Corona-App: Datenspende mit langer Vorgeschichte
Öffentlich war bisher zur Bewältigung der Corona-Krise nur eine Tracing App angekündigt worden. Letzte Woche dann überraschte das Robert-Koch-Institut mit einer App, die Gesundheitsdaten an die Bundesbehörde übermitteln soll. Geplant waren sogenannte Datenspenden seit Langem
"Hände waschen, Abstand halten, Daten spenden" - So wirbt das Robert-Koch-Institut (RKI) seit dem 07. April bei Besitzern von Fitnessarmbändern und Smart-Watches für eine neue App zur Weiterleitung von Gesundheitsdaten. Die App übermittelt laut RKI pseudonymisiert folgende Daten an die Bundesbehörde: sofern in den Wearables schon gespeichert, Geschlecht, Alter, Gewicht, Körpergröße, des Weiteren Postleitzahl, Herzfrequenz, Schlaf-und Aktivitätsverhalten. Zukünftig soll es Möglichkeiten zur Angabe weiterer Daten geben.
Die Datensammlung diene dazu, Symptome zu erkennen, die "unter anderem" mit einer Corona-Infektion "in Verbindung gebracht werden". Dazu gehören laut RKI ein erhöhter Ruhepuls und ein verändertes Schlaf- und Aktivitätsverhalten. Die Daten sollen nach wissenschaftlicher Aufbereitung in eine Karte einfließen, welche die Verbreitung von "möglicherweise infizierten" Personen bis auf die Ebene der Postleitzahl visuell darstellt.
"Wissenschaftler aus ganz Deutschland sehen die Corona-Datenspende als wichtige ergänzende Maßnahme zur Eindämmung des Virus", heißt es auf der eigens für die App neu eingerichteten Internetseite corona-datenspende.de. Mit seiner Datenspende ermögliche der App-Nutzer, "die Dunkelziffer der Infizierten drastisch zu verringern", wird ein Wissenschaftler des RKI zitiert. Die Informationen seien für Epidemiologen "unglaublich wertvoll".
Die App erkennt keine Corona-Infizierten. Die Daten brauche man für eine "präzise Einschätzung der aktuellen Verbreitungsgebiete und Vorhersagen über künftige Infektionsketten", heißt es erläuternd in der App-Beschreibung selbst. Mehr noch, die App-Nutzer hätten die Möglichkeit, "damit Leben zu retten".1
Der Wunsch, einen Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise zu leisten und durch Nutzung der App zu helfen, spiegelt sich dann auch in vielen positiven Nutzer-Bewertungen wider. Das RKI spricht von einer "überwältigenden Resonanz […]. Herzlichen Dank."
So überraschend der Vorstoß des RKI für die meisten Menschen auch war (Gegenstand der öffentlichen Debatte war bisher immer die Planung einer Tracing App gewesen), die Idee einer sog. Datenspende ist nicht neu.
Bereits Ende 2017 empfahl der Deutsche Ethikrat, dessen Mitglieder je zur Hälfte von der Bundesregierung und dem Bundestag ausgewählt werden, sog. Datenspenden. In seiner Stellungnahme "Big Data im Gesundheitswesen. Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung" rät er, anstelle der informierten Einwilligung mit ihrer "engen Zweckbindung" rechtliche Möglichkeiten zu schaffen, die es "Individuen erleichtern, die umfassende Nutzung ihrer Daten für die medizinische Forschung zu erlauben ('Datenspende')".
"Für den Ethikrat spielt in diesem Zusammenhang auch der Gedanke der Solidarität eine große Rolle", hatte der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Peter Dabrock in einem Interview erläutert. "Wir brauchen eine Transformation des alten informed consent, also der informierten Einwilligung."
Dieser Solidaritätsansatz geht v.a. zurück auf Alena Buyx (seit 2016 Mitglied des Deutschen Ethikrates) und Barbara Prainsack. Mit Blick auf die mit Big Data verbundenen datenschutzrechtlichen Fragen in Forschungsbiobanken hatten die beiden Autorinnen bereits 2013 dafür plädiert, die Freigabe von Daten und Körperproben nicht allein unter der Perspektive individueller Autonomie zu betrachten, sondern dem menschlichen Bedürfnis entsprechend den Fokus stärker auf die Betonung einer gemeinsamen solidarischen Mission mit Werten und Zielen zu lenken.
Solidarität wird dabei definiert als Ausdruck der Bereitschaft von Menschen, "Kosten" zu akzeptieren, "um andere zu unterstützen". In datenschutzrechtlicher Hinsicht könnten solche Kosten dann den freiwilligen Verzicht auf einen Teil des Datenschutzes bedeuten, z.B. den Verzicht darauf, genau kontrollieren zu können, was mit den eigenen Daten/Körperproben in Zukunft geschehen wird. Eine solche Vereinbarung müsse transparent und ohne Manipulation erfolgen.
