Cyberattacken, Handelskrieg und der Wunsch nach "technologischer Souveränität"
Das Tauziehen um den Mobilfunkausrüster Huawei geht weiter und belastet die internationalen Beziehungen zwischen Deutschland, den Vereinigten Staaten und China
"Wir können die Verteidigung des Westens nicht gewährleisten, wenn unsere Verbündeten vom Osten abhängig werden." So warnte der amerikanische Vizepräsident Mike Pence auf der diesjährigen "Münchner Sicherheitskonferenz" im Februar die westliche Welt. Der Osten, dazu gehören für die Trump-Regierung der Iran (mit dem die Europäer nicht Handel treiben sollen), Russland (das über "Nord Stream 2" Gas direkt an Deutschland liefern will) und, natürlich, China.
Denn Mike Pence warnte insbesondere vor asiatischer Informationstechnik. "Die Vereinigten Staaten haben gegenüber ihren Partnern sehr deutlich gemacht, dass Huawei und andere chinesische Telekommunikations-Unternehmen eine Bedrohung darstellen", erklärte er. "Amerika fordert alle unsere Partner dazu auf, wachsam zu sein und keine Geschäfte zu machen, die die Integrität unserer Kommunikationsnetze und unsere nationalen Sicherheitssysteme kompromittieren würde."
Der Mobilfunkausrüster und Smartphone-Hersteller Huawei steht seit Monaten im Zentrum einer internationalen wirtschaftspolitischen und geostrategischen Auseinandersetzung. Es geht um Spionage, nationale Sicherheit und Technologieführerschaft. Vor allem geht es um einen Präzedenzfall: Wie werden Deutschland und Amerika künftig mit der gewachsenen ökonomischen und geopolitischen Macht Chinas umgehen?
Amerikanische Behörden und Politiker werfen Huawei schon seit 2012 vor, heimlich dem chinesischen Staat zuzuarbeiten, ebenso ZTE, einem weiteren Mobilfunkausrüster. Die Rede ist von backdoors und kill switches, versteckten Softwareabschnitten, um Daten auszuleiten oder die Kommunikation zu verlangsamen oder abzuschalten. Das Management, so der Vorwurf, sei eng mit der chinesischen Staatsführung verwoben.
Trotz solcher Anschuldigungen konnte das Unternehmen zum Weltmarktführer der Branche aufsteigen. Im Vergleich zu 2009 hat Huawei seinen Umsatz verelffacht, wobei knapp die Hälfte aus dem Ausland kommt. Mobilfunknetze auf der ganzen Welt arbeiten mit Huawei-Technik, auch deutsche. Beim 5G-Umbau der Mobilfunknetze - in vielen Ländern bekanntlich bereits in Gange - spielt sie eine herausragende Rolle. Laut Patrick Berger, Pressesprecher der deutschen Niederlassung von Huawei, hat das Unternehmen 30 kommerzielle Kontrakte für den 5G-Rollout geschlossen und bereits über 25.000 Basistationen ausgeliefert.
Seit dem letztem Jahr verschärfen die USA ihre Warnungen und erhöhen Druck auf ihre Verbündeten (wobei dieser Ausdruck zunehmend merkwürdig klingt). In Australien, Neuseeland, Japan und Tschechien haben Behörden deshalb Geschäfte mit Huawei verhindert beziehungsweise ihre Sicherheitsauflagen verschärft. Im Dezember 2018 wurde eine amerikanische Delegation auch in Berlin vorstellig, um die Bundesregierung dazu zu bewegen, Huawei beim 5G-Ausbau nicht zum Zug kommen zu lassen.
Mittlerweile beschränkt sich die Überzeugungsarbeit nicht mehr auf vertrauliche Gespräche in den Hinterzimmern von Ministerien. Bei seiner Osteuropareise nach Ungarn, Polen und die Slowakei brachte Außenminister Mike Pompeo sogar den Abzug amerikanischer Truppen ins Spiel. Richard Grenell, Botschafter in Berlin, trieb den Konflikt Anfang März auf die Spitze, als er in einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wissen ließ: "Ohne entsprechende Sicherheitsvorkehrungen werden die USA künftig nicht in der Lage sein, Geheimdienstinformationen und andere Daten im bisherigen Umfang auszutauschen."
Ein Truppenabzug, das Ende des jahrzehntelangen Informationsaustauschs im Sicherheitsbereich, kaum verhüllte Drohungen - in Sachen Huawei fahren die USA ganz große Geschütze auf. Aber der Erfolg ist begrenzt. Selbst Großbritannien, Mitglied in der Five Eyes-Allianz, laviert. "Das Risiko, das von Huawei ausgeht, ist beherrschbar", sagte im Februar Ciaran Martin, der Chef des National Cyber Security Centre. Auch der ungarische Außenminister Peter Szijjártó verwahrte sich gegen die Forderung aus den USA, betonte aber, man teile mit Donald Trump eine "patriotische Weltanschauung", denn Ungarn sei ebenfalls gegen Migration und multilaterale Organisationen. In Kanada, Japan, Norwegen und Belgien hängt die Angelegenheit weiter in der Schwebe, und nachdem China verdeckt, aber unmissverständlich Druck ausübt, scheint auch Neuseeland seine Haltung Entscheidung in Sachen Huawei zu überdenken.
