Corona-Gesetze: "So etwas in sieben Jahren Bundestag nicht erlebt"
Seite 2: "Man hat es akzeptiert, dass ich so abstimme"
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Jetzt will ich noch einmal zurück zum 18. November. Also es war bekannt, dass Sie gegen das Gesetz stimmen. Welche Reaktionen gab es in Ihrer Fraktion?
Marcus Held: Na ja, man hat schon einige Gespräche auch mit Kolleginnen und Kollegen geführt und hat den Eindruck gehabt, dass es sehr unterschiedliche Positionen dazu gegeben hat auch in der Fraktion, auch in anderen Fraktionen.
Wahrscheinlich auch aufgrund der Tatsache, dass eigentlich alle Abgeordneten, auch in ihren Wahlkreisen und in ihrem Umfeld, unterschiedliche Positionen vermittelt bekommen haben. Ich habe mein Abstimmungsverhalten, über das wir inhaltlich gerade gesprochen haben, auch gegenüber der Fraktionsführung so schriftlich begründet und bekam da jetzt keine Drohgebärden und auch keine, wie soll ich es ausdrücken, keine Angriffe im Sinne von Fraktionszwang. Man hat es akzeptiert, dass ich so abstimme.
Und umgekehrt: Gab es auch unterschwellige Ermunterungen oder Befürwortungen?
Marcus Held: Es gab einige Kolleginnen und Kollegen, insbesondere welche, die nicht an der Abstimmung teilgenommen haben, die schon zum Ausdruck gebracht haben, dass sie eigentlich ähnlich abstimmen würden wie ich, wenn sie nicht das Ziel hätten, noch mal für den Bundestag kandidieren zu wollen.
Aber Namen können Sie keine nennen?
Marcus Held: Natürlich nicht. (lacht)
In der SPD-Fraktion gab es eine Gegenstimme, die kam von Ihnen, zwei Enthaltungen und 15 nicht abgegebene Stimmen. Heute wissen wir, dass es 49 Nicht-Zustimmungen gab in diesen drei Parteien CDU, CSU und SPD. Das heißt, die Regierung hätte keine Mehrheit gehabt. Es war knapp, im Prinzip hat eigentlich jede Stimme gezählt. Und trotzdem hat man Sie dagegen stimmen lassen?
Marcus Held: Ich glaube, dass die Abstimmung nie in Gefahr stand durchzukommen, weil ja auch sehr früh von den Grünen signalisiert wurde, dass es überwiegend Zustimmung geben wird. Das war auch in den Gesprächen im Vorfeld eigentlich allen klar, dass das Gesetz in jedem Fall durchlaufen wird.
Also der Flurfunk hat verkündet: Die Grünen werden zustimmen?
Marcus Held: Ja. Das war klar signalisiert worden.
Rechnerisch "keine aktive Mehrheit in der Koalition"
Dieses Abstimmungsergebnis wird in dieser Klarheit nicht kommuniziert. Die Tagesschau hat nur berichtet, der Bundestag habe mit großer Mehrheit für das Infektionsschutzgesetz gestimmt. Ich finde, dass es bedeutend ist, festzustellen, dass die Regierung Merkel keine eigene Mehrheit hatte, weil es einen ganz anderen politischen Blick auf die Atmosphäre im Land wirft.
Marcus Held: Das kann man durchaus so sehen. Weder davor noch danach wurde über die Frage tiefergehend diskutiert. Ich weiß noch, insbesondere in der Schröder-Zeit, wie man auf jeden Abgeordneten geguckt hat und es immer wichtig war, eine Kanzler-Mehrheit aus der eigenen Koalition zu haben.
Da wurden teilweise Leute, auch bei Kohl in der letzten Periode, aus dem Krankenhaus zur Abstimmung geholt. Aber diese Dramatik gab's nicht annähernd. Aber wie Sie sagen: Es gab eben keine aktive Mehrheit in der Koalition, das ist richtig, mathematisch richtig.
An dem Tag, 18. November, gab es Demonstrationen in Berlin an verschiedenen Stellen. Vor dem Brandenburger Tor hat sich dann auch ein Drama abgespielt: Da waren Tausende von Leuten versammelt und später kam es dann zu einem Wasserwerfereinsatz. Hat man denn im Bundestag wahrgenommen, was da draußen vor sich geht?
Marcus Held: Also es war an dem Tag schon bedrückend, da ja auch mehr oder weniger eine Abriegelung des Bundestages und des Regierungsviertels stattgefunden hat. Allein dadurch war es schon bedrückend. Ich habe das in den mehr als sieben Jahren Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag in der Form nie, auch nicht annähernd, erlebt, dass tatsächlich so eine Abriegelung stattgefunden hat, von der man auch nicht wusste, was sie so richtig zu bedeuten hatte.
