Corona: Drosten rechnet fest mit neuen Beschränkungen im Herbst

Auch Geimpfte können sich nicht darauf verlassen, dass sie davon ausgeschlossen bleiben

Es werde keinen Lockdown mehr geben, hieß es im Herbst 2020. Im November folgte dann ein "Teil-Lockdown".

Der Herbst 2021 ist ein neues Kapitel, so der bayerische Ministerpräsident und Beinahe-Kanzlerkandidat Markus Söder. Zumindest für Bayern, so stellte es Söder in Aussicht, werde es "einen neuen Lockdown oder Beschränkungen, wie wir sie hatten", definitiv nicht mehr geben.

Für Geimpfte und Genesene werde es im Herbst keinen weiteren Lockdown geben, so Bundesgesundheitsminister Spahn am Montag letzter Woche.

Christian Drosten stellt dem etwas abweichende Aussichten entgegen. Von "Lockdown" will der Leiter der Virologie der Berliner Charité im Interview mit dem Deutschlandfunk nicht reden, aber von Maßnahmen, die nötig werden könnten. Er bezieht sich dabei auf Szenarien, die das RKI in seinem Papier "Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22" modelliert hat.

Eine Nebenannahme in der aktuellsten Version ist: Wir werden gegen Anfang Oktober eine 10-prozentige Kontaktreduktion und gegen Anfang November eine 30-prozentige nochmalige Kontaktreduktion brauchen, angesichts der erwartbaren Lage in den Krankenhäusern. Da schwingt schon deutlich mit, dass durchaus davon ausgegangen wird, dass man nicht ohne weitere Maßnahmen, die in Deutschland ja relativ schnell in der Öffentlichkeit leichtfertig als Lockdown bezeichnet werden, was sie nie gewesen sind in diesem Sinne, wenn man das in anderen Ländern anschaut …

Christian Drosten, Deutschlandfunk

Für Söder reicht es, dass fast 60 Prozent aller Bayern doppelt gegen das Virus geimpft sein sollen, um von einem neuen Kapitel in der Pandemie zu sprechen. Drosten reichen solche Zahlen bei Weitem nicht. Und er deutet vorsichtig an, dass es auch anders laufen könnte, als es Gesundheitsminister Spahn verspricht, wonach Geimpfte von neuen Maßnahmen ausgeschlossen sein werden.

Maßnahmen auch für Geimpfte?

Der Virologe rechnet fest mit Anti-Corona-Beschränkungen im Herbst. Zugleich kommt er darauf zu sprechen, dass die Geimpften "nach ein paar Monaten, nach vier, fünf, sechs Monaten deutlich den Übertragungsschutz verlieren". Sie können sich anstecken und das Virus übertragen, wie Drosten erklärt.

Das heißt, die haben nicht nur RNA-Viruslast, sondern nach neuesten Daten durchaus auch isolierbares Virus in ihren Atemwegen. Und es ist so: Die Infektiosität im Hals, die wird durch die Impfung nach ein paar Monaten nach der Impfung, nach einer Latenzzeit nicht mehr unterbunden, sondern nur verkürzt. Das heißt, da ist doch ein Effekt, und diese Verkürzung ist aber vielleicht …

Christian Drosten, Deutschlandfunk

Er wird an dieser Stelle von der Interviewerin unterbrochen: "Um das richtig zu verstehen. Sie meinen, Kontaktbeschränkungen, Maßnahmen auch für Geimpfte?"

Darauf will sich Drosten, der mit Medien schwierige Erfahrungen gemacht hat, nicht zitierreif einlassen. Er weicht aus, spricht darüber, dass die Impfgeschwindigkeit in Deutschland nicht hoch genug ist und die Annahmen des RKI dazu "zu optimistisch". Das RKI-Modell müsse eigentlich nachgepflegt werden. Er selbst wolle keine politischen Empfehlungen geben oder politische Leitlinien kommentieren.

Erst als Sandra Schulz vom Deutschlandfunk noch einmal nachhakt, ob es aus "virologischer Sicht" Sinn ergebe, auch solche Maßnahmen zu treffen, die Geimpfte einschränken, wird Drosten kurz etwas deutlicher, um aber sogleich wieder auf die Impfquote zu sprechen zu kommen.

Ja, wir werden nach Auffassung dieser Modellierung natürlich gesamtgesellschaftlich die Zahl der Kontakte wieder einschränken müssen. Das ist ganz klar. Die Infektionslast, die steigt im Herbst. Ich will aber nicht so stark jetzt eigentlich sagen, wir brauchen Kontaktbeschränkungen für Geimpfte. Ich will eigentlich etwas ganz anderes sagen, und zwar: Wir müssen unbedingt gesamtgesellschaftlich an der Impfquote arbeiten.

Christian Drosten, Deutschlandfunk

Bei der Delta-Variante zählen nur die vollständig Geimpften und die 61 Prozent, die Deutschland derzeit vollständig geimpft seien, und die 83 Prozent in der gefährdeten Altersgruppe über 60, das reiche "überhaupt nicht aus".

England

"Herausimpfen" könne man sich laut Drosten nur mit einer Impfquote, "die im Bereich von 90 Prozent und höher liegt in der Gesamtbevölkerung". Wie man das schaffen kann, darauf hat Drosten keine Antwort. Nur die Sicht, wonach es bei der Wirksamkeit dieser Impfstoffe vollkommen möglich sei, dass man sich "gesamtgesellschaftlich rein technisch auf dieses Niveau begebe".

England, so Drosten, sei weiter, weil es einen hohen Preis bezahlt habe.

Wir haben auch Beispiele von Gesellschaften, wo das eine andere Perspektive hat für den Herbst. Schauen wir uns England an: Dort hat man Impfquoten, die vielleicht im Bereich je nach Altersgruppe von fünf oder knapp zehn Prozent höher sind als in Deutschland. Aber es gibt noch was anderes, und zwar man hat dort ja viele Fälle gehabt. Die wurden wirklich auch erkauft zu dem Preis vieler Verstorbener.

Aber darüber haben wir jetzt doch in den Erwachsenen eine Seroprävalenz, entweder genesen oder geimpft, von knapp 95 Prozent. Das ist natürlich eine gute Aussicht.

Christian Drosten, Deutschlandfunk