Corona: Dialektik von Versagen und Kontrolle?
Es scheint, dass die Forderungen nach Einschränkungen umso lauter werden, je deutlicher wird, welche Fehler die Politik macht
Gestern forderte Uwe Brandl, der Präsident des Bayerischen Gemeindestages, im Bayerischen Rundfunk "mehr Mut", um die "digitalen Möglichkeiten" zur Kontrolle der Einhaltung einer Vorschrift zu nutzen, die Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der 16 deutschen Bundesländer letzte Woche beschlossen haben: Der mit 500 Euro Bußgeld bewehrten Vorschrift, dass sich Bewohner von Landkreisen, in denen es in den letzten sieben Tagen mehr als 200 positiv ausgefallene Sars-CoV-2-Tests pro 100.000 Einwohner gab, nicht mehr als 15 Kilometer von ihren Wohnorten entfernen dürfen.
Alleine in Bayern betrifft das 28 Landkreise und kreisfreie Städte. In vielen davon konzentrieren sich die Positivtests vor allem auf einzelne Altersheime.
"Hört sich irgendwie nach Menschenrechtspartner China an, ist aber CSU"
Konkret schlägt Brandl vor, "Bewegungsprofile aus den Handys aus[zu]lesen und auf diese Weise sehr treffsicher fest[zu]stellen, wo sich die Menschen aufhalten". Die Ankündigung des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann, die 15-Kilometer-Regel durch Polizeikontrollen mit dem Schwerpunkt auf "beliebte Ausflugsorte" zu überwachen, hält der Bürgermeister der Gillamoos-Stadt Abensberg wegen der "begrenzten Ressourcen" der Polizei für nicht ausreichend.
Die twitterbekannte Juristin Barbara Brandner meinte dazu: "Hört sich irgendwie nach Menschenrechtspartner China an, ist aber CSU." Unter anderen Rechtswissenschaftlern fiel das Echo auf den Vorstoß des Mitglieds im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks ähnlich aus. Auch die bayerische Staatsregierung erteilte ihm mit dem Hinweis auf "durchgreifende rechtliche Bedenken" und die "Reihe triftiger Gründe […], die betroffenen […] Bürgern das Verlassen des 15-Kilometer-Bereichs erlauben" eine Absage.
Söder will Impfpflicht für Pflegekräfte "diskutieren"
Keine Absage gibt es dagegen für die Forderung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, über eine Impfpflicht für Pflegekräfte zu "diskutieren", obwohl BionNTech-Chef Uğur Şahin frühestens für Ende Januar mit Erkenntnissen dazu rechnet, ob Geimpfte das Sars-CoV-2-Virus an Dritte weitergeben oder nicht. Geben sie es weiter, könnte eine Impfpflicht für das Pflegepersonal sogar kontraproduktiv sein, weil dann mögliche Symptome als Warnsignal wegfallen.
Hinzu kommt, dass die Forderung zu einer Zeit geäußert wird, in der in Deutschland so wenig Impfstoff zu Verfügung steht, dass Hochbetagte in Landkreisen wie Dachau und München auch dann keine Termine für eine Impfung bekommen, wenn sie sich dafür extra das geforderte Mobiltelefon zulegen. Das liegt aber nicht daran, dass der von der Bundesregierung erdachte Prioritätsplan Verfassungsrechtlern zufolge "rechtswidrig und damit nichtig", ist, sondern an einem Mangel an Impfstoff.
"Erstmal McKinsey und SAP beauftragen, ein datenschutzkonformes Anmeldesystem zu konzipieren und zu programmieren, das einen zweistelligen Millionenbetrag kosten würde und etwa im Hochsommer fertig wäre"
Dessen Beschaffung hatte die deutsche Bundesregierung an die EU-Kommission delegiert, die bei ihrer Bestellung großer Mengen des gescheiterten französischen Sanofi-Serums nicht nur nach Entwicklungschancen geurteilt haben könnte, sondern auch nach einem informellen nationalen Quotensystem. Dass vom ersterfolgreichen Impfstoff von BioNTech und Pfizer weniger bestellt wurde, als die deutsch-amerikanischen Kooperation anbot, könnte den Spekulationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach damit zu tun haben, dass die Bundesregierung um keinen Preis den Eindruck der Bevorzugung eines deutschen Unternehmens erwecken wollte.
Hinzu kommen weitere Hindernisse wie der Verfall von Impfdosen durch abgesagte Termine. In Italien, das beim Impfen deutlich besser dasteht als Deutschland (vgl. Italien lässt Cafés und Restaurants wieder öffnen), kann man sich für übrige Dosen aus abgesagten Terminen wie bei Standby-Flügen registrieren lassen - in Deutschland müsste man dafür einer sarkastischen Auskunft des Cottbusser Volkswirtschaftsprofessors Jan Schnellenbach nach "erstmal McKinsey und SAP beauftragen, ein datenschutzkonformes Anmeldesystem zu konzipieren und zu programmieren, das einen zweistelligen Millionenbetrag kosten würde und etwa im Hochsommer fertig wäre".
Sind die Deutschen zu blöd, sich ein Wattestäbchen in die Nase zu stecken?
Ähnliche Probleme gibt es bei den Sars-CoV-2-Schnelltests, die in Deutschland ausschließlich "geschulte Personen" kaufen dürfen. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat solche Tests dagegen auch für den Privatgebrauch zugelassen. Und in der Neuen Zürcher Zeitung kam man zum Ergebnis, dass eines der zahlreichen YouTube-Videos dazu auch für Laien vollauf reicht, um sich das Wattestäbchen richtig in die Nase zu stecken.
Wegen des Verbots müssen Deutsche mit Symptomen zu einem Arzt gehen, der einen Abstrich an ein Labor schickt. Liegen Wochenenden oder Feiertage dazwischen, können gut und gerne mehrere Tage vergehen, bis Getestete ein Ergebnis erfährt. In dieser Zeit kann er andere Personen anstecken. Zudem ist die Hemmschwelle, sich dieser Prozedur und der damit verbundenen öffentlichen Kenntnisnahme auszusetzen, sehr viel höher als bei einem etwas weniger zuverlässigen, aber anonymen Antigen-Schnelltest.
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