Gefährdet chinesische Mobilfunktechnik die nationale Sicherheit?
Bisher konnten Huawei oder ZTE keine bewusst platzierten Sicherheitslücken nachgewiesen werden. Seit 2006 verschaffte sich NSA Zugang zu der internen Kommunikation von Huawei und dem Quellcode seiner Produkte. Laut der britischen Financial Times haben die Amerikaner letztes Jahr den Five Eyes-Migliedern und weiteren Partnern Informationen über Huawei zukommen lassen, die aber offensichtlich nicht überzeugten.
Im Gegensatz dazu wissen wir, dank Edward Snowden, dass die amerikanischen Firmen Cisco und Juniper über Software-Backdoors den Nachrichtendiensten ihres Landes zuarbeiten. Chinesische Medien kolportieren denn auch, hinter der Kampagne stünde die Angst westlicher Geheimdienste, den Zugang zu Informationen zu verlieren, wenn noch Huawei-Technik eingesetzt würde.
Dennoch wäre es naiv zu glauben, dass die chinesische Führung ihren Einfluss auf die Infrastruktur anderer Länder unter keinen Umständen nutzen wird. Die Netze zu kompromittieren, ist technisch jedenfalls nicht unmöglich. Die Software für die Mobilfunkanlagen enthält Zugänge für die Fernwartung, um beispielsweise Updates aufzuspielen. Der Programmcode, der ausgeführt wird, verändert sich insofern laufend, weshalb eine einmalige Prüfung wenig aussagt. Außerdem ist der Nachweis von Sicherheitslücken außerordentlich schwierig, laut Experten unmöglich - ohne vollständigen Zugang zur Hardwarebeschreibung und dem Quellcode. Huawei arbeitet allerdings bereits mit dem BSI in seinem Bonner "Security Innovation Lab" zusammen und legt zumindest Teile des Programmcodes offen - im Gegensatz zu anderen Anbietern.
Wie groß ist das Risiko also? Spionage über die Mobilfunknetze wäre aufwändiger und weniger erfolgversprechend als andere Methoden wie etwa personalisierte Phishing-Emails. Manche Experten verweisen allerdings darauf, dass Metadaten der Telefonate für die Nachrichtendienste durchaus interessant seien. Sabotage, um den Datenverkehr zu verlangsamen oder sogar abzuschalten, wäre technisch einfacher umzusetzen. Aber den Kill Switch wirklich zu drücken, wäre riskant. Sollte eine solche Attacke China zugerechnet werden können, käme das einer Kriegserklärung gleich.
Cybersicherheit und / oder Handelspolitik
Die amerikanische Politik sieht China als "strategischen Rivalen". In der Debatte vermischen sich Cybersicherheit, Handelspolitik und Geostrategie. Aus Angst vor Spionage und Sabotage über das Internet warnen Politiker vor chinesischen Mobilfunkausrüstern, aber auch vor Solaranlagen (für die Huawei ebenfalls Komponenten liefert) oder Eisenbahnen.
Andererseits gilt Huawei als Paradebeispiel für den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und seine politischen Ambitionen. Im Mobilfunk hat die Volksrepublik den Sprung vom billigen Produktionsstandort zur "Technologieführerschaft" geschafft, während sie in fast allen anderen Bereichen noch hinterherhinkt. Die Produkte von Huawei sind zuverlässig und vor allem preisgünstiger als die europäischer Wettbewerber Nokia und Ericsson (bei manchen Komponenten auch Cisco aus den USA).
Besonders in der 5G-Technik - dem neuen schnelleren Standard für den Mobilfunk - hat das Land gezeigt, dass es die ganze Wertschöpfungskette dominieren kann, von der Produktentwicklung bis zum Endgerät. Huawei und ZTE gestalten über die internationale 3GPP-Standardisierungsorganisation die technische Normen der Zukunft mit und setzen zunehmend westliche Hersteller unter Druck.
Hinzu kommt die massive Konzentration in dieser Branche. Bestimmte Mobilfunkkomponenten haben außer Huawei nur Ericsson und Nokia im Angebot. Die Folge: Große Teile der Welt könnten in einem strategisch wichtigen Bereich abhängig von chinesischen Herstellern werden.
Wie wird Deutschland sich positionieren?
"Die Willensbildung über konkrete Maßnahmen ist innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen", schrieb Innenstaatssekretär Günter Krings Mitte Januar auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Katharina Dröge. Zwei Monate später ist die Situation mehr oder weniger dieselbe.
