst-Projekte war – eine der ersten „virtual communities“ im World Wide Web und einer der ersten Server mit einer eigenen Online-Galerie mit Arbeiten, die für das zu dieser Zeit neue Medium entstanden waren. Ausgerechnet beim Transport zu einer Kunstinstitution, die die Site für die Nachwelt dauerhaft sichern sollte, wurde der Computer, auf dem sie gespeichert waren, so schwer beschädigt, dass eine Datensicherung unmöglich war.

Weltweit beschäftigen sich eine Reihe von Organisationen mit der längerfristigen Sicherung von analogen und digitalen Medienkunstwerken, so zum Beispiel die Daniel Langlois Foundation. Wegen des riesigen technologischen Aufwands, der bei der Archivierung von so unterschiedlichen Medienformaten wie Magnetbändern, VRML-Dateien, Bildplatten oder Unix-Programmen notwendig ist, müssen sie sich – wie zum Beispiel die Viable-Media-Initiative des Guggenheim-Museums – auf paradigmatische Restaurierungen beschränken. An die wohl schwierigste Aufgabe, die es im Bereich der Medienkunst gibt - die langfristige Sicherung von Netzkunst-Arbeiten - hat sich außer der Universitätsinitiative Netzkunstdatenbank noch gar niemand heran gewagt.

Die Sicherung von Medienkunst ist eine Herausforderung, mit denen sich Museen, Kunstsammlungen und Universitäten bis auf weiteres immer wieder aufs Neue beschäftigen werden müssen. Auch die vorbildliche Sicherung von Künstlervideos, die bei 40jahrevideokunst.de unternommen worden ist, wird nur eine temporäre Rettung sein. Das gilt leider gerade auch für die dem Katalog beigelegte DVD, die mit dem proprietären Programm Macromedia gestaltet wurde, dessen Hersteller auf Abwärtskompatibilität besonders wenig Wert legen.

In 20 Jahren, wenn DVDs wohl selbst zum obsoleten Medium geworden sind, könnten im ZKM vielleicht DVD-Player, PCs und iPods wie Medienungetüme aus einer fernen Zeit im „Labor für antiquierte Videosysteme“ stehen. Und die Edition „60jahrevideokunst.de“ wird auf einem USB-Stick als Schlüsselanhänger veröffentlicht.

40jahrevideokunst.de, Katalog mit DVD, hrsg. von Rudolf Frieling und Wulf Herzogenrath, 35 Euro. Für Bildungsinstitution ist eine DVD-Studienedition erhältlich, auf der alle ausgewählten Arbeiten in voller Länge enthalten sind.