Control Room

Der erste Dokumentarfilm über den Irak-Konflikt ist unaufgeregt - und weckt dennoch Emotionen

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In Sundance war das Publikum erschüttert. Weinend kamen die Zuschauer aus dem Kinosaal. Noch nie hatten sie solche Bilder gesehen. "In meinen 20 Jahren hier in Sundance habe ich noch nie so viele Diskussionen erlebt nach einem Film", sagt Geoff Gilmore, der Direktor des weltberühmten Indie-Festivals. Dabei zeigt der Film von Jehane Noujaim nichts anderes als das, was monatelang über die Bildschirme der arabischen Welt flackerte: Bilder vom Krieg im Irak, von verwundeten Zivilisten und toten Soldaten, von Politikern und Menschen auf der Straße. Bilder, die ausgestrahlt worden waren von al-Dschasira, dem einflussreichen arabischen Nachrichtensender, der seit 1996 insbesondere den Nahen und Mittleren Osten mit Nachrichten versorgt und für seine durchaus regimekritische Berichterstattung in diversen Staaten der arabischen Welt in Ungnade gefallen ist.

CentCom

Die Dokumentation Control Room verfolgt die Berichterstattung des arabischen Senders al-Dschasira während des Krieges zwischen den USA und Irak. Im Zentrum des Films steht der so genannte Control Room des Irak-Krieges, das Central Command Center der US-Armee in Irak, der Einfachheit halber 'Cent Com' genannt, wobei das auf englisch fast wie 'Sit Com' klingt. Eine unbeabsichtigte Assoziation, wobei das Zentrum von Militär und Medien durchaus Züge einer kleinen heilen Welt trägt, denn die meisten der hier arbeitenden Presse-Offiziere und Journalisten erlebten den Krieg nicht in Mosul, Bagdad oder Irkuk, sondern in ihren mit Hightech vollgestopften Büros, 20 Meilen von al-Dschasira und 700 Meilen von Baghdad entfernt.

Drei ganze Monate verbrachte Noujaims Team vor Ort. Ein Novum für al-Dschasira, denn die meisten Berichte über den Sender werden in maximal drei Tagen abgedreht. Mehr Zeit ist nicht drin im schnelllebigen Nachrichten-Geschäft. In den Blick genommen werden jedoch nicht nur die Macher von al-Dschasira, sondern auch die Presseleute der US-Armee sowie die internationalen Kollegen von BBC, NBC, CNN und Fox. Ausgewogen sollte er sein, der Film über die Berichterstattung jenes Senders, der selbst von wohlgesonnenen Amerikanern als voreingenommen bezeichnet wird.

Control Room von al-Dschasira

Josh Rushing zum Beispiel, Presse-Offizier des CentCom, hat eine Menge Respekt für die arabischen Kollegen, empfindet al-Dschasira insgesamt jedoch als tendenziös. Was die eigenen Anstrengungen angeht, der Berichterstattung den richtigen Dreh (spin) zu geben, behauptet er zunächst, stets nach dem Motto 'no spin' ('kein Dreh') zu handeln. Im nächsten Atemzug räumt er jedoch ein, dass es manchmal notwendig sei, etwas zu übertreiben - um die Dinge gerade zu rücken. Das Spiel mit der Wirklichkeit ist seine Berufung. Vor seinem Einsatz in Irak arbeitete Rushing als militärischer Drehbuchberater: Bei Kooperationen zwischen Hollywood und Militär achtete er darauf, dass das Militär nicht zu schlecht wegkam. Im Gegenzug erhielten die Filmemacher Zugriff auf militärisches Gerät. Inzwischen ist Rushing wieder in Hollywood - möchte das Militär jedoch verlassen und sein Glück als Schauspieler versuchen.

Medien und Propaganda, erklärt Sameer Khader, Senior Producer bei al-Dschasira, gleich zu Beginn des Films, stehen bei jedem modernen Krieg an erster Stelle. Ein Militärangehöriger, der diese Regel nicht befolge, sei ein schlechter Stratege. Natürlich steht er der US-amerikanischen Politik im Nahen und Mittleren Osten kritisch gegenüber, was ihn jedoch nicht daran hindern würde, einen Job bei Fox anzunehmen - falls man ihm einen anbieten sollte. Gerne würde er den arabischen Alptraum gegen den amerikanischen Traum eintauschen und seine Kinder zum Studieren in die Vereinigten Staaten schicken.

Auch die anderen Protagonisten sind hin- und hergerissen zwischen Vaterlands- und Wahrheitsliebe. Wobei die jüngeren Reporter nicht zuletzt an ihr eigenes Fortkommen denken müssen. Es sei nicht ganz einfach gewesen, die britischen und amerikanischen Berichterstatter vor die Kamera zu bekommen, sagt Jehane Noujaim nach einer kurzfristig anberaumten inoffiziellen Vorführung des Films auf der Berlinale. Hilfreich war nicht zuletzt die Transnationalität des Teams: die Regisseurin selbst ist halb ägyptisch, halb amerikanisch; Produzent und Kameramann Hani Salama ist halb ägyptisch, halb bosnisch. Damit waren die Filmemacher über den Verdacht der Parteinahme erhaben.

In der Tat kann man 'Control Room' nicht vorwerfen, einseitig zu sein. Vielmehr liefert der Film eine Chronologie der Ereignisse, angefangen vom Warten auf den Angriff seitens der Amerikaner bis hin zum Sturz der Statue von Saddam Hussein in Bagdad. Die vielleicht bewegendsten Aufnahmen zeigen den al-Dschasira-Korrespondenten Tarek Ayyoub, wenige Augenblicke, bevor er bei einem Luftangriff der Amerikaner auf den Sender al-Dschasira ums Leben kommt. Viele Kollegen weinen, als sie von seinem Tod erfahren, und bei der anschließenden Pressekonferenz sagt einer: "Wir alle könnten Tarek sein." Auch Sameer Khader ist betroffen, zu Tränen lässt er sich jedoch nicht hinreißen. "Wir müssen versuchen, die Arbeit fortzusetzen." Und manchmal auch Bilder zeigen, die weh tun. "Denn", erklärt al-Dschasira-Reporter Hassan Ibrahim, "die Amerikaner können uns bombardieren, aber sie können nicht erwarten, dass wir das auch noch gut finden."

Auf der Berlinale ist der Dokumentarfilm am Sonntag Abend, 8. Februar 2004, um 21 Uhr im CineStar 2 zu sehen. Noch sind alle Rechte zu haben - es wäre diesem Film zu wünschen, dass er seinen Weg ins Kino findet, bevor er auf den üblichen Doku-Sendeplätzen im Tagesrandgebiet verschwindet.