Corona-Ursachenforschung: Schuster, bleib bei deinen Leisten!
"Studie" mit gewagter These über Laborunfall in China entspricht weder wissenschaftlichen Standards noch ist der Autor vom Fach
In zahlreichen Blogs ist die Rede von einer Rehabilitation der Wissenschaftler, die einem Zeitgeist von "Fake News", der politischen Lüge, des ideologischen Fundamentalismus, der pseudoreligiösen Machtlegitimationen und des dumpfen Weltvereinfachertums entgegenwirken. Das Corona-Virus schien etwas geschafft zu haben, was zuvor fast unmöglich erschien: die öffentliche Bloßstellung der intellektuellen Unredlichkeit von Rechtspopulisten.
Ganz anders die Wissenschaftler, deren Aussagen im Vergleich zu denen ihrer politischen Vorgesetzten und anderer Machtträger so ungewohnt ehrlich, faktenbezogen und wahrhaftig erscheinen, dass so mancher von ihnen es sogar zu größerer öffentlicher Beliebtheit geschafft hat. Zudem sind es, was leider schnell vergessen wird, die Wissenschaftler, die für die immensen Fortschritte in der Gentechnik der letzten Jahre verantwortlich sind, die uns nun die Entwicklung von "genetischen Impfstoffen" ermöglichen und uns so aus der Corona-Krise herauszuführen versprechen.
Dass jedoch auch Wissenschaftler mal in die intellektuelle Falle der Vermessenheit und Ignoranz geraten, zeigt der Fall des Nano- und Festkörperphysikers Roland Wiesendanger von der Universität Hamburg. Wiesendanger ist ein sehr renommierter Physiker, der im Jahre 2020 die beachtliche Menge von elf wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht hat, zwei davon sogar in den Physical Review Letters, die von den meisten Wissenschaftlern als eine der renommiertesten Zeitschriften auf dem Gebiet der Physik angesehen werden. Eine zwölfte Arbeit erregt jedoch besondere Aufmerksamkeit. Sie trägt den - als einzige seiner Publikationen deutschsprachigen - Titel Studie zum Ursprung der Coronavirus-Pandemie.
Naturwissenschaftler, aber fachfremd
Hier bewegt sich Wiesendanger als (Einzel-)Autor auf einem für ihn ganz neuen Gebiet: der Erforschung des Ursprungs des Virus SARS-CoV-2. Und er kommt zum spektakulären Ergebnis, "dass sowohl die Zahl als auch die Qualität der Indizien eindeutig für einen Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan als Ursache der gegenwärtigen Pandemie sprechen". Man wundert sich: Wie kommt ein fachfremder Nanophysiker zu einer derart umstrittenen Behauptung, die unter Virologen und Experten der Weltgesundheitsorganisation weitestgehend abgelehnt wird? Wiesendanger selbst schreibt in seinem Text: Es gibt "keine wissenschaftlich basierten strikten Beweise" für seine Theorie zur Herkunft des Coronavirus, vielmehr biete er "Indizien" auf der Basis von wissenschaftlichen Artikeln, Veröffentlichungen in Medien und sozialen Netzwerken und Gesprächen mit internationalen Wissenschaftlern. Die beschränkte Argumentationskraft seiner Quellen hält ihn nicht davon ab, eine derartig umstrittene Aussage mit hohem Grad an Überzeugung zu treffen, während Experten die Wahrscheinlichkeit ihres Zutreffens doch als eher niedrig einstufen.
Antiasiatische Ressentiments
Nun besteht die wissenschaftliche Methode ja gerade darin, immer wieder auch Zweifel am bestehenden Konsens anzubringen, damit sich Irrtümer nicht allzu lange halten. Und die Pandemie ist schließlich eines der drängendsten Probleme aktuell, weshalb es so wichtig ist, keine falschen Annahmen darüber zu treffen und ihre Ursprünge im Detail zu verstehen. Und das geht nur über den wissenschaftlichen Diskurs. Doch Studierendenvertreter der Uni Hamburg haben recht, wenn sie schreiben: "Die 'Studie' von Herrn Wiesendanger der Uni Hamburg entspricht nicht den wissenschaftlichen Standards, die wir von einer Universität erwarten. Sie spielt stattdessen nur Verschwörungstheoretiker*innen in die Hände und schürt anti-asiatischen Rassismus."
Sie selber müssen sich an die "Richtlinien für die Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten" halten, wo unter anderem steht: "Eine starke Häufung wörtlicher Zitate sollte vermieden werden, da sonst der Eindruck entsteht, dass der Verfasser eigenständige Formulierungen scheut." Herr Wiesendanger scheint diese Richtlinien nicht gelesen zu haben: Er integriert vielmehr mehrseitige wörtliche Auszüge aus seinen Quellen, um die Kraft seiner Argumente stärker erscheinen zu lassen, teils fällt es sogar schwer, die vom ihm selbst stammenden Absätze zu identifizieren. Wissenschaftliche (peer reviewed) Artikel sind bei seinen Quellen in der Minderheit. Artikel in Print- und Onlinemedien, inklusive solche in sozialen Medien, die gar keiner kritischen Durchsicht unterliegen, sind mit mehr als 30 von 71 Quellen in der (relativen) Mehrheit. Wiesendanger macht auch nicht halt vor Quellen mit klarer Nähe zu Verschwörungstheorien. Damit entfernt sich sein Papier endgültig von anerkannten wissenschaftlichen Standards.
Leider sind eben auch Wissenschaftler nicht gewappnet vor populistischen Denkströmungen, wenn sie einmal ihr Fachgebiet verlassen, dort aber mit der gleichen Überzeugungskraft aufzutreten beanspruchen wie auf ihrem Fachgebiet. Hier ist die Öffentlichkeit aufgerufen, dem Einhalt zu gebieten. Die Universität Hamburg hat sich in dieser Sache leider kaum mit Ruhm bekleckert, sondern dieser "Studie" - eher eine reichlich verworrene Medienrecherche - vielmehr mit einer offiziellen Pressemitteilung der Universität noch eine bedeutende Plattform geboten, was am 19. Februar sogar zu einer Bild-Schlagzeile führte: "Deutsche Professor sicher: Corona war LABOR-UNFALL in China". Da sollte man doch wirklich höhere Ansprüche an die Wissenschaftler haben. Denn wie wir sehen sind auch diese nicht vor der Hybris der populistischen Rechthaberei gewappnet.
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