Covid-19: Darf der Ehemann den Arzt erschießen?
Knapphalten durch eine exponentielle Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus könnten demnächst nicht nur Mediziner, sondern auch Juristen vor Probleme stellen
In Italien und Frankreich müssen Ärzte bereits jetzt entscheiden, welche Covid-19-Patienten sie an die zu knappen Beatmungsgeräte hängen - und welche nicht. In Bergamo macht man das von einer allgemeinen Überlebenschance abhängig (vgl. Covid-19: Quarantäneregeln gelten nun in ganz Italien), in Straßburg lässt man - etwas grober - alle Patienten durch das Raster fallen, die älter als 79 sind.
Breitet sich das Sars-CoV-2-Virus auch in anderen Ländern weiter exponentiell aus, werden Ärzte auch dort vor solchen Entscheidungen stehen. In Österreich fürchtet Bundeskanzler Kurz, dass es Mitte April so weit sein könnte, wenn die neuen Gegenmaßnahmen nicht entsprechend greifen (vgl. Covid-19: Maskenpflicht in österreichischen Supermärkten), in Deutschland schweigt die Politik bislang.
Dort gibt es mit insgesamt 28.000 Intensivstationsbetten theoretisch zwar deutlich mehr pro Kopf als in Italien (wo nur 5000 zur Verfügung standen) - aber diese Intensivstationsbetten sind durch die Gesundheitsreformen seit den 1980er Jahren auch ohne Covid-19-Patienten zum großen Teil schon belegt. Zudem fehlen deutschlandweit etwa 17.000 Pflegekräfte. Auch solche, die intensiv- und beatmungsmedizinisch ausreichend für eine Behandlung von schweren Covid-19-Fällen geschult sind.
"Starre Altersgrenze" nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar
Reichen die Maschinen und das Personal auch in Deutschland nicht für eine Behandlung aller Behandlungsbedürftigen aus, dann stehen auch deutsche Ärzte und Gesundheitsbürokraten vor so genannten Triage-Entscheidungen, deren Name sich vom französischen Wort für "aussuchen" ableitet. Für solche Entscheidungen gibt es bislang keine klaren gesetzgeberischen Schemata, sondern lediglich verschiedene Empfehlungen nichtstaatlicher Organisationen sowie einen eher unscharfen strafrechtlichen Rahmen.
Deshalb äußern sich im Zuge der Coronakrise nicht nur Mediziner, sondern auch Juristen wie der Trierer Strafrechtsprofessor Till Zimmermann zu diesem Problem. Eine "starre Altersgrenze" wie in Straßburg wäre seiner Ansicht nach nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar. Darin ist er sich nicht nur mit vielen seiner Fachkollegen, sondern auch mit der Regensburger Philosophieprofessorin Weyma Lübbe einig, die so ein Raster als "radikal-utilitaristische Altersdiskriminierung" ablehnt (Weyma Lübbe: Corona-Triage. Ein Kommentar zu den anlässlich der Corona-Krise publizierten Triage-Empfehlungen der italienischen SIAARTI-Mediziner)
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"Più Anni di Vita Salvator"
Ebenso unzulässig ist Zimmermanns Meinung nach eine nach dem italienischen Prinzip "più Anni di Vita Salvator" erstellte Rechnung, mit welcher Entscheidung man zusammenaddiert mehr Lebensjahre rettet. Dabei bezieht er sich auf das Bundesverfassungsgericht, das in seinem Beschluss zum Luftsicherheitsgesetz (BvR 1/05) am 15. Februar 2006 entschied, dass Menschenleben "ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz" genießen.
Nur dann, wenn ein Patient "ohnehin keine realistische Chance [hat], Covid-19 auch bei optimaler Versorgung zu überstehen" dürfen ihn die Ärzte dem Trierer Rechtswissenschaftler nach "aufgeben". Das Bundesverfassungsgericht hat nach Meinung anderer Juristen in seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz allerdings lediglich die staatliche Anordnung eines utilitaristischen Prinzips verboten, aber nicht dieses Prinzip als solches.
Zulässig wäre Zimmermanns Sichtweise nach jedoch ein Vorgehen nach dem Prioritätsprinzip, auf dem "im Kern […] auch unsere gesamte Eigentumsordnung beruht". Der ihm zugrunde liegende Grundsatz besagt, dass niemandem etwas, was er schon hat, weggenommen werden soll - auch kein Intensivbett und keine Beatmungsmaschine. Für nicht verboten, aber "problematisch", hält er italienische Die-Benedict-Entscheidungen zur Gesamtnutzensmaximierung, bei denen eine Krankenschwester, die nach ihrer Genesung weitere Leben retten kann, eher an eine Beatmungsmaschine angeschlossen wird, als beispielsweise eine Bento-Autorin.
Beweisführung
Auch ein reiner Zufallsentscheid, bei dem Ärzte eine Münze werfen, um knappe Ressourcen zuzuweisen, wäre Zimmermann nach nicht rechtswidrig. Denn "was wir für die Vergabe von Kita-Plätzen und Bürgermeisterposten als gerecht akzeptieren", so der Hochschullehrer, "wird nicht falsch, wenn es um Beatmungsgeräte geht".
Nicht nur für falsch, sondern sogar für "unfair und indiskutabel" hält Zimmermann dagegen das, was der Spiegel-Kolumnist und ehemalige BGH-Strafsenatsvorsitzende Thomas Fischer seiner Lesart nach in dessen Kommentar zum Strafgesetzbuch "verlangt": Die "Unmöglichkeit", in einer Pflichtenkollision beide Patienten zu retten. Andere Juristen sind jedoch der Auffassung, dass Zimmermann Fischer hier unzutreffend wiedergibt und der Kommentarautor lediglich der "Überbringer der schlechten Nachricht" ist und bloß das schildert, was die Rechtsordnung verlangt.
Sieht man das Sterbenlassen eines dieser Patienten zwar als rechtswidrig, aber als strafrechtlich entschuldigt (und damit straffrei) an, steht man vor dem Problem, dass damit nicht nur dem (wahrscheinlich praktisch nicht mehr wehrhaften) Patienten Notwehr-, sondern auch dessen Angehörigen Nothilfebefugnisse eröffnet werden. Doch dass "der Ehemann den Arzt niederschießen [darf], wenn letzterer im Begriff ist, seine Frau vom Beatmungsgerät zu trennen", kann dem Augsburger Juraprofessor Michael Kubiciel zufolge "nicht sein".
Der Thüringer Rechtsanwalt Sebastian Böhme hält das für weniger praxisrelevant als die "pragmatische Frage nach der Beweisführung […], dass es tatsächlich zur Pflichtenkollision gekommen ist". Und er ergänzt, ob man "nicht eher die Frage nach der Strafbarkeit von Personen stellen [sollte], welche es [eventuell fahrlässig] unterlassen haben, rechtzeitig Vorsorge zu treffen, obgleich sie dazu rechtlich verpflichtet waren?"
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