Corona: Gemeingefährlich können auch Virologen sein

Manche Ratschläge prominenter Politikberater sind nicht nur falsch, sondern kriminell - Ein Kommentar

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Es ist offenkundig, dass die Regierung und die zuständigen Behörden es verschlafen haben, für den Fall einer Pandemie ausreichend Atemschutzmasken zu bevorraten. Das gilt im Besonderen für das medizinische Personal, aber auch für die Gesamtbevölkerung. Nur wenige Politiker hatten bisher den Mut, dieses Versäumnis zuzugeben. Das Kleinreden des Skandals durch das dreiste Leugnen der Wirksamkeit der Masken treibt aber immer wildere Blüten - und reitet uns tiefer in die Krise, als nötig wäre.

Über die europäische Ignoranz und Arroganz, nicht von Asien zu lernen, kann man nur den Kopf schütteln. Es gibt kein einziges Land auf der Welt, das den Ausbruch eingedämmt hat, ohne dass die Bevölkerung Gesichtsmasken trug. Es wäre Zeit, China um diese Masken zu bitten. Angeblich lag sogar ein Angebot vor.

So kommen wir noch nicht weiter

Es ist auffällig, dass der totale Lockdown in Europa die Infektionsraten noch nicht stärker zurückgedrängt hat. Die Zahlen steigen, obwohl kaum jemand mehr Hände schüttelt oder den anderen anhustet. Wie bereits erwähnt, breitete sich das SARS-Virus über die Außenluft aus, Corona möglicherweise bei Sport im Freien. Ein Webasto-Mitarbeiter erkrankte, nachdem er Rücken an Rücken mit einem Infizierten in der Kantine saß, wobei einmal ein Salzstreuer gereicht wurde. Der Infektionsweg über die Luft, durch normales Ausatmen, könnte unterschätzt worden sein - sogar der nicht gerade wissenschaftsaffinen US-Administration wird das gerade erklärt. Wie anders als durch Filterung der Atemluft soll denn die Eindämmung gelingen?

Prominente Virologen (die dadurch keineswegs zu besonderen Experten der Epidemiologie oder Hygiene werden) scheuen sich nicht, sich vor die TV-Kameras zu stellen und zu behaupten, es gäbe keine Evidenz für die Wirkung der Masken. Dabei haben sie schlicht ihre Hausaufgaben nicht gemacht, was viele praktizierende Ärzte empört:

Effectiveness of precautions against droplets and contact in prevention of nosocomial transmission of severe acute respiratory syndrome (SARS).

Physical interventions to interrupt or reduce the spread of respiratory viruses.

Face shields for infection control: A review.

Sourcing Personal Protective Equipment During the COVID-19 Pandemic.

Efficacy of Face Shields Against Cough Aerosol Droplets from a Cough Simulator

Schaulaufen der Virusversteher

Nachdem Christian Drosten die Nützlichkeit der Masken lange bestritten hatte und durch seine zahlreichen Kehrtwenden allmählich medial verschlissen ist, verkündet nun ein neues Gesicht, Prof. Hendrik Streeck, die alten Fake News: Die Maske sei nur hilfreich, wenn sie der Infizierte trägt, ab min 6:20). Seine Argumentation ist dabei intellektuell so dünn, dass er sogar von Markus Lanz an die Wand gedrückt wird und einräumen muss, der tiefere Grund liege wohl darin, dass man keine Masken habe. Lanz: "Dann muss man das doch mal so sagen!?" (8:20). Ja. Übrigens, Streecks kurze Antwort auf die Frage nach einem Austausch mit chinesischen Kollegen: "Nein, gibt's nicht" (min 24:00). Es ist unfassbar.

Mit den gleichen Wissenslücken, aber dafür umso selbstbewusster, gefällt sich der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit als starker Mann mit klarer Ansage in einem Interview mit Caren Miosga. Auf die Frage nach dem Nutzen von Masken beruft er sich zunächst auf die WHO, die natürlich Chaos auf der ganzen Welt befürchtet, würde man zugeben, dass die fehlenden Masken bitter nötig sind. Faktenwidrig behauptet er, es gebe keine Evidenz für den Nutzen von Masken. Aber selbst die Richtigkeit unterstellt, ist damit die Nutzlosigkeit gerade nicht belegt. Nassim Taleb bezeichnet diesen Denkfehler treffend als mistaking absence of evidence for evidence of absence, seiner Ansicht nach ein typischer Fehler von "academics" ohne Bezug zur realen Welt.

Aufruf zur Volksdurchseuchung

Man halte sich die Absurdität der Behauptung vor Augen, die Maske schütze, wenn der Infizierte sie trägt, aber nicht umgekehrt: Der Maskenstoff wäre dann also dann von rechts nach links für Tröpfchen durchlässig, aber nicht von links nach rechts? Natürlich gibt es keinen perfekten Schutz, aber es ist epidemiologisches Grundwissen, dass auch kleine Reduzierungen der Ansteckungswahrscheinlichkeit über Fortlaufen oder Stoppen einer Epidemie entscheiden können (nette Veranschaulichung).

Zur Einordnung der Expertenmeinungen in der Corona-Krise ist nicht nur Nasim Talebs Klassiker der schwarze Schwan zu empfehlen, sondern auch das Kapitel "The Intellectual yet Idiot" aus seinem Buch "Skin in the Game". Denn zur absoluten Hochform läuft Schmidt-Chanasit auf, als Miosga nachbohrt. Die Diskussion sei fehlgeleitet, denn "wir müssen ja letztendlich für eine langsame Durchseuchung der Bevölkerung sorgen […] es müssen Infektionen stattfinden, in dem Maße, in dem sie unser Gesundheitssystem verkraften kann".

Ohne Maske bleibt dem Zuschauer hier der Mund gefährlich weit offen stehen. Nassim Taleb hatte auch schon dem Durchseuchungs-Befürworter Boris Johnson "Skin in the Game", also eine Selbstinfektion empfohlen. Dem kann man sich bei Schmidt-Chanasit nur anschließen, am besten als Pfleger ohne Schutzkleidung in einer COVID-19 Klinik. Denn einem Arzt, der wider jede medizinische Ethik eine Gesellschaftsdurchseuchung propagiert, gehört schnellstens die Approbation entzogen. Um diesen Vorgang anzustoßen, hat der Autor gegen Schmidt-Chanasit Strafanzeige erstattet. Denn das Herbeiführen einer Infektion mit einem Krankheitserreger ist eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB), und die öffentliche Aufforderung dazu nach § 111 StGB ebenfalls strafbar.

Zum Abschluss, für den müden Corona-Medienkonsumenten hier noch ein entspannendes Zitat von Thomas Mann:

Selbstverständlich macht der ärztliche Berufsstand von anderen keine Ausnahme darin, dass seine Angehörigen ihrer überwiegenden Mehrzahl nach gewöhnliche Hohlköpfe sind, bereit, zu sehen, was nicht da ist, und zu leugnen, was auf der Hand liegt.

Felix Krull

Es sei aber hier ausdrücklich auf die eingeschränkt, die im Fernsehen auftreten.

Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch "Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur - Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten" erschien 2019 im Westend-Verlag.

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