Corona-Krise: Das "Gespenst der Gelbwesten" ist zurück

Das Schutzmasken-Problem stellt sich nun ganz anders, das Problem mit den Gründen der Gelbwesten-Proteste ist geblieben. Symbolfoto: ev/Unsplash

Macron und seine Regierung verlieren stark an Glaubwürdigkeit. Umfragen zeigen, dass 70 Prozent der Franzosen der Meinung sind, "dass der Staat nicht die Wahrheit sagt"

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Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz gab gestern bei der Talk Show "Anne Will" Hinweise auf einen Kontrollverlust. Man müsse Risiken eingehen, um die Versorgung mit Atemschutzmasken sicherzustellen. Da könne es dann schon zu Nervenzusammenbrüchen bei Mitarbeitern des Bundesrechnungshofs kommen.

Notfallbeschaffung

In den USA zeigt sich der Kontrollverlust in Nachrichten, die einen Trailer für einen Kinofilm gleichkommen. Die Chicago Sun Times berichtet von einer Rechnungsprüferassistentin des Bundesstaates Illinois, die mit einem Scheck über knapp 3,5 Millionen Dollar über den Highway raste, um rechtzeitig einen Geschäftspartner auf einem McDonalds Parkplatz zu treffen, damit ihr ein Handel über die Lieferung von Schutzmasken nicht durch die Lappen geht.

"Emergency procurement", Notfallbeschaffung nennt die Zeitung das Phänomen. Die Episode sei nur ein Ausschnitt dessen, was da in den letzten Wochen an "Wilder-Westen"-Praktiken ablaufe, um staatlicherseits für die notwendige Schutzausrüstung der Arbeiter an der Corona-Front und der Patienten zu sorgen. Die Preise sind hoch.

Die nächste Phase - die Regierungskommunikation

Dass es da einen Zusammenhang mit früheren Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich gibt, wird nun auch in Frankreich deutlich, wo die Regierung nun ebenfalls Signale einer Neubewertung des Nutzens des Mund-Nasenschutzes gibt. Man orientiert sich langsam Richtung Exit aus den strikten Maßnahmen. Das Tragen von Schutzmasken ist auch in Frankreich Teil eines Maßnahmepakets, das erwogen wird.

Berichte zum Kurswechsel bezüglich der Bewertung von Schutzmasken legen nahe, dass die Kommunikation der Regierung es vor allem mit der Furcht vor einem nicht zu bewältigenden Andrang auf die Schutzmasken zu tun hatte - und eben gar nicht so sehr mit medizinischen Begründungen zur Nützlichkeit solcher Masken.

Dass die WHO lange Zeit Zweifel daran äußerte, passte sehr gut ins Kommunikations-Konzept der Regierung (Macron legt großen Wert auf die "com").

Dieses geht aber nun weit schlechter auf, als es zunächst den Anschein hatte. Konnte sich Präsident Macron nach seinen beiden Fernsehauftritten noch zugutehalten, dass laut Umfragen eine Mehrheit von 54 Prozent mit der Art und Weise zufrieden waren, wie die Regierung mit der Corona-Krise umgeht, so hat sich das nun geändert.

Schwindendes Vertrauen

Es zeigte sich vor gut zwei Wochen aber schon, dass die Mehrheit kein Vertrauen in die Regierung und in Macron setzt: 61 Prozent vertrauten ihr "eher nicht" (33%) oder "gar nicht" (28%).

Andere Umfragen lieferten bessere Werte, aber auch dort geht es bergab: 18 Prozentpunkte habe die Regierung binnen zwei Wochen eingebüßt, so das Umfrage Institut Elab. Dort hatte man nach der ersten TV-Rede Macrons zur Corona-Krise am 13. März immerhin 59% Vertrauen in der Bevölkerung ausgemacht. Nun sind es nur mehr 41 Prozent.