Während das Wirtschaftsministerium Huawei unter besonders strenger Beobachtung zulassen will, fordern das Auswärtige Amt und das Innenministerium eine Grundsatzentscheidung zum Schutz der "nationalen Sicherheit" und "technologische Souveränität" (Norbert Röttgen, CDU). Die Bundesregierung hat immer noch keine gemeinsame Linie gefunden. Natürlich wird niemand ein Gesetz vorlegen, das Anbieter aus bestimmten Nationen ausdrücklich ausschließt. Eine solche Diskriminierung wäre mit den Regeln der Welthandelsorganisation unvereinbar, wirtschaftspolitisch eine Peinlichkeit. "Wir definieren für uns unsere Sicherheitsstandards", antwortete die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Forderungen der USA - aber was bedeutet das konkret?
Im Augenblick erarbeiten BSI und Bundesnetzagentur einen Katalog mit schärferen Sicherheitsanforderungen (möglicherweise inklusive der Offenlegung von Quellcode) und einer verpflichtenden Zertifizierung von Geräten. Das Bundeswirtschaftsministerium hat Eckpunkte veröffentlicht. Die Provider sollen künftig nur noch mit "vertrauenswürdigen Lieferanten" zusammenarbeiten, die "nationale Sicherheitsbestimmungen sowie Bestimmungen zum Fernmeldegeheimnis und zum Datenschutz zweifelsfrei einhalten".
Aber ist ein chinesisches Unternehmen wie Huawei vertrauenswürdig - und wer entscheidet darüber? Falls Huawei die Anforderungen nicht erfüllt, sagen Branchenvertreter, müssten seine Anlagen auch aus den alten Netzen entfernt werden.
In der Diskussion sind weiterhin Selbstverpflichtungen, sogenannte No-Spy-Erklärungen. Die würde man unterschreiben, sagt Huawei. Aber solche Zusicherungen halten viele Experten und Politiker für unglaubwürdig. Chinesische Unternehmen seien gesetzlich verpflichtet, mit den Nachrichtendiensten zusammenzuarbeiten, unter anderem durch das Nachrichtendienstgesetz (National Intelligence Law aus dem Jahr 2017, in dessen Artikel 7 es heißt: "Organisationen und Bürger sollen die Bemühungen der nationalen Nachrichtendienste unterstützen und mit diesen zusammenarbeiten."
Andere Kommentatoren warnen, dass amerikanische Wettbewerber wie Cisco No Spy-Erklärungen nicht unterzeichnen würden, weil sie durch den Patriot Act verpflichtet seien, in bestimmten Fällen den amerikanischen Nachrichtendiensten Informationen zuzuleiten. Der Markt der Ausrüster würde so noch weiter schrumpfen.
Was bleibt? "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht", sagte einst Kanzlerin Merkel. Vielleicht glaubt sie wirklich, man könne sich mit befreundeten Staaten darauf verständigen, auf Spionage zu verzichten. Möglicherweise bemüht sich die deutsche Regierung, eine bilaterale No-Spy-Vereinbarung mit China zu erreichen.
Mitte Februar fragte ich bei der Bundesregierung an, ob Gespräche mit der chinesischen Regierung stattfänden. "Über Gespräche zu einem No-Spy-Abkommen kann ich Ihnen nichts berichten", lautete die dürre Antwort. Allerdings meldete die Wirtschaftswoche zwei Wochen später, Angela Merkels Berater Lars-Hendrik Röller sei kürzlich nach China gereist, "um über ein Anti-Spionage-Abkommen zu verhandeln".
Die Bundesregierung steckt in der Zwickmühle. Eine bilaterale Einigung mit den Chinesen wäre eine Provokation gegenüber den USA. Die Amerikaner haben deutlich gemacht, dass sie sich auf Kompromisse nicht einlassen wollen (zum Beispiel Huawei aus den Kernnetzen oder den Metropolen herauszuhalten). In einer lesenswerten Analyse erklärt Daniel Voelsen von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Bei der Kontroverse um 5G geht es neben technischen Sicherheitserwägungen im engeren Sinne auch um wirtschaftliche und geopolitische Fragen von erheblicher Reichweite."
In dem Text arbeitet er heraus, dass Deutschland nur drei Möglichkeiten bleiben: 1. "Fortführung der bisherigen Politik" (Huawei darf mitmachen, ein Affront gegenüber den USA), 2. "Schulterschluss mit den USA" (höhere Kosten, langsamere Einführungen von 5G, chinesische Sanktionen) und schließlich "eine rein europäische Lösung" (höhere Kosten und, so Voelsen, ein Affront gegenüber beiden Großmächten). Insofern kann die Regierung sich nur aussuchen, wem sie nicht auf die Füße tritt.
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