Corona-Pandemie: Bundestag legalisiert Verordnungspolitik
Novelle des Infektionsschutzgesetzes definiert Maßnahmen zur Kontrolle der Seuche. Parlament muss informiert werden, mehr nicht
Zum dritten Mal hat die Corona-Pandemie nun also in der Hauptstadt für Furore auf den Straßen und im Parlament gesorgt. Nach den Großdemos der "Querdenken"-Initiative und weiterer ihr nahestehender Gruppierungen Anfang und Ende August kamen am Mittwoch dieser Woche erneut Tausende Gegner der Regierungsmaßnahmen gegen die Pandemie in Berlin zusammen.
Im Bundestag wurden eben diese Regeln mit dem dritten Gesetz "zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" legalisiert. Nachträglich, muss man sagen, denn das berührt den Kern der mit dem gestrigen Tag keineswegs abgeschlossenen Debatte. Zudem wurden alle Anträge der Opposition abgelehnt, wie hier eindrücklich nachzulesen ist.
Die Regierungsfraktionen und Teile der Opposition haben mit der Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes Maßnahmen einen gesetzlichen Rahmen gegeben, die seit dem Frühjahr auf eine in der bundesrepublikanischen Geschichte lange nicht mehr denkbaren Art und Weise hinter verschlossenen Türen, per Verordnungen und unter Missachtung bürgerlich-parlamentarischer Regeln durchgesetzt worden waren.
Inwiefern die Gesetzesänderung - zumal mit Regierungsmehrheit beschlossen, im Schnellverfahren in Bundestag und Bundesrat verabschiedet und vom Bundespräsidenten umgehend mit Rechtskraft versehen - eine Stärkung der parlamentarischen Beteiligung sein soll - das ist einer der Punkte, die nach diesem 18. November 2020 schleierhaft blieben.
Mit der Gesetzesnovelle wird das Infektionsschutzgesetz (IfSG) durch einen neuen Paragrafen ergänzt, in dem mögliche Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und Behörden konkret aufgeführt werden. Bisher war im entsprechenden Gesetzestext recht unscharf von "notwendigen Maßnahmen" der "zuständigen Behörden" die Rede.
Auch diese unbestimmten Formulierungen hatten dazu beigetragen, dass seit Beginn von Pandemie sowie der mit ihr einhergehenden Wirtschaft- und Demokratiekrise zahlreiche Maßnahmen vor Gerichten gekippt worden sind.
Man kann davon ausgehen, dass mit der Novelle des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen, so die Vollbezeichnung des IfSG, die Spielräume für juristische Gegenwehr enger werden.
Wie ein Schlagwortregister der Corona-Debatten
Der am Mittwoch angenommene Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen präzisiert allerdings auch Möglichkeiten und Grenzen bei Eingriffen in grundrechtliche Freiheiten. Im neuen Paragrafen 28a des IfSG werden Schutzvorkehrungen zur Bekämpfung der aktuellen Corona-Pandemie detailliert aufgeführt.
Wichtig ist dabei, dass sich der Paragraph nicht generell auf Seuchen bezieht, also andauernde Rechtswirkung entfaltet, und dass Grenzwerte festgeschrieben werden. Rechtsverordnungen sind grundsätzlich zeitlich zu befristen und zu begründen. Sie dürfen maximal vier Wochen gelten, können allerdings verlängert werden.
Mit den 15 nun gesetzlich definierten Maßnahmen werden zahlreiche Einschränkungen von Grundrechten an besondere Auflagen geknüpft. "Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite orientiert sich an den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation", heißt zudem es auf der Internetseite des Bundestags.
Die Maßnahmen in der Gesetzesnovelle lesen sich wie ein Schlagwortregister der Debatten, die seit Beginn der Krise nicht nur in Deutschland um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und den Schutz der verfassungsrechtlichen Grundrechte toben.
So werden Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum ebenso genannt wie die Anordnung eines Abstandsgebots, die Maskenpflicht, die Schließung von Kultur- oder Freizeiteinrichtungen, Beherbergungs- und Übernachtungsverbote, Betriebs- und Gastronomieschließungen, die Einschränkung von Demonstrationen und Gottesdiensten, Alkoholverbote, die Dokumentation und Speicherung von Kontakten sowie die Einschränkung der Reisefreiheit.
All diese Maßnahmen müssten verhältnismäßig sein, heißt es im Anschluss - eine Formulierung, die aufgrund ihres Interpretationsspielraums, wie bisher, vielleicht doch noch einige Gerichte beschäftigen wird. Und schließlich verpflichtet der neue IfSG-Paragraph die Bundesregierung, dem Bundestag stets Bericht zu erstatten.
Kritik an der "De-facto-Ersatzregierung"
Das allerdings war ein zentraler Kritikpunkt der Opposition, wie der parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, betonte: Es sei "bizarr" und "absurd", dass Regierungserklärung und Bundestagsdebatte nach den Entscheidungen von Bundeskanzlerin, Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten anberaumt wurden.
Die umgekehrte Reihenfolge wäre geboten gewesen: parlamentarische Meinungsfindung, dann erst die Entscheidungen der Exekutive, so Korte unter Beifall der Linken, AfD, FDP und Grünen.
Korte übte heftige Kritik an der Kanzlerinnen-Minister-Runde. Deren Beschlüsse griffen sehr schwer in die Grund- und Freiheitsrechte der Menschen ein. Dennoch tage die Runde hinter verschlossenen Türen, de facto als Ersatzregierung.
Der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, Christian Lindner, hatte die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes schon zuvor als zu unkonkret und zu weitreichend bezeichnet. "Dieses reformierte Gesetz schafft nicht die rechtliche Klarheit die wir brauchen, schafft auch nicht die klare Berechenbarkeit staatlichen Handelns in einer Pandemie", so Lindner zuvor im Interview mit dem ZDF.
Es sei auch nach der Novelle unklar, welche Rechte eine Regierung bei einer neuerlichen Zuspitzung der Pandemie habe. Im Grunde sei das reformierte IfSG "ein Blankoscheck" für die Regierung.
Die Grünen-Abgeordnete Manuela Rottmann sah sogar Fehler im Gesetzentwurf der Koalition. Ihrer Meinung nach müsse "das Kindeswohl einen viel höheren Stellenwert in der Abwägung haben". Die Berichtspflicht der Bundesregierung müsse deutlich ausgeweitet werden, so die Oppositionspolitikerin.
Dennoch stimmten die Grünen für das neue IfSG, weil es nach ihrer Meinung auch positive Aspekte beinhalte. Rottmann nannte strengere Regeln für Einschränkungen von Besuchen in Altenheimen. Auch sei ein Fortschritt, dass "Kontaktdaten nur noch zur Nachverfolgung von Infektionsketten verwendet werden" dürften und Einschränkungen grundsätzlich befristet seien.