Covid-19: "Smart Distancing" satt "Social Distancing"
Das private Tragen von Schutzmasken wird nun auch von Akteuren empfohlen, die sich vorher dagegen aussprachen
Nachdem sich das Sars-CoV-2-Virus in Europa weiter stark ausbreitet, raten nicht nur mehr Epidemiologe aus Asien Privatleuten zum Tragen von Schutzmasken, sondern auch europäische Akteure wie der Bundesärztekammerchef Klaus Reinhardt, der das in der Neuen Osnabrücker Zeitung macht. Der Virologe Alexander Kekulé empfiehlt es nun als Bestandteil eines Smart Distancing, das er für gleichzeitig "sanfter" und wirksamer als das derzeit von der deutschen Politik propagierte "Social Distancing" mit Ausgangsbeschränkungen und einem weitgehenden wirtschaftlichen "Lockdown" hält.
Der "erhebliche Effekt", den das massenhafte Tragen solcher Masken seinen Erkenntnissen nach in Hongkong hatte, zeigt seiner Meinung nach, dass sie auch anderswo zu einem "Standardaccessoire" werden müssten. Nicht nur, weil man damit als Symptomfreier ohne Wissen um eine eigene Infektion andere Menschen schützt, sondern auch, weil selbst ein einfacher Mund- und Nasenschutz "neueren Daten nach" den Träger "zu einem gewissen Grad" vor einer Ansteckung bewahrt.
Selbsttests
Andere Bestandteile einer durchdachteren Krisenbewältigung wären seinen Worten nach ein länger als ein paar Wochen oder Monate anhaltender Verzicht auf den Handschlag als Begrüßungsritual (vgl. Live Long And Prosper) und ein schnelles Zugänglichmachen von Sars-CoV-2-Tests, die man ohne behördliche und medizinbürokratische Hürden kaufen und selbst durchführen kann. Dass es der Robert Bosch GmbH in nur sechs Wochen gelang, einen Test zu entwickeln, der innerhalb von zweieinhalb Stunden ein zu 95 Prozent zutreffendes Ergebnis liefert, deutet darauf hin, dass es keine technische Unmöglichkeit wäre, so ein Angebot zu entwickeln. Eine andere Frage ist, wie schnell es die Bürokratie danach zulässt. Das Beispiel des Karlsruher Gin-Hersteller Breaks, der anbot, knapp gewordenes Desinfektionsmittel herzustellen, gibt einen Hinweis darauf, wo in Deutschland die größeren Probleme liegen könnten.
Bislang gibt es regelmäßige Tests nicht einmal für das Pflegepersonal eines größeren Universitätskrankenhauses mit Covid-19-Patienten. Auch nicht für die Mitarbeiter der Station, auf der diese Covid-19-Patienten ausschließlich liegen. Lediglich dann, wenn bei Krankenschwestern oder Ärzten Symptome wie Fieber, Husten, Kurzatmigkeit oder Störungen des Geruchs- oder Geschmacksinnes auftreten, werden sie getestet. Und bis das Testergebnis vorliegt, "können" sie weiterarbeiten, wie es in einer Dienstanweisung heißt. Oder "müssen", wie es ein Informant gegenüber Telepolis schildert, der eine zunehmende Angst bei der Berufsausübung äußerte.
Eine nicht von Kekulé aufgeführte private Schutzmaßnahme, die gut zu einem "Smart Distancing" passen würde, ist eine in asiatischen Ländern übliche Verhaltensänderung, die derzeit über Soziale Medien auch in anderen Teilen der Welt bekannter wird: Das Öffnen von Türen mit der nicht dominanten Hand. Bei Rechtshändern ist das die linke, bei Linkshändern die rechte. Diese Verhaltensänderung hat den Vorteil, dass man potenziell weniger Viren in die Nähe von Schleimhäuten bringt, wenn man sich unbewusst ins Gesicht fasst. Dieses unbewusste Ins-Gesicht-Fassen geschieht nämlich regelmäßig mit der dominanten Hand.
"An die Nähmaschinen!"
Auch der andere der beiden bekanntesten Virologen in Deutschland, der Berliner Christian Drosten, ist inzwischen zu einem Befürworter des privaten Tragens von Schutzmasken geworden. Er räumt in seinem Podcast jetzt indirekt ein, was Jörg Kachelmann und viele andere Social-Media-Nutzer vorher vermuteten: Eine Angst, dass Privatnutzer öffentliche Akteure auf dem Markt für das knappe Gut überbieten oder versuchen, auf unrechtmäßige Weise an Schutzmasken zu gelangen.
Fehlen Masken in Kliniken, sind dort nicht nur die Patienten, sondern auch Ärzte und Pfleger größeren Risiken ausgesetzt. Darauf, dass solche Masken dort tatsächlich nicht in ausreichender Zahl vorhanden sein könnten, deuten Regelungen wie die an der oben erwähnten Universitätsklinik mit Covid-19-Erkrankten hin. Hier bekommen Ärzte und Pfleger auf der Covid-19-Station in Absprache mit dem Gesundheitsamt nur noch Mund-Nasen-Schutzmasken (MNS) gestellt, den sie auch bei Besprechungen tragen müssen, wenn der Sicherheitsabstand von eineinhalb Metern nicht eingehalten wird.
FFP2-Masken sind dort den Durchführern besonders ansteckungsträchtiger Behandlungen wie der Intubation, der Bronchoskopie, dem Absaugen, der Tracheotomie oder dem Entnehmen von Abstrichen vorbehalten. Das Robert-Koch-Institut hält MNS-Masken für unzureichend. Einer im letzten Jahr im Journal of the American Medical Association veröffentlichten randomisierten Studie nach schützen so genannte "OP-Masken" allerdings ähnlich gut wie N95-Einwegmasken, wenn sie nur eng genug angelegt werden.
Drosten rät Privatleuten jetzt dazu, Mund und Nase mit Schals und Halstüchern zu bedecken oder sich selbst Mundschutzmasken zu nähen. In Osteuropa ist dieses Selbstnähen mittlerweile sehr weit verbreitet und hat auch ästhetisch interessante Ergebnisse hervorgebracht. Die slowakische Staatspräsidentin trägt ihre Masken beispielsweise farblich passend zu ihren Kleidern. In Deutschland scheint das Selbstnähen von Schutzmasken dagegen noch eine Domäne älterer Frauen, was der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ändern will. Er hat nach eigenen Angaben zertifiziertes Vliesmaterial für etwa 5.000 Masken in FFP-2- oder FFP-3-Qualität "organisiert" und auf Twitter den Slogan "An die Nähmaschinen!" ausgegeben.
Inzwischen kommen aber auch aus China, das die Seuche besser im Griff zu haben scheint, wieder Schutzmasken nach Europa. Nicht nur als staatliche Hilfslieferungen nach Italien, sondern auch von Privatpersonen, die helfen.
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