So habe ich mich zumindest gefühlt. Es gab mal das ein oder andere Gespräch auf dem Flur oder beim Kaffee, dass wohl der ein oder andere Kollege jemanden kennt, der auch da draußen demonstriert, aber so richtig tiefer gehend darüber gesprochen hat man nicht.
Abriegelung heißt was genau?
Marcus Held: Na ja, bei der Einfahrt musste man sich natürlich ausweisen. Die Fahrer des Bundestages mussten eine Strecke nehmen, wohl auch aus Sicherheitsgründen, dass eben die Erreichbarkeit des Parlaments gewahrt gewesen ist.
Aber raus durfte man?
Marcus Held: Auch nicht überall. Raus durfte man, aber die Fahrtwege waren auch eingeschränkt.
Sie sind mit Ihrem Büro in einem Bundestagsgebäude, das nicht unterirdisch verbunden ist mit dem Reichstagsgebäude, mit dem Paul-Löbe-Haus, sondern Sie müssen, wenn Sie zur Abstimmung gehen, auf die Straße raus.
Marcus Held: Richtig.
Die Demonstranten vor der Polizeikette
Welche Erfahrung haben Sie da gemacht?
Marcus Held: Von hier Unter den Linden 50 zum Reichstagsgebäude sind es zu Fuß gut fünf Minuten. Und nach der Abstimmung bin ich dann, wie ich es gewohnt bin, Richtung Büro gegangen. An der Ecke des ARD-Hauptstadtstudios war eine Hundertschaft aus Niedersachsen positioniert, die mich zunächst darauf hingewiesen hat, dass ich dort nicht raus dürfe, ich sei gefährdet, wenn ich dort rausgehen würde. Ich habe dem widersprochen und habe gesagt, ich möchte aber gerne raus, habe auch entsprechend meinen Ausweis gezeigt, und der vorgesetzte diensthabende Beamte hat dann entschieden, dass ich aus dieser Polizeikette raus durfte.
Der Grund war, dass eben vor dieser Polizeikette demonstriert wurde. Das liegt eben auf meinem Weg, warum sollte ich an dem Tag einen anderen Weg nehmen? Ich habe ja keine Angst davor, auch gegebenenfalls mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, weil ich nicht aus der Entfernung wahrgenommen habe, dass es um irgendwelche Gewalttätigkeiten gehe.
Ich habe dann tatsächlich die restlichen wenige Hundert Meter bis zum Büro fast zweieinhalb Stunden gebraucht, weil ich einfach mit sehr sehr vielen Menschen ins Gespräch gekommen bin. Ich bin bei einer anderen Demo, die im Sommer stattgefunden hat...
Darf ich kurz nachfragen: Für die Menschen, mit denen Sie ins Gespräch kamen, war klar, Sie sind Bundestagsabgeordneter?
Marcus Held: Für die war es offenbar deshalb klar, weil der Ring der Hundertschaft geöffnet wurde und ich dort rausgegangen bin. Und da haben mich viele gefragt: Was machen Sie, wo kommen Sie her? Da habe ich gesagt, ich bin Abgeordneter, ich war bei der Abstimmung. Und dadurch haben sich natürlich gleich Menschentrauben gebildet und wurden Fragen gestellt.
Ich habe dann gesagt, dass ich der SPD-Fraktion angehöre und da kam sehr sehr viel Unterstützung und sehr positive Reaktionen, vor allem von vielen älteren Menschen, die da demonstriert haben. Die haben gleich gesagt, sie sind immer schon SPD-Wähler und der Willy Brandt müsste in der Gegenwart da sein und andere Erfahrungen, die viele gemacht haben. Und sie wollten dann eben auch wissen, warum ich wie abgestimmt habe.
Ich habe es dann auch begründet, so wie ich es in meiner Stellungnahme, über die wir eben gesprochen haben, begründet habe. Und das fanden viele derer, die dort demonstriert haben, gut, weil sie einfach ein Stück weit Bedenken hatten, teilweise auch anders gelagerte Bedenken, sehr unterschiedlich gelagerte Bedenken.
Aber vor allem haben sie sich gewünscht, dass man einfach intensiver über diese inhaltlichen Fragen ins Gespräch kommt und mit denen auch offener umgeht.
Waren Sie überrascht über die politischen Positionen, die diese Demonstranten vertreten haben?
Marcus Held: Ich war deshalb sehr überrascht, weil ich ja auch aus den Medien immer wieder gehört habe, dass dort vor allem rechtsextremes Gedankengut sich versammelt. Es waren einige Berliner, es waren Menschen aus Baden-Württemberg, mit denen ich gesprochen habe, aus Sachsen, aus Oberhessen eine Gruppe, an die ich mich noch erinnere. Es waren alles Bürgerinnen und Bürger wie du und ich.