Im April 2018 veröffentlicht die Bertelsmann Stiftung im Rahmen ihres Projekts "Der digitale Patient" eine Handlungsempfehlung, die im Zusammenhang mit den für Big Data erforderlichen großen Datenmengen die Notwendigkeit betont, mittels eines "Konstruktes der freiwilligen Datenspende" dem Misstrauen der Bürger gegenüber der Freigabe von sensiblen Gesundheitsdaten "kommunikativ zu begegnen". Damit könnten zugleich auch "strukturelle Hürden" abgebaut werden, die sich aus datenschutzrechtlichen Anforderungen wie der engen Zweckbindung der Datenverarbeitung ergäben.
Ebenfalls im April 2018 kritisiert zu Beginn seiner Amtszeit der neue Gesundheitsminister Jens Spahn auf der Medizin-IT-Messe ConHIT "übertriebene Datenschutzanforderungen" und spricht sich für die Möglichkeit einer "Big Data-Datenspende" aus.
Im Dezember 2018 auf der E-Health-Konferenz der CDU/CSU bekräftigt Spahn sein Vorhaben. Im September 2019 fordert die CDU schließlich vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von KI-Techniken "Datenspenden". In der vom Bundesverband beschlossenen "Digitalcharta" heißt es auch, man wolle "weg von der Datensparsamkeit hin zur Datensouveränität". Diese Aussage wird dann in der im November 2019 auf dem CDU-Parteitag beschlossenen Fassung umformuliert: "Wir rücken den Ansatz der Datensouveränität in den Mittelpunkt für die Weiterentwicklung des Datenschutzrechts."
Nach dem Deutschen Ethikrat, der Bertelsmann Stiftung, dem Bundesgesundheitsminister und der CDU spricht sich auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) für sog. Datenspenden aus. Mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, Menschenleben zu retten, kritisiert er im Dezember 2019 datenschutzrechtliche Hürden bei der Nutzung von KI-Techniken. "Die Datenspende muss ein Bestandteil des zweiten Digitale-Versorgung-Gesetzes sein, welches das Bundesgesundheitsministerium Anfang 2020 vorlegen will", fordert ein Mitglied der Hauptgeschäftsführung des BDI im Gespräch mit dem Handelsblatt.2
In dem am 1. April vom Kabinett beschlossenen Entwurf für das zweite Digitale-Versorgung-Gesetz ist dann die Möglichkeit einer sog. Datenspende enthalten. Das Gesetz trägt den Namen "Patientendaten-Schutz-Gesetz". Am 07. April schließlich ruft der Leiter des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler dazu auf, Wissenschaftler bei der Bewältigung der Coronakrise mit "Datenspenden" zu unterstützen: "Wir wünschen uns, [...] dass Wissenschaftler und Bürger hier zusammenarbeiten."
Am selben Tag veröffentlicht die Bertelsmann Stiftung in ihrem Artikel "Wie Bürger durch Datenspenden zur Corona-Virus-Forschung beitragen können" ein Interview eines Experten der Bertelsmann Stiftung mit einer Expertin einer Expertengruppe der Bertelsmann Stiftung über Möglichkeiten der "Datenspende".
Die große Bedeutung der vom RKI nun eingeführten "Corona-Datenspende-App" liegt sicherlich in ihrer Akzeptanz stiftenden Wirkung. Im Angesicht einer Gesundheitskrise solchen Ausmaßes werden auch Menschen, die kein Fitnessarmband und keine Smart Watch besitzen und der Offenlegung von Gesundheitsdaten bislang misstrauisch gegenüber standen, eher bereit sein, ihre datenschutzrechtlichen Bedenken grundsätzlich zu hinterfragen.
So klar der Aspekt der Solidarität bei der Nutzung der App auch herausgestellt wurde, so unklar bleiben aber viele konkrete datenschutzrelevante Aspekte.
Eine Auswahl davon hat der Europaabgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) zusammengetragen. In seinem Schreiben an das Robert-Koch-Institut bittet er um die Beantwortung von 11 Fragen u.a. zur Datensicherheit, zur verarbeiteten Datenmenge und zum möglichen Zugriff auf die Daten.
Auch die diplomatisch formulierte Stellungnahme des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber (SPD) spiegelt eine Reihe ernster Bedenken wider, v.a. hinsichtlich des unterschiedlichen Datenschutzniveaus verschiedener Hersteller von Fitnesstrackern und Smartwatches, aber auch hinsichtlich der Erfüllung von Informationspflichten des Robert-Koch-Instituts (eindeutige und widerspruchsfreie Information über den Zweck der Datennutzung und Information über die genaue Speicherdauer).
Man muss jetzt abwarten, wie das Robert-Koch-Institut auf die Kritik reagiert. Gesundheitsdaten zur Verfügung zu stellen, kann für die medizinische Forschung von großem Nutzen sein. Und das war auch bisher schon unter Beachtung von wichtigen datenschutzrechtlichen Grundsätzen (informierte Einwilligung, Zweckbindung, Datensparsamkeit) möglich.
In welchem Zusammenhang aber die Einführung des "Konstruktes der freiwilligen Datenspende" mit dem Bestreben steht, solche Datenschutzstandards in Zukunft abzusenken, muss wohl noch genauer analysiert werden.