Vor allem bei den schlechter gestellten Schichten und diejenigen, die auf dem Land leben, gaben nun etwa zwei Drittel (68% und 65%) deutlich zu erkennen, dass sie kein Vertrauen habe (beide Werte steigen innerhalb der letzten beiden Wochen zweistellig, um 17 bzw. 10 Prozent). Die älteren, über 65-Jährigen gehören zu denen, die noch am meisten Vertrauen haben. Auch bei ihnen gibt die knappe Mehrheit, 51 Prozent, an, dass sie der Regierung nicht vertraut.

"Die Regierung verschweigt Dinge"

Eine Umfrage von Opinionway hat da etwas präziser nachgefragt. Man kommt dort zu ähnlich schlechten Vertrauenswerten (55 Prozent haben kein Vertrauen), auffallend ist aber ein anderes Ergebnis, dass nämlich 63 Prozent der Befragten der Meinung sind, die Regierung würde "Dinge verstecken, wenn es um die Gesundheitskrise" geht.

Bei einer weiteren Studie (von Odoxa), die etwas früher erschien, stimmten 70 (!) Prozent der Befragten der Äußerung zu, "dass der Staat den Franzosen nicht die Wahrheit sagt". Dies wird von Le Monde mit Einschätzungen eines Vertreters von Macrons Partei La République en marche (LRM) wiedergegeben, wonach der Glaubwürdigkeitsverlust, der mit den Gelbwestenprotesten begann, sich nun fortsetzt.

Das Misstrauen gegenüber einer Elite, die sich Privilegien auf Kosten anderer zuschanzt, zeige sich auch bei der Diskussion über die Mund- und Nasenschutzmasken und die Tests, berichtet der erwähnte Artikel in Le Monde. Den Schaden, so das verbreitete Empfinden, hätten die Angestellten und Arbeiter, die nach wie vor tätig sind und nicht genug geschützt werden, gibt der IFOP-Leiter für Meinungsumfragen die Stimmung wieder.

Während nun die Medien auffallend deutlich auf den neuen Kurs der Regierung umschwenken und die Nützlichkeit oder das Gebot für Masken kommunizieren - wofür ja auch überzeugende Argumente sprechen (gut zusammengefasst auf Englisch hier) -, verweisen kritische Beobachter auf die Vorgeschichte: Sparmaßnahmen im Gesundheitssystem, immense Personal- und Budgetkürzungen, auch unter der sozialdemokratischen Regierung.

Der Bumerang: Sparmaßnahmen im gesundheitlichen und sozialen Bereich

Sah es eine kurze Zeit lang so aus, als ob sich die französische Regierung über die Corona-Krise aus der Glaubwürdigkeitskrise, die mit den Gelbwesten anfing und mit den Sozialprotesten zu den Rentenreformen vertieft wurde, würde retten können, so zeigt sich nun anderes.

Da bei den Gelbwesten wie auch bei den Demonstrationen gegen den Abbau von sozialen Sicherungssystemen das Pflegepersonal gut vertreten war, baut die Kritik an der Regierung substantiell auf tatsächliche Erfahrungen und daher rührende Ängste und weniger auf eine ideologische Blase (wie sie sich bei den "Facebook-Repräsentanten" der Gilet jaunes sehr wohl zeigte).

Versucht die Regierung die Kritik ihren Kontrollverlust, wie er sich auch in Frankreich bei der Beschaffung von Schutzmasken dokumentiert, mit Verweisen auf Fake News, Verschwörungstheorien und Falschinformationen aufseiten ihrer Kritiker zu konterkarieren, so gibt sie selbst dabei kein sonderlich vertrauenswürdiges Bild ab.

Weil auch sie Informationen in die Welt setzt, die anderntags korrigiert werden und mit einem politischen Kurs verbunden sind, der Misstrauen weckt - weil sie die letzten Jahre wenig oder "spärlich" auf die Schichten achtete, deren Arbeit jetzt systemrelevant ist. Transparenz, die Macron bei seinen beiden TV-Auftritten ganz hoch aufhängte und versprach, wird als Reklame gesehen, die keiner ernst nimmt.