Wie gesagt, viele ältere Menschen auch, über 60, die gesagt haben, sie wollen auch für die Zukunft ihrer Kinder und Enkel hier demonstrieren und haben das als junge Menschen schon getan, in den 68ern, haben mir einige erzählt. Und das hat mich schon überrascht, dass es dort zumindest ganz andere Menschen waren, als die, die mir bis dato aus den Medien vermittelt wurden.
"Ins Grübeln gebracht"
Ich hatte Sie unterbrochen, Sie wollten von einer anderen Demonstration in diesem Zusammenhang berichten.
Marcus Held: Ja, im Sommer, das war der Tag nach dieser einen großen Demo, habe ich jemanden abgeholt und in der Lobby dieses Hotels hier in Mitte kamen mir einige Leute entgegen, die mir vom Gesicht her bekannt vorkamen und die mich dann auch ansprachen: Sie sind doch der Herr Held aus unserem Wahlkreis. Das waren tatsächlich Bürgerinnen und Bürger aus meinem Wahlkreis, die mir dann davon erzählten, dass sie am Vortag bei dieser Demonstration waren.
Da war unter anderem auch ein Beamter dabei, der mich darum bat, wenn ich mit seinem Dienstherrn noch Kontakt hätte, dem doch bitte auf keinen Fall zu erzählen, dass er jetzt da gerade in Berlin war. Habe ich auch nicht vor, werde ich auch nicht tun. Im Gegenteil: Es hat mich auch überrascht, zum Teil fasziniert, dass es Bürger waren, an die ich mich wieder erinnern konnte.
Und das hat mich auch ins Grübeln gebracht, dass es eben keine Rechtsradikalen und keine, ja, Querdenker oder Verschwörungstheoretiker waren, sondern Bürgerinnen und Bürger, von denen ich auch zum Teil weiß, dass sie den Kollegen der CDU oder auch mich bei den letzten Wahlen gewählt haben.
Als Abgeordneter bekommt man immer wieder auch Reaktionen, im Idealfall von Wählern. Wie war das jetzt im Zusammenhang mit dem Infektionsschutzgesetz oder im Zusammenhang mit der Corona-Zeit, in der wir sind?
Marcus Held: Ich bin es gewohnt, bei großen Abstimmungen Massenmails zu bekommen, die sind in der Regel auch in der Formulierung zu 99% gleich. Da wird der Name ausgetauscht und dann wird hier das Postfach sozusagen überfüllt. Das geht den anderen Kollegen genauso. Das war vor der Abstimmung im November etwas anders, weil relativ viele auch individuelle Schreiben kamen.
Aber vor allem gab es einen Unterschied, der lag nach der Abstimmung. Ich habe noch nie so viele Briefe und Zuschriften bekommen von Menschen, die sich tatsächlich für das Abstimmungsverhalten bedankt haben. Und das Außergewöhnliche, was ich hier auch in fast acht Jahren noch nie erlebt habe, war, dass meine Mitarbeiter zum Teil gelbe Zettel aus den Postfächern mitgebracht haben.
Ich habe erst nicht verstanden, was diese gelben Zettel bedeuten: das waren nämlich Einschreibebriefe. Es war also vielen Bürgern so wichtig, das Dankeschön und die Unterstützung per Einschreiben mitzuteilen sowie die Hoffnung und den Wunsch, dass auch die SPD wieder einen kritischeren Kurs einschlägt, auch in der Corona-Politik.
Wie ist denn die Situation innerhalb der SPD?
Die SPD-Vorsitzende wurde im Kontext einer dieser großen Demonstrationen damit zitiert, dass sie die Demonstranten als "Covidioten" bezeichnet hat. Wie ist die Diskussion innerhalb Ihrer Partei? Gibt es da eine Entwicklung?
Marcus Held: Na ja, es gab aus meiner Sicht deshalb noch keine richtige Entwicklung, weil es zu dem Thema Covid bisher weder in der SPD noch in einer anderen Partei, zumindest ist es mir nicht bekannt, Festlegungen im Grundsatzprogramm gibt.
Für mich zählen immer die Grundüberzeugungen, die Grundwerte, die in einem Grundsatzprogramm auch eine Rolle spielen. Und ich würde mir tatsächlich wünschen, dass man, vielleicht auf einem virtuellen Parteitag, da sehr kontrovers auch über das Thema und die weitere Vorgehensweise diskutiert.
Auch wenn es in Deutschland wieder zu solchen pandemischen Lagen kommen sollte, was wir uns natürlich alle nicht wünschen. Das ist bisher noch nicht erfolgt, und ich sehe auch im Moment nicht so viel den Wunsch nach intensiven Diskussionen, wie ich sie mir wünschen würde.
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