Corona: Rückgang der Fallzahlen durch natürliche Immunität

Seite 4: Corona-Pandemie: Begrenzte Immunisierung in Bergamo

Ein gutes Beispiel für die erhebliche Wirkung einer begrenzten Immunisierung ist die norditalienische Provinz Bergamo, die im Frühjahr besonders hart von der Pandemie heimgesucht worden war. Als in Italien die Infektionszahlen mit dem Herbstbeginn wieder drastisch zu steigen begannen, besonders auch in der Lombardei, zu der Bergamo gehört, blieb die Provinz einigermaßen verschont. Während die Covid-19-Fälle in der restlichen Lombardei zwischen dem 2. und 23. Oktober um bis zu 65 Prozent zunahmen, stiegen sie in Bergamo nur um sieben Prozent.

Mitte November gab es in der Provinz Bergamo im Schnitt täglich 20 neue Fälle pro 100.000 Einwohner, in der Provinz Mailand dagegen 81. Mitte Januar waren sie in Mailand auf 22,3 gesunken, in Bergamo aber schon auf 7,4.

Da die Verhältnisse und das Verhalten der Menschen innerhalb der Lombardei sicherlich ähnlich sind, führt Prof. Giuseppe Remuzzi, Direktor des Mario Negri Instituts die Unterschiede auf den erreichten "Grad an natürlicher Immunität" in Bergamo zurück. Einer repräsentativen Studie der italienischen Statistikbehörde Istat zufolge waren hier im Sommer bei einem von vier Einwohnern Antikörper gefunden worden, gegenüber einem von 13 Einwohnern in der Provinz Mailand und einem von 40 in ganz Italien.

Bei Tests in den am schlimmsten betroffenen Gebieten Bergamos wiesen sogar 57 Prozent der getesteten 10.000 Personen Antikörper auf.

Schon 15 bis 25 Prozent von Menschen mit Antikörpern können viel bewirken, erklärte dazu Luca Foresti, Physiker und Geschäftsführer der Klinikgruppe "Centro Medico Agostino". Sie können z.B. reichen, um die Reproduktionsrate des Virus von etwas über eins auf unter eins zu drücken und so die Zahl der neuen Fälle exponentiell sinken zu lassen. "Dieser kleine Unterschied kann in ein paar Tagen einen großen Unterschied bewirken. ... Ich nenne es kleine Herdenimmunität."

Ein weiteres gutes Beispiel ist Madrid, das zu Beginn der Pandemie ebenfalls zu den besonders hart getroffenen Zentren in Europa zählte. Die Stadt konnte die ab September angestiegenen Fallzahlen bis Anfang Dezember wieder reduzieren, ohne, wie die anderen spanischen Städte, Geschäfte, Restaurants etc. zu schließen. Auch hier halten Wissenschaftler, wie Daniel Lopez Acuna, ehemaliger Direktor der WHO-Abteilung für Gesundheitsmaßnahmen in Krisenfällen (HAC), die hohe Immunitätsrate zwar nicht für den einzigen aber für den entscheidenden Faktor.

Es gebe zwar keine Herdenimmunität in der gesamten Region, so Elena Vanessa Martinez, Leiterin der spanischen epidemiologischen Gesellschaft, "aber an bestimmten Orten können ganze Cluster infiziert sein" und das mache "es für das Virus schwieriger, andere Gruppen zu erreichen".

Wie lange und wie gut eine Immunität nach einer Infektion schützt, kann man nicht genau sagen, genauso wenig wie bei einer durch Impfung erworbenen. Sie lässt in beiden Fällen, wie auch bei Grippeviren, mit der Zeit und aufgrund von Mutationen nach. Eine erneute Infektion ist jedoch seltener, verläuft in der Regel milder und ist daher weniger ansteckend.

Die bremsende Wirkung einer "kleinen Herdenimmunität" auf die Ausbreitung wird dadurch mit der Zeit geschwächt aber nicht aufgehoben. Im Falle einer neuen Infektionswelle wird sie wieder durch den Anteil derer gestärkt, die sich im Laufe dieser Welle infizieren. Dadurch wird ihr Anstieg stets nach einigen Wochen wieder gebremst.

Lockdown-Verteidiger führen als Beleg dafür, dass ein hoher Grad einer solchen natürlichen Immunisierung keinen größeren Einfluss habe, als Gegenbeispiel die Entwicklung in Manaus an. In der brasilianischen Großstadt sollten einer Studie zufolge im Oktober bereits drei Viertel der Bevölkerung die Corona-Infektionen hinter sich gehabt haben.1 Damit hätte sie Herdenimmunität erreicht. Dennoch stiegen die Fallzahlen im Januar erneut heftig an. Die Hochrechnungen der Antikörperstudie, die auf der Untersuchung von Blutproben basieren, die ab März genommen wurden, werden von vielen Wissenschaftlern jedoch stark angezweifelt.

Ihr größter Schwachpunkt ist die fehlende Repräsentativität von Blutspendern. Eine frühere Studie schätzte, dass im Juni 14 Prozent der Einwohner von Manaus infiziert waren und damit wesentlich weniger als die Blutproben-Studie, die für diesen Monat 66,2 Prozent ermittelte.6 Da Manaus im Frühjahr sehr heftig getroffen wurde, könnte die Wahrheit in der Mitte liegen.

Die Infektionsraten in der Stadt blieben nach ihrem Höhepunkt Ende April 2020 auch bis Dezember relativ niedrig. Ihr starker Anstieg im Januar kam daher überraschend. Nachlassende Immunität bei manchen Einwohnern, die sich zum großen Teil schon vor acht Monaten infiziert hatten, ist zwar nicht auszuschließen, könnte aber, so auch eine im medizinischen Fachmagazin The Lancet veröffentlichte Analyse, einen solch starken Anstieg nicht erklären.7

Wahrscheinlicher ist, neben der Überschätzung der Ansteckungsrate bis Oktober, eine geringere Immunabwehr gegen die neue Variante des Virus. Dies zeigt, dass Infektionswellen bei Sars-CoV-2 wie bei der Grippe immer wieder auftreten können, widerlegt jedoch nicht, dass diese mit der Zeit durch wachsende Immunisierung wieder abgeschwächt werden.

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